Rückkehr ins Stadion wird herbeigesehnt

Stuttgarts Wiederaufstieg in die Fußball-Bundesliga und die starke Saison als Neuling nicht live erlebt zu haben, „wurmt gewaltig“, sagt Siegfried Riese vom VfB-Fanclub Feuer&Flamme Backnang. Er hofft, dass die Zeit der Geisterspiele in der neuen Runde endet.

Das Bierchen mit Fanclub-Freunden gehört für Siegfried Riese (Zweiter von links) und Harald Hohnheit (Dritter von rechts) zu VfB-Spielen dazu. Foto: privat

Das Bierchen mit Fanclub-Freunden gehört für Siegfried Riese (Zweiter von links) und Harald Hohnheit (Dritter von rechts) zu VfB-Spielen dazu. Foto: privat

Von Steffen Grün

Was haben sie nicht schon alles erlebt mit ihrem Herzensverein, seit Siegfried Riese und Harald Hohnheit ins Stadion gehen und seit sie am 1. November 1990 zu den Mitbegründern des Fanclubs zählten. Beide waren dabei, als die Stars aus Neapel um Diego Maradona 1989 zum Rückspiel des Uefa-Pokal-Finales ins Neckarstadion kamen. Sie ergötzten sich am Spektakel des magischen Dreiecks, feierten den bislang letzten Meistertitel vor 14 und den ersten Wiederaufstieg vor 4 Jahren. Auch Enttäuschungen wie das verlorene DFB-Pokal-Endspiel 2007 und damit das verpasste Double oder die beiden Abstiege in jüngerer Vergangenheit sind Bestandteile des Fan-Daseins, wenn man sich nicht etwa die Bayern ausgesucht hat. Hohnheits Liste ist noch länger: Anders als Riese war er auch 1986, 1997 und 2013 bei den DFB- Pokal-Finalen in Berlin und nicht zuletzt 1992 in Leverkusen, als Guido Buchwald den VfB zur Meisterschaft köpfte.

Mit dem Auf und Ab der Weiß-Roten haben sich die beiden 54-Jährigen arrangiert, nicht jedoch mit der Situation seit über 14 Monaten. Zum bislang letzten Mal kickte der VfB am 9. März 2020 vor vollem Haus, im Zweitliga-Topspiel gab es ein 1:1 gegen Bielefeld. „Ich bin froh, dass ich im Stadion war“, sagt Hohnheit. „Ich konnte leider nicht“, erinnert sich Riese. Von den ersten beiden Heimspielen dieser Runde abgesehen, als 8000 und 9500 Fans reindurften, das Duo aber nicht darunter war, begann danach wegen der Pandemie die lange Zeit der Geisterspiele. Die sofortige Rückkehr in die Bundesliga nach dem dritten Abstieg der Vereinsgeschichte, die tolle Saison als Neuling mit einer jungen Truppe – all das konnten Riese, Hohnheit sowie ihre Freundinnen und Freunde vom VfB-Fanclub Feuer&Flamme Backnang nur meist allein am Bildschirm verfolgen.

Das ist umso bitterer, weil die Fußballer mit dem Brustring ihre treuen Anhänger in den vorherigen Jahren selten verwöhnt hatten. Jetzt, wo es endlich wieder flutschte, fehlte plötzlich das Stadionerlebnis mit allen Facetten. Und das Drumherum mit den Kumpels, das einen hohen Stellenwert hat. „Gemütlich ein Bier zu trinken und ein wenig zu quatschen“ findet Riese fast so wichtig wie das Treiben auf dem Platz. Die Fahrten zu Auswärtsspielen, die monatlichen Fanclub-Treffen in der Stammkneipe, die weiteren Aktivitäten – die Liste, was der seit knapp zehn Jahren amtierende Vorsitzende in Coronazeiten vermisst, ließe sich noch erweitern. Hohnheit geht es ähnlich. Die Spiele nicht in großer Runde, sondern alleine vor dem Fernseher anzuschauen, sei „nicht vergleichbar“.

Natürlich fieberten sie dennoch mit, genossen den oft begeisternden Fußball und bejubelten im Sessel die Siege. Es sei „genial“, wie der VfB als Neuling auch ohne richtig teure Zugänge aufgetrumpft habe, lobt Harald Hohnheit. „Es hätte fast nicht besser laufen können.“ Sollten die Schwaben am Samstag ihr finales Heimspiel gegen Bielefeld gewinnen und die Konkurrenten patzen, könnte es sogar noch mit dem Sprung auf Platz sieben und dem Ticket für den Europapokal klappen. Auch wenn er allergrößte Zweifel am Sinn der neuen Conference League hat, „würde ich mich trotzdem riesig freuen“, versichert Siegfried Riese. Nicht zuletzt, weil Trips zu Auswärtsspielen in europäischen Wettbewerben schon immer das nicht alltägliche Salz in der Suppe waren. Für Hohnheit hätte dieses Szenario noch einen Vorteil: Er, der samstags in aller Regel arbeitet, würde dann weniger Heimspiele verpassen, weil der VfB in der Bundesliga wohl öfter sonntags an der Reihe wäre.

„Sven Mislintat und Pellegrino Matarazzo haben den größten Anteil am aktuellen Erfolg“, adelt Riese den Sportdirektor und den Trainer, der Vorstandschef ist danach dran: „Thomas Hitzlsperger vielleicht auch noch, aber nicht an vorderster Stelle.“ Der Name des Präsidenten Claus Vogt fällt in diesem Zusammenhang nicht, dennoch wünschen sich die zwei Fanclub- Vertreter nach dem vereinsinternen Theater rund um den Jahreswechsel, dass sich Hitzlsperger und Vogt „zusammenraufen und alles wieder in geordneten Bahnen verläuft. Ruhe im Verein ist wichtig.“

Der Aufwärtstrend soll schließlich kein Strohfeuer bleiben, sondern zur Abwechslung nachhaltig sein. „Das Potenzial ist da“, glaubt Hohnheit und hofft wie Riese, „dass das Team zumindest weitgehend zusammenbleibt“. Bei Abgängen setzen sie aufs viel zitierte Diamantenauge von Mislintat, der dann wieder neue hungrige Talente holen soll. Nicht gefallen hat Riese bislang nur, dass der Vertrag mit Kapitän Gonzalo Castro nicht verlängert wurde. Die beiden Abstiege der vergangenen Jahre haben mit dafür gesorgt, dass die Erwartungen realistisch bleiben. Im zweiten Jahr nach dem erneuten Wiederaufstieg wäre das Duo mit einem sicheren Mittelfeldplatz durchaus zufrieden, die höheren Ziele sind allenfalls im Hinterkopf.

Der größte Wunsch ist ohnehin ein anderer. Nämlich, so rasch wie möglich wieder ins Stadion zu dürfen. Hohnheit hofft, dass es die Impfungen erlauben, die Arena „wieder zu füllen“. Er hat die Dauerkarte seit 30 Jahren – von der Zeit, als die Kinder klein waren, abgesehen. Auf den Sitzplätzen ist es ihm aber auch mit 54 noch „zu langweilig“. Er steht wie früher schon im alten A-Block – zumal die Tickets billiger sind. Riese hockt lieber, und zwar auf Sitz 38 in Reihe 41 von Block 37e. Er kann es kaum erwarten, seinen Stammplatz wieder einzunehmen, um die Begegnungen wieder im gewohnten Kreis weiterer Fanclub-Mitglieder genießen zu können.

Der VfB-Fanclub Feuer&Flamme pflegt ein reges Vereinsleben und zeigt soziale Verantwortung

Wie so vieles in Backnang hat auch die Gründung des VfB-Fanclubs Feuer&Flamme mit dem Straßenfest zu tun. Harald Hohnheit und zwei Kumpels guckten 1990 auf der Leinwand am Obstmarkt das WM-Achtelfinale gegen Holland. Als der deutsche Sieg klar war, beschloss das Trio, zum Viertelfinale nach Mailand zu fahren – und auf dieser Reise wurde dann die Idee eines VfB-Fanclubs geboren.

Zu den sieben Mitgliedern, die ihn am 1. November 1990 gründeten, zählte neben Harald Hohnheit auch Siegfried Riese. Als es kurz darauf zehn Mitglieder waren, folgte die Ernennung zum offiziellen VfB-Fanclub. Heute sind es etwa 50 Mitglieder mit um die 20 Dauerkarten. Ausgerechnet in dieser Saison, in der Feuer&Flamme 30 Jahre alt wurde, gab es wegen Corona aber fast nur Geisterspiele.

Die Stadionbesuche sind aber längst nicht alles, das Vereinsleben ist auch sonst sehr rege. Sommerfest, Herbstfest, Wanderung, Stand beim Backnanger Weihnachtsmarkt – das Jahresprogramm hat feste Punkte. Dazu kommen Führungen im Stadion, Mercedes-Benz-Museum oder Flughafen. Die Fans waren zu Gast im „Doppelpass“ und bei „Sport im Dritten“, seit 2004 bilden sie auch ein Dartteam.

Feuer&Flamme freute sich über Besuche von Trainern wie Jürgen Röber, Managern wie Dieter Hoeneß, Präsidenten wie Erwin Staudt und Stars wie Thomas Berthold, Giovane Elber oder Cacau. Die Macher organisierten Turniere und 2013 ein Benefizspiel der VfB-Traditionself gegen die Murrtal-Allstars, bei dem 9000 Euro für die Kinderkrebsnachsorgeklinik in Tannheim und die Reha-Werkstatt in Backnang zusammenkamen. Letztere beschäftigt Menschen mit Behinderungen, die der Fanclub auch einmal im Jahr zum gemeinsamen Besuch eines VfB-Spiels einlädt.

Soziale Verantwortung zeigten die Anhänger auch, wenn sie Spendenaktionen initiierten – etwa für Waisenkinder in Zeiten des Balkankrieges, für den von deutschen Hooligans schwer verletzten französischen Polizisten Daniel Nivel oder die Tsunami-Hilfe, um nur drei von vielen Beispielen zu nennen.

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Erstellt:
20. Mai 2021, 06:00 Uhr

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