Psycho-Pluspunkt für VfB im Aufstiegskampf?

dpa Stuttgart. In einem irren Fußballspiel schockt der VfB Stuttgart den Hamburger SV und geht mental gestärkt in die entscheidende Phase. Wird die Aufholjagd am Ende zum Schlüsselerlebnis für den Aufstieg? Dem HSV droht ein bitteres Déjà-vu.

Die Stuttgarter feiern den Last-Minute-Sieg gegen den HSV. Foto: Matthias Hangst/Getty Images Europe/Pool/dpa

Die Stuttgarter feiern den Last-Minute-Sieg gegen den HSV. Foto: Matthias Hangst/Getty Images Europe/Pool/dpa

Am Morgen nach seinem bislang emotionalsten Moment mit dem VfB Stuttgart empfing Pellegrino Matarazzo seine Spieler etwas müde zum Frühstück. Auch der Trainer hatte wenig geschlafen.

Nach dem aufregenden Comeback-Sieg gegen den Hamburger SV sei es schwierig gewesen, „die Augen zu zumachen“, erzählte er. Die Stimmung war deswegen erleichtert, aber noch sehr ruhig.

„Natürlich setzt es eine enorme Energie frei“, stellte Matarazzo aber klar. Dieser Psycho-Effekt entscheidet vielleicht den Aufstiegskampf der 2. Fußball-Bundesliga. Der VfB kann jedenfalls viel mehr als nur die drei Punkte mit in die letzten vier Saison-Wochen nehmen. Und mit dem Kick des Nachspielzeit-Treffers von Gonzalo Castro will sich der zuletzt enttäuschende VfB von seiner Verunsicherung befreien. Der HSV muss dagegen einen mentalen Tiefschlag wegstecken, der nachwirken könnte und Erinnerungen an die verpasste Bundesliga-Rückkehr vor einem Jahr wach werden lässt.

Der „Lucky Punch“ und das 3:2 nach einem 0:2 im Topspiel sei so wichtig, „tabellenmäßig und für die Psychologie“, gestand Matarazzo. Im Gegensatz dazu meinte HSV-Coach Dieter Hecking: „Das kann man nicht einfach so herausschütteln.“

Das verrückte Fußballspiel könnte so der Wegbereiter dafür sein, dass der VfB das Duell mit dem HSV um den direkten Aufstiegsrang hinter Bielefeld für sich entscheidet. Eine Prognose aber ist ungewiss. Zu eng ist der Tabellenstand, zu wackelig waren die VfB-Auftritte, Zweifel bleiben angebracht. Schon am Sonntag (13.30 Uhr/Sky) in Dresden könnte die Stimmung wieder kippen, sollten die Schwaben das Gesicht der ersten Halbzeit zeigen. Auch Matarazzo weiß, dass sein Team noch ein ganzes Stück davon entfernt ist, eine „richtige Siegermentalität“ zu haben oder „eine meisterhafte Truppe“ zu sein.

Die Stuttgarter waren kurz davor, nach den Toren von Joel Pohjanpalo (16.) und Aaron Hunt (45.+2/ Handelfmeter) mit der dritten Niederlage in Serie noch tiefer in die Krise zu rutschen. Was genau in der Kabine gesagt wurde, wollte Matarazzo nicht verraten. Die lauter als übliche Pausen-Ansprache zeigte aber offenbar Wirkung und führte zur Wende mit den Toren von Wataru Endo (47.), Nicolas Gonzalez (60./ Foulelfmeter) und Castro (90.+2). Es wurde sich „gefetzt“, sagte Pascal Stenzel: „Dann waren alle wach.“ Sollte das im Topspiel nicht selbstverständlich sein? Es wirft Fragen auf, warum der VfB nicht über 90 Minuten dem Druck mit mehr Leidenschaft begegnete und eine aufstiegsreifere Leistung zeigte.

Als der eingewechselte Castro nach seinem Treffer sein Trikot vor Freude in die Luft schmiss und die Stuttgarter ausrasteten, entlud sich der Frust. Es sei für ihn „unmöglich“ gewesen, den Empfehlungen des Hygienekonzepts zu verhaltenem Jubel zu entsprechen, fand Matarazzo: „Zum Schluss ist es ein Gefühl, das einem ein Leben lang begleiten wird.“ Von der Straße hallte ein Hupkonzert ins Stadion. „Es war enorm wichtig für den Kopf“, sagte Castro.

Die Hamburger dagegen waren geschockt, hockten wie Timo Letschert tief enttäuscht an der Bande oder wie Adrian Fein in sich versunken auf dem Rasen. Er müsse jetzt seiner „Mannschaft den Halt geben, den sie braucht“, meinte Hecking: „Wir müssen uns wieder aufrappeln.“

Denn es droht ein bitteres Déjà-vu. In der vergangenen Saison waren die Hanseaten als Wintermeister in die zweite Halbserie gestartet - und dann auf Platz vier abgestürzt. Der sicher geglaubte Aufstieg war dahin. Am Sonntag gegen Wiesbaden lastet der Druck auf den Hamburgern, nicht auch noch vom Relegationsplatz zu rutschen.

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Erstellt:
29. Mai 2020, 12:37 Uhr

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