Boss Open 2022

Oscar Otte – der Spätstarter

Der Tennisspieler besiegt bei den Boss Open in Stuttgart den Kanadier Denis Shapovalov und steht als einziger Deutscher im Viertelfinale des Turniers. Im Alter von 28 Jahren kommt der Kölner immer besser in Fahrt.

Starker Auftritt in Stuttgart: Oscar Otte

© Pressefoto Baumann/Hansjürgen Britsch

Starker Auftritt in Stuttgart: Oscar Otte

Von Dominik Ignée

Beide Fäuste hatte er nach vorne gestreckt und dazu ein strenges Gesicht gemacht. Gepaart mit seinem Bart sah der baumlange Tennisspieler Oscar Otte für einen Moment so aus wie ein römischer Gladiator nach dem Sieg. Auf den Rängen des Stuttgarter Kolosseums herrschte zeitgleich grenzenloser Jubel. Nach dem ersten Gefühlsausbruch lächelte Otte aber schon wieder, ging ans Netz und gab dem Gegner artig die Hand.

Was für ein irrer Tag! Der Aufwärtstrend des derzeit wohl größten Spätstarters im Tenniszirkus geht weiter. Als Nummer 61 der Weltrangliste hatte Otte beim ATP-Turnier auf dem Weissenhof den hoch veranlagten Kanadier Denis Shapovalov zwar mühsam, aber doch in zwei Sätzen mit 7:6, 7:6 aus dem Wettbewerb gekegelt. Und weil das so war, kamen Fragen auf.

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Wie schlägt man die Nummer 16 der Welt auf Gras? Und das im etwas reiferen Alter von 28 Jahren? „Großartig vorbereitet habe ich mich nicht – und auch nicht zu Hause auf einer Wiese gespielt“, sagte Otte etwas später in stoischer Ruhe. Er sei einfach nur früh angereist und habe versucht, so lange wie möglich auf den Rasenplätzen des TC Weissenhof zu trainieren. „Das war die Vorbereitung, geändert habe ich nicht viel. Nichts an der Technik, nichts am Ballwurf – alles beim Alten.“Auch im Hinblick auf Training und Ernährung hätten er und sein Team das Rad nicht neu erfunden.

Oscar Otte steht nun als letzter Deutscher im Viertelfinale des Stuttgarter Turniers, in dem er zuvor schon Daniel Altmaier aus Kempen besiegte. Um aber wirklich zu verstehen, warum Otte im vorgerückten Alter immer besser in Fahrt kommt, muss zurückgeblickt werden auf die Veranstaltung in Wimbledon 2021. Vor fast zwölf Monaten wehrte sich der Kölner tapfer gegen den Schotten Andy Murray und verlor gegen den dreimaligen Grand-Slam-Turniersieger nur knapp. Beim Händeschütteln passierte Wunderbares, da sagte Murray zu Otte: „Bleib dran, Junge, dann geht der Weg nach oben.“

Lob von einer Andy Murray

„Dieser Satz beim Handshake ist hängen geblieben, es hat mir viel bedeutet, von einer Ikone des Tennissports so etwas zu hören“, sagt Otte in Stuttgart. Von da an hat es bei ihm klick gemacht. Der Tennisspieler war gut, aber nicht gut genug für ganz oben. Doch irgendwie spürte er, dass der Knoten mal platzen müsste – körperlich fühlte er sich fit, die Schläge waren hart, es stimmte alles. Und dann kam sein Jahr.

Im ersten Quartal 2021 war Otte zunächst verletzt, hat danach aber immer besser seinen Rhythmus gefunden. Er spielte bei Major-Turnieren sehr gut. In Paris gelang ihm ein enges Match gegen Alexander Zverev, es folgten starke Auftritte gegen den Franzosen Arthur Rinderknech und Murray. „Das sind so die Momente, in denen du siehst: Hey, du kannst da einfach mithalten, du kannst es schaffen – und du gehörst da auch hin.“

Oscar Otte ist nun viel selbstbewusster

Dieser vergangene Sommer hat Ottes Selbstbewusstsein nachhaltig gestärkt. Es folgten noch im selben Jahr drei seiner insgesamt fünf Turniersiege auf der Tour: in Lukas Lacko, Gröden und Bari. Das sind keine Veranstaltungen von Welt gewesen, aber doch Erfolge, die einem bis dahin unauffälligen Tennisspieler wie Otte einen Schub geben, ihn motivieren, selbstsicher machen. Und ihm vor allem zeigen, dass sich alle Mühen gelohnt haben. „Die harte Arbeit hat sich jetzt mehr oder weniger schon ausgezahlt“, sagt Otte und dankt dafür im Nachhinein vor allem seinen Eltern.

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Die haben ihn unterstützt, und der Sohnemann hat immer auf seine Chance gehofft. Sich mal mit Topleuten zu messen oder sie zu besiegen – es war sein Kindheitstraum. Dass er ihn einmal realisieren könnte, daran glaubte er aber nie. Nun ist er der zweitbeste deutsche Tennisspieler und sogar der beste aktive, weil Zverev verletzt ist. Das höre sich „vollkommen krank“ an, sagt Otte. „Wenn mir jemand vor zehn Jahren erzählt hätte, dass ich mal die deutsche Nummer zwei oder eins werde, dem hätte ich gesagt: Alter, was ist denn mit dir los?“

Neue Rolle

Diese neue Rolle soll ihm jetzt Schwung geben – an diesem Freitag im Viertelfinale gegen den Franzosen Benjamin Bonzi und für die Zukunft. Doch fliegt einem der Erfolg nicht einfach so zu, keiner weiß das besser als Oscar Otte. „Ich werde mich jetzt nicht auf die faule Haut legen“, sagt er noch, schultert seine Tennistasche und verschwindet ins Hotel. Bald muss er ja wieder in die Arena.

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Erstellt:
9. Juni 2022, 18:44 Uhr
Aktualisiert:
10. Juni 2022, 09:17 Uhr

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