Schiedsrichtergruppe Backnang: Verschärfte Sorgen und große Erfolge

Zum 75. Geburtstag der Fußballschiedsrichtergruppe Backnang ist das Personal so knapp wie noch nie. Zugleich ist die Qualität ihrer Spitzenleute im Jubiläumsjahr so hoch wie lange nicht. Eine Bestandsaufnahme und ein kleiner Rückblick.

Das DFB-Pokal-Finale zwischen Wolfsburg und Potsdam im Mai war für Schiedsrichterin Karoline Wacker ein weiterer Höhepunkt. Foto: Imago

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Das DFB-Pokal-Finale zwischen Wolfsburg und Potsdam im Mai war für Schiedsrichterin Karoline Wacker ein weiterer Höhepunkt. Foto: Imago

Von Steffen Grün

Für den Begriff des Schiedsrichters existieren viele Synonyme. Manche sind völlig unverfänglich. Zu dieser Kategorie zählen der Unparteiische, der Referee und der Spielleiter oder die Kurzform Schiri. Eine Bezeichnung, die durchaus auch despektierlich gemeint sein könnte, ist für den Obmann der hiesigen Gruppe ebenfalls in Ordnung. „Die Schwarzkittel zwischen Backnang und Gaildorf – das steht in unserem Logo und zeigt, dass wir mit diesem Begriff leben können“, betont Michael Keller. Dagegen klingt Pfeifenmann für seinen Geschmack „unschön, aber wir sind Schlimmeres gewohnt“.

Indirekt spricht der 44-Jährige damit bereits ein großes Problem an, mit dem sich seine Zunft Woche für Woche und Spieltag für Spieltag konfrontiert sieht. Die Frauen und Männer in den längst nicht mehr immer schwarzen, sondern beispielsweise oft auch gelben, blauen, roten und pinken Hemden müssen sich Beleidigungen anhören, die auf keine Kuhhaut gehen und die zumindest zivilisierte Menschen abseits des Sportplatzes kaum aussprechen würden. „Für gestandene Schiedsrichter ist das weniger schlimm“, verweist Keller auf deren Kunst, die Ohren auf Durchzug zu stellen. Anders sieht es bei den Nachwuchskräften aus, die oft noch zur Schule gehen und es dann mit Erwachsenen mit rudimentären Regelkenntnissen zu tun haben, die ihre gute Kinderstube vergessen und schlimmste Schimpfwörter auspacken.

„Wir hatten unlängst einen 15-jährigen Anfänger, der nach dem ersten Spiel wieder aufgehört hat, weil er von Eltern bei einem D-Jugend-Spiel übel beleidigt wurde“, verrät der Frontmann der Backnanger Referees und ist nachvollziehbarerweise immer noch fassungslos: „Solche Jungs gleich wieder zu verlieren ist sehr bitter. Er hätte vielleicht auch Kumpels gehabt, die er für die Schiedsrichterei hätte begeistern können.“ Logisch, dass der Betroffene einen Teufel tun wird, einem Freund nach einer solchen negativen Erfahrung zu diesem Hobby zu raten. Und das in einer Situation, die Michael Keller mit Blick auf seine Gruppe als „so kritisch wie noch nie“ bezeichnet. Das Personal fehlt hinten und vorne, weshalb bereits seit Monaten viele Kreisliga-B-Duelle bei den Aktiven und B-Jugend-Spiele in den niedrigsten Klassen nicht mehr mit einem ausgebildeten Unparteiischen besetzt werden können.

Brandbrief an die Vereine: Der Mangel an Schiedsrichtern spitzt sich weiter zu

Nun gehen die Obmänner der Gruppen Backnang, Waiblingen und Schorndorf in einem Schreiben an die Klubs des Fußballbezirks Rems-Murr, das getrost als Brandbrief bezeichnet werden darf, noch einen Schritt weiter. Zuletzt habe sich die Lage „so zugespitzt“, teilen Michael Keller, Markus Seidl und Axel Flaig mit, „dass wir bis auf Weiteres sämtliche A- und B-Juniorenspiele auf Bezirksebene nicht mehr besetzen können“. Man bedauere das zwar zutiefst, sehe aber keine andere Lösung. Der Brief endet mit einem Appell an die Vereine, für das Schiedsrichteramt im Allgemeinen und für den nächsten Neulingskurs im Speziellen die Werbetrommel zu rühren.

Tun sie das nicht, müssen sie bei Heimspielen künftig immer häufiger selbst einem Freiwilligen die Pfeife in die Hand drücken. Das klappt bislang meistens, wenn es nötig ist, freut sich Keller, fügt aber hinzu, dass es „in anderen Bezirken schon gang und gäbe ist, dass Spiele abgesagt und auf Abendtermine unter der Woche verlegt werden“. Da ist es in der Regel leichter, noch einen Referee zu finden, doch ein Ausweg aus der Personalmisere ist das nicht. „Die größte Sorge ist der Nachwuchsmangel“, betont der Obmann nochmals ausdrücklich und wünscht sich einen weitaus besseren Dialog mit den Vereinen. Die Resonanz auf Angebote wie Informationsabende und Schulungen sei gering, auch bei der Jubiläumsfeier der Schiris in Spiegelberg waren kürzlich nur klägliche zwei von 33 eingeladenen Klubs vertreten.

Offenbar halten es viele Spieler, Trainer und Funktionäre weiter für eine Selbstverständlichkeit, dass bei allen Partien ein Unparteiischer erscheint. Keller wäre es recht, wenn es so wäre, weil es „die Hauptaufgabe einer Schiedsrichtergruppe ist, die Spiele zu besetzen“. So ist es aber nicht, weil die Einteiler Lothar Fink (Aktive) und Uwe Oesterle (Jugend) nicht zaubern können. Das Duo braucht wieder mehr Auswahl, weshalb Keller nicht müde wird, auf die schönen Seiten des Pfeifens hinzuweisen. Das beginnt beim Innenleben der Gruppe. „Wir haben einen sehr guten Zusammenhalt und eine gute Kameradschaft“, was etwa mit Ausflügen, den Jahresfeiern und Trainingsabenden gefördert wird. Darüber hinaus gibt es Aushängeschilder, die zeigen, wie weit es Referees bringen können. Allen voran Karoline Wacker von den Sportfreunden Großerlach: Die 31-Jährige gehört seit 2017 zur illustren Riege der Fifa-Schiedsrichter, leitet Spiele in der Bundesliga und der Champions League der Frauen und war dieses Jahr beim DFB-Pokal-Finale in Köln im Einsatz, das der VfL Wolfsburg gegen Turbine Potsdam mit 4:0 gewann. Viel zuzutrauen ist in Zukunft auch dem erst 22-jährigen Gregor Wiederrecht ( SKG Erbstetten), der bereits in der Männer-Verbandsliga und der A-Junioren-Bundesliga das Kommando hat. Zusammen mit den drei Landesliga-Referees Silas Buth (FV Sulzbach), Dominik Wagner (SV Allmersbach) und Yannik Schneidereit (SV Kaisersbach) sowie den aktuellen Oberliga-Beobachtern und ehemaligen Oberliga-Schiedsrichtern Carl Höfer und Frank Stettner sieht Michael Keller die Gruppe „so gut aufgestellt wie seit zehn Jahren nicht mehr“.

Insgesamt also Licht und Schatten im Jubiläumsjahr, in dem mitsamt dem Amtsinhaber erst der siebte Obmann seit 1947 das Sagen hat. Los ging es mit Karl Ehinger, der sich am ersten Sonntag im März des zweiten Nachkriegsjahrs in der Gaststätte Waldhorn in Backnang mit Eugen und Wilhelm Strässer traf. Das Trio, das damals in höheren Ligen für die Stuttgarter Referees pfiff, setzte schnell die angedachte Gründung einer eigenen Gruppe im Kreis Backnang in die Tat um. Integriert waren zunächst die Waiblinger Kollegen, was insofern kurios ist, als es dort schon vor dem Zweiten Weltkrieg eine selbstständige Gruppe gegeben hatte. Danach war das erst ab 1951 wieder der Fall. Unter Ehingers Nachfolger Eugen Binder aus Murrhardt wurde das dortige Gasthaus Rose zum Schauplatz für Schulungen sowie die damals wie heute sehr wichtigen Neulingskurse bestimmt. Ein Zwist mit einem Unparteiischen, der sich bei den Einteilungen benachteiligt fühlte, führte 1954 nicht nur zu Binders Rücktritt als Obmann, sondern bewog ihn auch dazu, die Pfeife ganz aus der Hand zu legen. Eine Anekdote aus der damaligen Zeit: Die Gruppe musste damals Linienrichter bei Heimspielen der TSG Backnang und der Spvgg 07 Ludwigsburg stellen, was unterschiedlich beliebte Aufgaben waren. Für die Etzwiesen brauchte es Überredungskünste, weil es dort von der Tribüne des Öfteren böse Worte gegeben haben soll. Dagegen sind aus der Barockstadt eine Massage vor dem Anpfiff und ein gutes Essen nach dem Abpfiff überliefert.

Drei Jahrzehnte als Obmann: Niemand war länger im Amt als Albert Keit

Mit der Wahl von Albert Keit aus Gaildorf begann eine drei Jahrzehnte währende Ära, die anfangs von einem stetigen, wohl nicht zuletzt dem Fußballboom nach dem „Wunder von Bern“ mit dem deutschen WM-Titel geschuldeten Zuwachs an Referees gekennzeichnet war. Der langjährige Obmann wird als „hart, aber herzlich“ charakterisiert, von rauer Schale und weichem Kern ist auch die Rede. „Albert Keit ist vielen älteren Schiedsrichterkameraden auch weit über den Bezirk hinaus noch immer ein Begriff“, weiß Michael Keller. Für dessen Nachfolger gilt das ganz genauso – sicherlich auch, weil Gerhard Klaiber nicht nur der Obmann, sondern mit erst 31 Jahren bei seinem Amtsantritt zugleich das sportliche Aushängeschild war. „Er war sehr leistungsorientiert“, berichtet Keller: „Er hat viel von seinen Schiedsrichtern verlangt, aber es auch selbst vorgelebt.“ Anders hätte es Klaiber auch nicht als Schiedsrichter in die Oberliga und als Linienrichter in die Bundesliga geschafft. Der Höhepunkt war die Saison 1991/1992, als er an der Seite von Fifa-Referee Manfred Neuner unter anderem beim Prestigeduell zwischen Schalke und Dortmund vor 72000 Fans oder beim Freundschaftsspiel zwischen dem VfB Stuttgart und Inter Mailand (mit Matthäus, Brehme und Klinsmann) im Einsatz war. Bis heute pfeift Klaiber, seine 3000. Partie hat er längst hinter sich.

Auf Klaiber folgten Lothar Fink, Peter Röhrle und Keller, der einst als vom Verein gestellter Linienrichter bei der Spvgg Großaspach erste Erfahrungen sammelte. „Heinz Jung hat mich dann gefragt, ob ich Schiedsrichter werden will“, sagt er über den Mann, der sich bei den Heimspielen der SG Sonnenhof bis heute um das Wohl der Unparteiischen kümmert. Keller sagte Ja und betont rund drei Jahrzehnte später: „Ich habe es nie bereut. Es ist das geilste Hobby der Welt.“ Trotz aller Begleiterscheinungen.

Gerhard Klaiber (rechts) beim Duell zwischen St. Pauli und Jena, seinem letzten Einsatz auf DFB-Ebene im Mai 1993, mit Referee Günther Frey (Mitte) und Hans-Joachim Lippus. Foto: Archiv

Gerhard Klaiber (rechts) beim Duell zwischen St. Pauli und Jena, seinem letzten Einsatz auf DFB-Ebene im Mai 1993, mit Referee Günther Frey (Mitte) und Hans-Joachim Lippus. Foto: Archiv

Die Ehrenden und die für ihre jahrzehntelangen Dienste geehrten Schiedsrichter bei der Jubiläumsfeier: Obmann Michael Keller, Max Mauser, Gerhard Klaiber, Peter Röhrle, der stellvertretende Obmann Uwe Oesterle, Erich Traub, Verbandsschiedsrichterobmann Volker Stellmach sowie der ehemalige Bundesliga-Referee, aktuelle DFB-Schiedsrichterlehrwart und ARD-WM-Experte Lutz Wagner (von links). Foto: Hans Buchhofer

Die Ehrenden und die für ihre jahrzehntelangen Dienste geehrten Schiedsrichter bei der Jubiläumsfeier: Obmann Michael Keller, Max Mauser, Gerhard Klaiber, Peter Röhrle, der stellvertretende Obmann Uwe Oesterle, Erich Traub, Verbandsschiedsrichterobmann Volker Stellmach sowie der ehemalige Bundesliga-Referee, aktuelle DFB-Schiedsrichterlehrwart und ARD-WM-Experte Lutz Wagner (von links). Foto: Hans Buchhofer

Die Obmänner seit der Gründung

Karl Ehinger (1947 bis 1951)

Eugen Binder (1951 bis 1954)

Albert Keit (1954 bis 1984)

Gerhard Klaiber (1984 bis 1995)

Lothar Fink (1996 bis 2003)

Peter Röhrle (2003 bis 2012)

Michael Keller (seit 2012)

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Erstellt:
1. Dezember 2022, 11:30 Uhr

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