Schlips und feines Tuch am Spielfeldrand

Serie Fußball an Rems und Murr (1960 bis 1970): Die TSG Backnang spielt als Regionalligist für eine Saison bei den Profis mit. Urbach wird für kurze Zeit zur Fußballhochburg im Remstal. FC Viktoria Backnang macht ungeschlagen ein Meisterstück.

Per Flugkopfball beförderte Karl Grözinger Backnang in die Regionalliga. Ein Jahr war die TSG als Zweitligist ein Teil des deutschen Profifußballs, dann ging’s wieder zu den Amateuren. Archivfoto: BKZ

Per Flugkopfball beförderte Karl Grözinger Backnang in die Regionalliga. Ein Jahr war die TSG als Zweitligist ein Teil des deutschen Profifußballs, dann ging’s wieder zu den Amateuren. Archivfoto: BKZ

Von Dieter Gall

In den 60ern konzentrierte man sich in Deutschland immer noch auf den Wiederaufbau der Infrastruktur und auf das Ankurbeln der Wirtschaft. An sechs Tagen der Woche wurde geschuftet, nur am Sonntag konnte man sich der Familie oder dem Fußballlieblingsklub widmen. Schon an der Kleidung der Besucher war zu sehen: Am Vormittag ging es in die Kirche, nach dem Mittagessen zog es die Anhänger des runden Leders auf den Fußballplatz. Die Herren trugen keine Schlabberjeans, sondern standen mit feiner Tuchhose, Jackett und Krawatte herausgeputzt am Spielfeldrand.

Weite Fahrten für Rems-Murr-Klubs: Zu Beginn der 60er-Jahre spielten Klubs wie der SV Fellbach, der TSV Oberurbach, der 1. FC TV Urbach, der VfR Waiblingen und die TSF Welzheim in der 2. Amateurliga, Gruppe 1. Diese Teams mussten bis in den Schwarzwald zu ihren Auswärtsspielen. Damals nicht einfach so zu bewerkstelligen. Der VfB Conweiler und der VfB Pfinzweiler waren Gegner aus dem Raum Pforzheim. In Gruppe 2 war die TSG Backnang einziger Verein aus dem heutigen Rems-Murr-Kreis.

Profifußball in den Etzwiesen: Die TSG setzte Mitte der 60er-Jahre zum Höhenflug an. Als Meister der 2. Amateurliga gelang ihr in der Saison 1964/65 im vierten Anlauf in den Aufstiegsspielen zur 1. Amateurliga der Sprung in die höchste Amateurklasse. Es kam noch besser. Als Vizemeister hinter den nicht aufstiegsberechtigten Amateuren des VfB Stuttgart qualifizierte sich Backnang in der Saison 1966/67 für die Aufstiegsspiele zur Regionalliga Süd, damals zweithöchste deutsche Spielklasse. Ein Flugkopfball von Karl Grözinger machte die Roten um Stürmer Ernst Kress und Torwart Klaus Köngeter am Sonntag, 18. Juni 1967, zum Zweitligisten. 10000 Besucher erlebten in Pforzheim das 1:0 im Entscheidungsspiel gegen den Offenburger FV.

Der Profifußball hatte in der Murr-Metropole Einzug gehalten. Traditionsreiche Vereine wie Kickers Offenbach, der FC Augsburg, Jahn Regensburg oder Darmstadt 98 gastierten im Etzwiesenstadion vor Tausenden von Zuschauern. Einen Rekord gab es mit über 8000 Fans im Heimspiel gegen die Stuttgarter Kickers. Diejenigen, die nicht ins Stadion passten, standen dicht gedrängt oben auf dem Murrtalviadukt. Die Elf mit Spielern wie Kress, Köngeter, Lorenz Fischer, den Brüdern Kurt und Gerhard Rieger, Manfred Kluth, Ernst Werner oder Otto Gerschek tanzte aber nur einen Sommer in Liga zwei. Für Katzenjammer war trotz des Abstiegs jedoch keine Zeit. Der sofortige Wiederaufstieg war das Ziel, wie unserer Zeitung zu entnehmen war. Dort hieß es auch, dass der Verein „finanziell gut über die Runden gekommen ist, obwohl die Vertragsspielermannschaft monatlich rund 13500 Mark verschlang“. Die TSG hatte ihren Spielern ein Grundgehalt von 160 Mark im Monat plus 10 Mark pro Einsatz gezahlt. Für jeden gewonnenen Punkt gab’s zudem 75 Mark Prämie. Der gut beschäftigte Spieler kam so monatlich auf 350 Mark.

Aber nicht nur im Kampf um die Meisterschaft machte die TSG damals positive Schlagzeilen. Am 9. Juli 1966 stand sie im Finale des WFV-Pokals, das gegen die Spvgg Lindau trotz 2:0- und 3:2-Führung noch mit 3:5 verloren wurde. Die Tore von Werner Weingärtner (2) und Manfred Will hatten nicht gereicht.

Unterweissach, Allmersbach und Oberbrüden machen auf sich aufmerksam: Erstmals von sich reden machte der SV Unterweissach in der Saison 1960/61, stieg er doch als Meister der B-Klasse Kreis Backnang in die A-Klasse Rems/Murr auf. Von dort ging’s ein Jahr später mit dem FC Viktoria Backnang aber bereits wieder in die B-Klasse runter. Dafür kehrte der SV Allmersbach als Meister der B- in die A-Klasse zurück. Ein Novum gab’s im Juni 1962 in der C-Klasse Backnang. Am Ende standen gleich drei Klubs mit 30:14 Punkten an der Spitze. Dank der besseren Tordifferenz holte der TSV Oberbrüden den Titel.

Schlips und feines Tuch am Spielfeldrand

In Kirchberg und Großerlach wird gefeiert: In der Saison 1962/63 wurde die SVG Kirchberg Meister der B-Klasse Kreis Backnang und stieg erstmals in die A-Klasse Rems/Murr auf. Einen Meisterwimpel gab es auch für die Sportfreunde Großerlach, die als souveräner Erster der C-Klasse den Aufstieg in die B-Klasse Kreis Backnang geschafft hatten.

FC Viktoria Backnang ungeschlagen Meister: Im Sog der TSG erreichte auch die stadtinterne Konkurrenz des FC Viktoria Backnang sportliche Erfolge. So feierten die Grünen unter Trainer Eugen Frohn in der Saison 1963/64 mit 43:1 Punkten ungeschlagen den Titel der B-Klasse Kreis Backnang. Nach dem Aufstieg wurde der FCV hinter dem SV Plüderhausen gleich Vizemeister der A-Klasse Rems/Murr.

Der SVU sorgte im Sommer 1966 mit Meisterschaft und Wiederaufstieg in die A-Klasse erneut für positive Schlagzeilen. Lippoldsweiler wurde Titelträger in Gruppe 1 der zweigleisigen C-Klasse Murr. Der TSV lag am Ende vor dem SV Burgstall, bei dem die Fußballabteilung mittlerweile längst Geschichte ist.

Urbacher Meisterstücke, TSG bleibt die Rückkehr in die Regionalliga versagt: Für Furore sorgten in der Saison 1967/68 die Teams aus Urbach. Während der 1. FC TV den Titel der 2. Amateurliga, Gruppe 1, holte, feierte der TSV Oberurbach in der A-Klasse Rems/Murr die Meisterschaft. Der TSV Lippoldsweiler schaffte derweil als Titelgewinner der B-Klasse Murr den Sprung in die A-Klasse.

In der C-Klasse Murr, Gruppe 1, gingen die Amateure der TSG Backnang, die in dieser Form nach dem Regionalliga-Aufstieg ins Leben gerufen wurden, als Meister über die Ziellinie, gefolgt von Oberbrüden und Steinbach. Die Erste der TSG verpasste in der 1. Amateurliga Nordwürttemberg in der Saison 1968/69 als Tabellendritter hinter Meister VfR Heilbronn und dem SV Göppingen den Titel und den Wiederaufstieg nur knapp.

Einen Riesenerfolg feierte der SVU im Sommer 1970 mit der Meisterschaft in der A-Klasse. Damit stieg das Tälesteam erstmals in die 2. Amateurliga, Gruppe 1, auf. Als Spieler mit am Ball: Erich Hägele, heute Präsident des Sportkreises Rems-Murr. In der C-Klasse wurde der TSV Oberbrüden Meister. Dessen Coach Fritz Kübler machte sich als TSG-Vorsitzender, Oberstudienrat und stellvertretender Schulleiter des Tausgymnasiums sowie Backnanger Kommunalpolitiker später auch anderweitig einen Namen.

Meister mit Oberbrüden: Fritz Kübler, später unter anderem jahrelang in Backnang als Kommunalpolitiker aktiv. Foto: M. Melchert

Meister mit Oberbrüden: Fritz Kübler, später unter anderem jahrelang in Backnang als Kommunalpolitiker aktiv. Foto: M. Melchert

Mit der Serie blicken wir auf die sieben Jahrzehnte Fußball im Murrtal und auch an der Rems nach dem Zweiten Weltkrieg zurück. Wir erzählen von großen Erfolgen, heißen Duellen und Vereinen sowie Ligen, die es nicht mehr gibt oder andere Namen haben.

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Erstellt:
24. Februar 2021, 06:00 Uhr

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