„Sehr zufrieden“: Beckenbauer feiert 75. Geburtstag

dpa München. Franz Beckenbauer darf zum 75. Geburtstag auf eine der größten Karrieren im Weltsport zurückblicken. Doch der „Kaiser“ steht nicht nur als Allesgewinner des Fußballs im Fokus. Hansi Flick hegt einen Wunsch - auch für die neue Saison.

Kan zu seinem 75. Geburtstag auf ein bewegtes Leben zurückblicken: Fußball-Idol Franz Beckenbauer. Foto: Sven Hoppe/dpa

Kan zu seinem 75. Geburtstag auf ein bewegtes Leben zurückblicken: Fußball-Idol Franz Beckenbauer. Foto: Sven Hoppe/dpa

Vor seinem 75. Geburtstag kam Franz Beckenbauer ins Philosophieren.

„Ich muss sagen, dass mich dieses Alter zum ersten Mal in meinem Leben ein bisschen nachdenklich macht. Alle anderen Geburtstage sind leichter an mir vorübergegangen“, sagte der „Kaiser“ tiefsinnig und ganz ohne die ihm eigene Leichtigkeit. Am heutigen Freitag (11. September) feiert der vielleicht größte deutsche Fußballer seinen Ehrentag im Familienkreis. Beckenbauer blickt kurz vor diesem runden Geburtstag „sehr zufrieden“ auf sein Leben zurück.

„Ich denke, das gehört zum Leben dazu, dass man zwangsläufig mal an den Punkt kommt, an dem man darüber nachdenkt, dass das Leben endlich ist: Wann ist es so weit, dass du entschwindest? Und in welche Sphären? Das Weltall da draußen ist groß genug - es gäbe jedenfalls genug Möglichkeiten, wohin es einen verschlagen könnte“, sinnierte der lächelnde Beckenbauer im Mitgliedermagazin „51“ des FC Bayern.

Die „Lichtgestalt“ hat sich in den vergangenen Jahren öffentlich rar gemacht. Selbst Stadionbesuche, wie sie in der Rückrunde der Münchner Triple-Saison bei Geisterspielen der Fall waren, sind für den „Kaiser“ keine Selbstverständlichkeit mehr. Mit Mund-Nasen-Schutz oder Gesichtsvisier freute sich Beckenbauer in den vergangenen Monaten in der Münchner Arena über zwei klare Bayern-Siege.

„Ein hervorragendes Fußballspiel“ machte der Alleskönner im deutschen Fußball beim viel beachteten Stadion-Comeback nach langer Pause im Mai beim 5:2 gegen Eintracht Frankfurt aus. Legendärer als Lob sind aber Wutausbrüche, Tadel oder Spott des einstigen Stilisten, der als DER Libero ein Inbegriff von Eleganz auf dem Rasen war.

Über „Obergiesing gegen Untergiesing“ oder „Rumpel-Fußball“ schimpfte Beckenbauer immer wieder mal bei seinen scharfen Analysen. Das Video der legendären Bankettrede auf dem Weg zum Champions-League-Sieg 2001, als er das Team um Stefan Effenberg und Oliver Kahn als „Uwe-Seeler-Traditionsmannschaft“ verhöhnte, war vor dem diesjährigen Triple-Triumph seines heiß geliebten Clubs Dauerbrenner im Internet.

Neuere Auftritte dieser Güteklasse gibt es nicht. Der Ehrenpräsident des FC Bayern und Ehrenspielführer der Nationalmannschaft, der einst gerne in jedes Mikrofon plauderte oder eine Jahreshauptversammlung des Rekordmeisters als Alleinunterhalter leiten konnte, hat sich mehr und mehr zurückgezogen.

Ob neben dem reiferen Alter, dem Blick auf die Gesundheit und dem Wunsch nach mehr Familienzeit dabei auch ein Zusammenhang mit den vielen Unklarheiten rund um die Vergabe der WM 2006 besteht, ist nicht bekannt. Beckenbauer konnte kein Vergehen nachgewiesen werden. Das Verfahren in der Schweiz gegen ihn wurde wegen seines schlechten Gesundheitszustands abgekoppelt. Letztlich verjährte es wie auch das gegen drei enge Wegbegleiter aus der Sommermärchen-Zeit.

Im Frankfurter Steuerprozess ist Beckenbauer, der eine WM-Führungsrolle hatte, nicht beschuldigt. Der Mythos Beckenbauer wurde beschädigt, dubiose Millionenzahlungen bleiben unaufgeklärt. „Ich sehe zwar, dass mittlerweile akzeptiert wird, dass da nichts war, aber die letzten Jahre waren schon hart“, sagte Beckenbauer in dieser Woche der „Bild“-Zeitung.

Bis dahin war das sportliche Werk Beckenbauers im Grunde nur von Glanz und Gloria geprägt. Fußball-, Werbe- und Medien-„Kaiser“, Weltmeister-Teamchef, WM-Macher - praktisch alles, was der am 11. September 1945 wenige Monate nach Kriegsende im Arbeiterviertel München-Giesing geborene Sohn eines Postbeamten anfasste, wurde zu Gold. Dank Souveränität und Leichtigkeit wirkte Beckenbauer stets, als stünde er über den Dingen.

„Du bist der erste und beste Vertreter des FC Bayern. Wo Du warst, was Du auch machtest: Du hattest den ganz großen Erfolg“, rühmte ihn einst Bayern-Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge. „Franz Beckenbauer ist das größte Glück des deutschen Fußballs. Es gab keinen besseren vor ihm und es wird auch kein besserer nachkommen“, erklärte WM-Gefährte Günter Netzer.

Auch Joachim Löw schwärmt von Beckenbauer. „Den Franz Beckenbauer habe ich immer bewundert, und der Franz Beckenbauer ist die Lichtgestalt im deutschen Fußball“, befand der Bundestrainer. Persönliche Treffen seien immer eine wahnsinnige Freude, „weil er immer eine gute Geschichte zu erzählen hat. Es ist eine große Ehre für mich, ihn zu kennen, und ich bewundere ihn.“

Triple-Trainer Hansi Flick kennt Beckenbauer ebenfalls schon lange. „Er ist ein Mensch, der im Fußball eine große Vergangenheit hat, gerade auch beim FC Bayern München“, sagte Flick nach einem Besuch des „Kaisers“ in diesem Jahr in der Arena. „Ich freue mich, dass er so ein Spiel gesehen hat und hoffe, dass er noch öfter kommt.“ Zum Geburtstag wünscht Flick Beckenbauer „viel Gesundheit“.

Die ist Beckenbauer im reiferen Alter ganz wichtig geworden. Zwei Herzoperationen hat er hinter sich, auch ein künstliche Hüfte bekam er eingesetzt. Golf war seine sportliche Leidenschaft nach der Laufbahn als Fußballer, in der der Mann mit dem feinen Außenristpass alle Ziele erreichte: Weltmeister, Europameister, Europapokalsieger und, und, und. Es folgten nach Stationen bei Cosmos New York und dem Hamburger SV nahtlos Erfolge in der Karriere nach der Karriere. Neben dem Brasilianer Mario Zagallo und dem Franzosen Didier Deschamps ist er der einzige, der als Spieler und Trainer Weltmeister wurde. Später holte er dann als Sportfunktionär die WM nach Deutschland.

Gerne wurde Beckenbauer mit seiner lapidaren Anweisung „Geht's raus und spielt's Fußball“ zitiert. Der gelernte Versicherungskaufmann arbeitete aber auch hart und detailversessen für seine Erfolge. „Das Glück kommt nicht zum Fenster hereingeflogen. Du brauchst Fleiß und Durchhaltewillen. Das Glück muss man sich erarbeiten“, sagt Beckenbauer selbst gerne. Trotzdem wirkte es immer mühelos. Bezeichnend, dass er einst beim Schuss auf die berühmte Torwand des ZDF-Sportstudios von einem vollen Weißbierglas traf.

Der alte Franz gab und gibt auch immer gerne die schöne Anekdote zum Start der Weltkarriere zum Besten: Die Watschn, eine Episode aus Münchner Jugendtagen. In Giesing verpasste ihm der „60er“ Gerhard König eine Ohrfeige - weshalb der junge Franz zum FC Bayern wechselte und nicht zu den „Löwen“. Wer weiß, wie alles gekommen wäre...

Auch mit Mitte 70 ist Beckenbauer immer noch rank und schlank. Auf das Äußere legt der zum dritten Mal verheiratete Münchner seit jeher Wert. „Alle Sonntage der Welt sind in mir vereint. Wenn man so ein Leben hat in diesen 70 Jahren, angefangen aus dem Nichts kommend und dann durch den Fußball die Kurve nach oben zu kriegen...“, beschrieb es Beckenbauer zum Ehrentag vor fünf Jahren. Damals feierte er nicht groß. Wenige Wochen zuvor war sein Sohn Stephan im Alter von 46 Jahren an einem Gehirntumor gestorben. Es sei „der größte Verlust“ in seinem Leben gewesen, sagt der Vater von insgesamt fünf Kindern.

© dpa-infocom, dpa:200911-99-515497/2

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Erstellt:
11. September 2020, 07:43 Uhr

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