Thomas Melchior
„Sportwettensheriff“ provoziert in Rivalen-Trikots vor Stadien – auch beim VfB
Thomas Melchior hat durch Sportwetten alles verloren. Mit polarisierenden Aktionen macht er nun junge Menschen auf die Gefahren aufmerksam. Zuletzt ging das wortwörtlich ins Auge.
© Hansjürgen Britsch/Pressefoto Baumann
Thomas Melchior im Jahr 2023 vor der Stuttgarter Arena im VfB-Trikot. Inzwischen ist er mit Trikots der größten Rivalen vor deutschen Stadien unterwegs.
Von Michael Bosch
Die Spielsucht hat das Leben von Thomas Melchior zerstört. 13 Jahre ging es nur um den nächsten Einsatz, die nächste gute Quote – am Ende hatte er 800.000 Euro verloren und mehr als fünf Jahre im Knast verbracht.
Heute will der Ex-Knacki seine Erfahrungen weitergeben, um junge Menschen für die Gefahren des Glücksspiels zu sensibilisieren. In – oder besser gesagt vor – deutschen Fußballstadien ist er als „Sportwettensheriff“ unterwegs. Für die gute Sache setzt er sich bewusst einem Risiko aus.
VfB-Fans bei Aktion laut Melchior „sehr cool“
Der 50-Jährige trägt stets die Trikots des größten Rivalen der Heimmannschaft. Mit seinen Aktionen provoziert Melchior teils heftige Reaktionen, er wird angefeindet, mit Schmähgesängen bedacht und auch mal beleidigt. Auf dem Betzenberg in Kaiserslautern hatte er ein Jersey von Waldhof Mannheim an, in Braunschweig trug er ein Hannover-Trikot – und auch in Stuttgart war er bei einem Heimspiel unterwegs. In einem KSC-Trikot traute er sich vor die MHP-Arena. Die Polizei schritt ein, weil sich die Beamten Sorgen um Melchiors Sicherheit machten. Ansonsten seien die VfB-Fans insgesamt „sehr cool“, „sehr entspannt“ gewesen, so Melchior.
Es war nicht der erste Berührungspunkt für den gebürtigen Magdeburger mit dem Club aus Cannstatt. Im Spätsommer und Herbst 2023 hatte Melchior sein Gesicht für eine Kampagne gegen den damaligen Trikotsponsor Winamax hergegeben. Zwei Litfaßsäulen hatte der Anti-Glücksspiel-Aktivist an zwei Heimspieltagen auf die Mercedesstraße gepackt und die Fans des VfB Stuttgart mit einer klaren Botschaft empfangen: „Werbung für Sportwetten auf meinem VfB-Trikot? Ohne mich.“ Melchior sprach hinterher von einer „rundum gelungenen Aktion“.
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Dass Melchior bei seinen Auftritten im Rivalen-Trikot immer ein Schild trägt mit der Aufschrift „Wette verloren“ hat ihn bis jetzt vor schweren Übergriffen bewahrt. Bis zum vergangenen Wochenende. Beim Heimspiel des SV Darmstadt 98 gegen Magdeburg trug Melchior ein Trikot von Eintracht Frankfurt und das Schild. Das Leibchen provozierte einen Darmstadt-Fan offenbar derart, dass er Melchior ins Gesicht schlug. „Ich provoziere keine Konflikte oder Hass, meine Aktionen machen den vorhandenen Hass jedoch sichtbar“, schrieb Melchior auf seinen Social Media-Kanälen. Er sei bereit, in den Austausch mit dem Fan zu gehen, der ihn geschlagen habe.
Angriff auf „Sportwettensherriff“: „Mir geht’s gut, ich mach weiter“
Das zeigt sich ohnehin: Melchior polarisiert, er kommt so aber mit Leuten ins Gespräch – und kann seine Botschaft platzieren. Von der deutschlandweiten medialen Präsenz ganz zu schweigen. Er habe nach einem Weg gesucht, „das Thema Spielsucht so zu verpacken, dass es auch bei der jungen Generation ankommt. Der übliche Weg von Suchtberatungen ist, sich mit einem Pavillon und ein paar Flyern in die Fußgängerzone zu stellen und zu sagen ‚Spielsucht ist schlecht’. Das funktioniert so heute nicht mehr“, sagte Melchior dem SWR. Da wusste er noch nicht, dass er bald mit einem Fan richtig aneinandergeraten wird.
„99 Prozent der Leute reagieren super und ein Prozent nehmen Fußball manchmal ein bisschen zu ernst oder verstehen es nicht. Mit Kritik kann ich locker umgehen. Mit Gewalt nicht.“ Die hat er nun in Darmstadt aber erfahren. Von seinem Weg abbringen wird das Melchior nicht. „Mir geht’s gut, ich mach weiter“, ließ er noch wissen.
Spielsüchtiger, Ex-Knacki, Influencer
SuchtThomas Melchior kam nach eigenen Angaben 2005 erstmals mit Sportwetten in Berührung, über einen TV-Spot. Die „Karriere“ verlief ähnlich wie bei anderen Betroffenen. Am Anfang standen kleine Gewinne, schnell überwogen die Verluste. Auch den Job und seine Wohnung verlor er, um die Sucht zu finanzieren, beging er Straftaten. 2019 wurde er festgenommen und zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Im Gefängnis fasst er den Entschluss, sein Leben fortan dem Kampf gegen Sportwetten zu widmen und Aufklärungsarbeit zu leisten.
Autor und Influencer Melchior hat das Buch „Mein Leben ist kein Spiel“ geschrieben und engagiert sich im Bündnis gegen Sportwetten-Werbung. Als „Sportwettensherrif“ erreicht er auf Instagram und Tiktok um die 90.000 Follower.
HilfeHilfe bei Fragen rund um Spielsucht bietet unter anderem die Landesstelle für Suchtfragen in Baden-Württemberg. Auch die kirchlichen Einrichtungen wie die Caritas oder die Evangelische Gesellschaft Stuttgart e.V. bieten entsprechende Angebote. Anonym bleibt man beispielsweise beim Hilfetelefon Glückspielsucht oder der Onlineberatung „DigiSucht“. Personen, die unsicher sind, ob sie eine Glücksspielsucht haben, können online einen Selbsttest durchführen, wie etwa den Test „Check dein Spiel“.
