Sorg ohne Chef-Allüren - Löw hat das letzte Wort

dpa Venlo. Marcus Sorg imitiert Joachim Löw nicht - trotz Trillerpfeife. Die ungewohnte Situation ohne den Bundestrainer soll keine negativen Auswirkungen auf die anstehenden Punktspiele haben. Die erste Personalentscheidung verkündet in Venlo der Bundestorwarttrainer.

Co-Trainer Markus Sorg (r) leitet das Training vor den Spielen gegen Weißrussland und Estland. Foto: Marius Becker

Co-Trainer Markus Sorg (r) leitet das Training vor den Spielen gegen Weißrussland und Estland. Foto: Marius Becker

Marcus Sorg packte erstmal kräftig mit an. Der Assistent von Joachim Löw schleppte mit den Betreuern ein Tor auf den Trainingsplatz der Fußball-Nationalmannschaft in Venlo.

Das Bild verdeutlichte, was Sorg zwei Stunden später in der VVV Arena bei seiner ersten Pressekonferenz in Vertretung des Bundestrainers auch verbal verkündete. Den Chef will er gar nicht herauskehren.

„Ich sehe mich hier selbstverständlich nicht in der Rolle des Bundestrainers“, sagte Sorg. Das unterstrich er noch mit der Ansage, dass der aus gesundheitlichen Gründen fehlende Löw natürlich auch die finale Instanz bei Aufstellung und Taktik für das an diesem Samstag (20.45 Uhr/RTL) in Borissow anstehenden EM-Qualifikationsspiel gegen Weißrussland bleibe. „Im Endeffekt hat der Bundestrainer das letzte Wort. Und das wird auch in diesem Fall so sein“, erklärte Sorg.

Der 53-Jährige weiß dennoch, dass er am Spielfeldrand die Verantwortung für das Geschehen auf dem Rasen tragen wird und nicht der TV-Zuschauer Löw daheim. „Am Ende des Tages werden Trainer daran gemessen, was am Wochenende herauskommt“, sagte Sorg. Die eigene Vorgabe lautet: Auf den furiosen Start in die Ausscheidungsrunde für die Europameisterschaft 2020 mit dem 3:2 gegen den Hauptkonkurrenten Niederlande sollen zwei weitere Erfolge in Weißrussland und drei Tage später in Mainz gegen Estland folgen. „Wir wollen mit neun Punkten in die Sommerpause gehen“, formulierte Sorg deutlich: „Wir wollen mit aller Macht eine optimale und souveräne Qualifikation.“

Löws Fehlen wird im DFB-Tross ganz bewusst nicht dramatisiert. „Wir sind ruhig, weil wir mit Jogi eng in Kontakt stehen“, berichtete DFB-Direktor Oliver Bierhoff, der positive Nachrichten überbrachte. Es gehe Löw nach einer Arterienquetschung bereits wieder „sehr gut“.

Bierhoff vertraut „dem Vollblut-Trainer“ Sorg, dem er die Bewältigung der für alle neuen Situation zutraut. „Marcus hat den Mut zu klaren Vorstellungen.“ Sorg versucht nicht, Löw zu imitieren, auch wenn er auf dem Trainingsplatz dessen Trillerpfeife übernommen hat und die Spieler ausnahmsweise vor allem auf sein Kommando hören müssen. „Ich bin seit 20 Jahren im Hauptberuf Trainer. Ich bin es gewohnt, vor einer Gruppe zu reden, Training durchzuführen und Entscheidungen zu treffen“, sagte Sorg selbstbewusst.

Seine Hauptaufgabe sieht er darin, die 22 nominierten Spieler zwei Wochen nach dem Bundesligaende und einigen Urlaubstagen körperlich und mental wieder in den Wettkampfmodus zu bringen. „Es ist das Anforderungsprofil an einen Nationalspieler, dass er sich nach einer Pause schnell wieder hochfahren kann“, dozierte Sorg. Die erste Übungseinheit sei aber noch „ein weicher Einstieg“ gewesen.

Die erste Personalentscheidung verkündete nicht Sorg, sondern der Bundestorwarttrainer. „Manuel Neuer wird natürlich gegen Weißrussland spielen. Er ist unser Kapitän, er ist unsere Nummer eins. Und er hat nach seiner Verletzung ein tolles Pokalfinale gespielt“, sagte Andreas Köpke über den Torhüter des FC Bayern.

Beim ersten Training fehlte noch Matthias Ginter. Der 25 Jahre alte Gladbacher durfte nach seiner Hochzeit verspätet anreisen. Keiner der 22 Spieler im Kader hat jemals einen anderen Bundestrainer als Löw beim DFB erlebt, auch nicht der 33 Jahre alte Teamsenior Neuer. Umso aufmerksamer blicken nun alle auf Sorg, der seit drei Jahren Löws Assistent ist. „Mal schauen, wie er es macht“, bemerkte der Kölner Jonas Hector. Was sportlich auf das Team zukommt, ist den Spielern laut Hector bewusst. „Gerade Auswärtsspiele können immer gefährlich sein, auch gegen vermeintlich kleinere Nationen.“

Bierhoff musste noch einmal die Quartierwahl in Holland für das „Mini-Trainingslager“ bis zur Abreise nach Minsk am Freitag rechtfertigen. Das exklusiv angemietete Hotel, die Trainingsplätze beim Erstligisten VVV-Venlo und die Nähe zu Aachen hätten für den Aufenthalt im Nachbarland gesprochen. „Wir hatten gerade Europawahl. Wir sehen da keine Grenzen mehr“, sagte Bierhoff. Um Abschottung gehe es nicht: „Es hat nichts damit zu tun, dass wir uns einigeln wollen.“

Am Mittwoch (17.30 Uhr) werden sich Leroy Sané, Serge Gnabry und Kollegen bei einem speziellen Fan-Event auf dem Aachener Tivoli den deutschen Fans präsentieren. Die 30 000 kostenlosen Karten sind vergriffen. „Das ist ein tolles Feedback“, sagte Bierhoff zum Interesse am Nationalteam: „Wir wollen die Fan-Nähe haben.“ Eine „Spaß-Einheit“ soll das interne Trainingsspiel aber nicht werden.

Denn für alle hat Priorität, den abwesenden Chef in der letzten Arbeitswoche vor dem Sommerurlaub zufriedenzustellen. Vor allem Sorg will Toparbeit abliefern, „zur Zufriedenheit des Bundestrainers“. Es sei schon „speziell und ungewohnt, wenn der Cheftrainer nicht dabei ist“, bestätigte der Assistent. Schmunzeln musste Sorg, als er gefragt wurde, ob er als Ersatz-Chef womöglich auf Löws Job schiele. Natürlich nicht, lautete seine Antwort: „Das weiß der Joachim Löw, dass er sich darauf verlassen kann. Das muss ich nicht versprechen.“

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Erstellt:
3. Juni 2019, 15:40 Uhr

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