Sympathie für Spielerproteste: „Sagt das, was ihr denkt“

dpa Berlin. Die Fußball-Profis, die gegen den gewaltsamen Tod von George Floyd protestiert haben, erwarten kaum Sanktionen. Von vielen Seiten erhalten sie Anerkennung. Doch was passiert, wenn politische Zeichen von Spielern gesetzt werden, die keinen breiten Konsens haben?

Jadon Sancho (l) trägt ein Trikot mit dem Schriftzug „Justice for George Floyd“. Gladbachs Marcus Thuram kniet auf dem Rasen. Foto: Lars Baron/Getty Images Europe/Pool/dpa;Martin Meissner/AP Pool

Jadon Sancho (l) trägt ein Trikot mit dem Schriftzug „Justice for George Floyd“. Gladbachs Marcus Thuram kniet auf dem Rasen. Foto: Lars Baron/Getty Images Europe/Pool/dpa;Martin Meissner/AP Pool

Die Sympathie für die Spielerproteste in der Fußball-Bundesliga nach dem gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd in den USA ist groß.

Die Neigung zur Bestrafung des Schalkers Weston McKennie, der Dortmunder Jadon Sancho und Achraf Hakimi oder anderen wegen ihrer Bekundungen gegen Rassismus ist eher gering - auch wenn die Profis gegen Statuten verstoßen haben. „Ich habe nicht den geringsten Zweifel daran, dass der Kontrollausschuss das Thema mit Besonnenheit und Augenmaß behandeln wird“, sagte Hans E. Lorenz, der Vorsitzende des Sportgerichts des Deutschen Fußball-Bundes, der Deutschen Presse-Agentur.

Der Präsident des Fußball-Weltverbandes würde die protestierenden Bundesliga-Profis nicht bestrafen. „Um Zweifel zu vermeiden: In einem FIFA-Wettbewerb würden die jüngsten Demonstrationen von Spielern in der Bundesliga einen Applaus verdienen und keine Bestrafung“, erklärte Gianni Infantino am Dienstagabend in einer Mitteilung. „Wir alle müssen Nein zu Rassismus und jeglicher Form von Diskriminierung sagen. Wir alle müssen Nein zu Gewalt sagen. Jeder Form von Gewalt.“

In den Regeln des DFB heißt es, dass die Spieler keine Unterwäsche mit „politischen, religiösen oder persönlichen Slogans“ zeigen dürfen. „Wenn ich die Konsequenzen tragen muss, um meine Meinung zu äußern, meine Gefühle auszudrücken, für das einzustehen, woran ich glaube - dann muss ich das tun“, sagte der 21 Jahre alte Schalker McKennie dem US-Magazin „Forbes“.

Der Amerikaner hatte eine Armbinde mit „Justice for George“ im Spiel gegen Werder Bremen getragen. Sancho und Hakimi hatten T-Shirts unter ihren BVB-Trikots mit der Aufschrift „Justice for George Floyd“ (Gerechtigkeit für George Floyd) gezeigt. Gladbachs Marcus Thuram ging symbolisch in die Knie. Und auch Kölns Anthony Modeste schloss sich den Protesten beim 2:4 gegen RB Leipzig mit einer Geste an.

Lob gab es für die Aktionen von höchster Stelle. „Ich habe großen Respekt vor Spielerinnen und Spielern, die Haltung haben und ihre Solidarität zeigen, solche mündigen Spielerinnen und Spieler wünsche ich mir, auf sie bin ich stolz“, sagte DFB-Präsident Fritz Keller. „Moralisch kann ich die Aktionen am vergangenen Wochenende absolut verstehen. Was in den USA passiert ist, kann niemanden kalt lassen.“

Es ist somit sehr unwahrscheinlich, dass McKennie und die anderen Spieler mit Strafen rechnen müssen. Zumal der DFB und auch die FIFA selbst immer wieder Kampagnen gegen Rassismus initiieren und eine Bestrafung im Widerspruch stehen würde.

Am Dienstag beteiligten sich zahlreiche Sportler aus Deutschland an einer Solidaraktion und veröffentlichten auf Instagram ein komplett schwarzes Bild. Unter anderen die aktuellen oder ehemaligen Fußball-Nationalspieler Thomas Müller, Jérôme Boateng, Joshua Kimmich, Toni Kroos, Leroy Sané, Mario Götze, Mats Hummels und Marco Reus unterstützten damit den „#BlackOutTuesday“. Mit der aus der US-Musikindustrie kommenden Aktion soll Aufmerksamkeit auf die Ungerechtigkeit gelenkt und Menschen dazu aufgefordert werden, einen Tag lang keine Inhalte zu produzieren, sondern sich mit den Vorgängen zu beschäftigen.

Doch wo ist die Grenze bei politischen Äußerungen von Sportlern allgemein zu ziehen? Im Fall von George Floyd herrscht weitgehend Konsens. Doch was passiert, wenn ein Fußballer sich auf dem Spielfeld gegen den Unterdrückungsapparat in China oder gegen das Vorgehen des türkischen Erdogan-Regimes gegen politisch Andersdenkende mit Gesten oder Schriftzügen äußert?

Die Linien sind fließend. Nach dem Militärgruß türkischer Nationalspieler in der EM-Qualifikation verwarnte die Europäische Fußball-Union UEFA 16 Spieler und verhängte eine Geldstrafe in Höhe von 50 000 Euro gegen den türkischen Verband. Die Spieler hatten ihre Unterstützung für die türkischen Streitkräfte ausgedrückt, die in einer Militäroffensive gegen die Kurdenmiliz YPG in Nordsyrien vorgingen. Der Einsatz wurde international scharf kritisiert.

Die Schweizer Nationalspieler Granit Xhaka und Xherdan Shaqiri heizten 2018 im WM-Spiel gegen Serbien die Stimmung an mit einer Geste, die den albanischen Doppelkopf-Adler symbolisierte. Serbien erkennt das Kosovo mit seiner 90-prozentigen albanischen Bevölkerungsmehrheit nicht als Staat an. Die Spieler und der Verband wurden von der FIFA mit Geldstrafen belegt.

Während die Diskussionen in den Sportverbänden über den Umgang mit politischen Statements möglicherweise erst beginnen, gehen die Proteste nach Floyds Tod in Minneapolis weiter. Nicht nur auf den Straßen in US-Metropolen, sondern auch im Sport.

Der Vorsitzende der englischen Anti-Rassismus-Initiative „Kick it Out“, Sanjay Bhandari, forderte jeden Profi-Fußballer in der Premier League auf, ein klares Zeichen gegen Rassismus zu setzen. Dazu sollen alle Spieler zum geplanten Neustart der Liga am 17. Juni auf die Knie gehen. „Nicht nur die schwarzen Spieler. Auch die weißen - alle“, sagte er dem „Guardian“. Die Profis des englischen Tabellenführers FC Liverpool und des FC Chelsea schlossen sich mit einem symbolischen Kniefall im Training den Protesten bereits an. „Genug ist genug“, schrieb Chelseas deutscher Nationalspieler Antonio Rüdiger zu einem Foto, das die Aktion seines Team zeigt. „Wir sind alle MENSCHEN. Gemeinsam sind wir stärker.“

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Erstellt:
2. Juni 2020, 07:16 Uhr

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