DFB-Elf in der Nations League

Timo Werner – das Sinnbild der Sturmflaute

Beim 1:1 gegen Ungarn spitzt sich die Harmlosigkeit der DFB-Elf zu. Der gebürtige Stuttgarter Timo Werner gibt mal wieder ein Sinnbild der mangelnden Torgefahr ab – wird aber hinterher verteidigt.

Hier geblieben! Ungarns

© dpa/Federico Gambarini

Hier geblieben! Ungarns

Von Marco Seliger

Der berüchtigte in Schwarz gekleidete ungarische Mob hinter dem Tor war für seine Verhältnisse gemäßigt unterwegs, zumindest was Botschaften gegen die DFB-Elf anging. Zarte Pfiffe zum Empfang der Deutschen beim Aufwärmen, bei der Verkündung der Aufstellung wurden sie dann ein bisschen lauter, aber später, beim Abspielen der Hymne und während des Spiels, gab es genau: nichts mehr. Es kam also nach homophoben und rassistischen Auswüchsen der Ultras während und nach der EM 2021 weniger als befürchtet von den Rängen in Budapest.

Es ging angenehmerweise nur ums Sportliche an diesem heißen Samstagabend in Ungarns Hauptstadt. Und damit um einen missratenen Auftritt der DFB-Elf beim 1:1 in der Nations League – dem vierten 1:1 nacheinander unter dem Bundestrainer Hansi Flick. Hinterher saß der Coach auf dem Podium im dunklen, an den Wänden in Schwarz gehaltenen Presseraum der Arena in Budapest und war selbst überrascht von dem, was er da vorher von einen Jungs gesehen hatte. So schlecht zu spielen, in allen Mannschaftsteilen (den starken Manuel Neuer im Tor mal wieder ausgenommen) – nein, das hatte Flick seiner Elf so nicht zugetraut.

Lesen Sie aus unserem Plus-Angebot: Unser Kommentar zum Spiel in Ungarn

Düster waren dann, passend zum Ambiente, auch seine Analysen. „Wir waren zu schleppend im Spielaufbau“, sagte Flick, „insgesamt haben wir zu viel zugelassen.“ Und überhaupt, so Flick weiter. Wenn man mal die Statistik nehme, „dann glaube ich nicht, dass wir viele Torabschlüsse hatten“.

Nur sieben Torschüsse

Damit waren die wesentlichen Dinge angesprochen. Das fehlende Tempo im Spiel war das eine, hinzu kamen dicke Patzer in der Abwehrreihe, wo sich David Raum, Niklas Süle und Nico Schlotterbeck in ihren Unzulänglichkeiten überboten – das Hauptproblem aber lag weiter vorne. Dort also, wo Flick richtig lag mit seiner Vermutung. Denn am Ende waren es sieben Torschüsse der deutschen Elf in Budapest. Es soll Stürmer geben, die schaffen das alleine in einem Spiel. Oder in einer Halbzeit.

Als Sinnbild der Harmlosigkeit taugte wieder einmal Angreifer Timo Werner, der von Flick trotz oft durchwachsener Leistungen seit Monaten protegiert wird. „Ich würde es unter dem laufen lassen, dass bei uns in der Mannschaft komplett die Überzeugung fehlt“, sagte der Bundestrainer nun in Budapest: „Es ist schon so, dass Timo einen großen Aufwand hat und versucht, den Gegner unter Druck zu setzen, dass er sich immer wieder anbietet.“ Aber, so Flick weiter: Was letztendlich fehle, sei einer im Team, der „vielleicht auch mal den Mut fasst und aus der zweiten Reihe abzieht.“

Mann vom Fach

Flick also schiebt die mangelnde Torgefahr in bester Trainerdiplomatie nicht auf Einzelne – und ist damit auf einer Linie mit dem Mann, der im Stab der Nationalelf vom Fach ist. Oliver Bierhoff, Ex-Stürmer, im Sommer 1996 EM-Siegtorschütze und heute DFB-Direktor, spricht bei der Thematik gerne von einem seit Jahren bekannten Grundproblem. „Wir haben torgefährliche Spieler, aber natürlich nicht mehr diesen klassischen Stürmer, den man in Europa auch sieht“, sagt er und nennt Robert Lewandowski, Erling Haaland oder Karim Benzema als leuchtende Beispiele dieser Spezies.

Der Mangel an Effizienz im deutschen Angriff wiederum, so Bierhoff weiter, hänge auch mit der Ausbildung zusammen, denn: „Wir sind an der einen oder anderen Stelle zu verspielt und weniger nüchtern“. Dabei habe den deutschen Fußball eine gewisse Kaltschnäuzigkeit über Jahrzehnte ausgezeichnet. Was Bierhoff meint: Früher gab es noch die Stoßstürmer, die Knipser, die technisch nicht die besten oder besonders schnell waren, aber den berühmten Riecher hatten. Heute gibt es diese Typen aufgrund der Fokussierung auf technische und kollektivtaktische Inhalte in den Nachwuchsleistungszentren der Clubs in den vergangenen beiden Jahrzehnten so eher nicht mehr.

Flicks Ansichten

Es ist ein Problem, das Bundestrainer Flick zumindest öffentlich gerne kleinredet. Die Flexibilität vorne, sagt er, „kann uns einen großen Vorteil schenken“. Dabei klappt es mit eher fachfremdem Personal wie mit Werner oder Kai Havertz mal besser und mal schlechter – mit Werner klappte es jetzt gegen Ungarn zum wiederholten Male nicht.

Hinterher setzte Bierhoff dann zur Verteidigungsrede für den gebürtigen Cannstatter an. Wie er selbst in seiner aktiven Karriere sei Werner, so sagte es der DFB-Direktor, „ein Spieler, der ein bisschen polarisiert. Er ist aber auch jemand, der unglaubliche Meter für die Mannschaft macht.“

Bierhoff sieht den 26-Jährigen zumindest am Samstag im Rückblick als Opfer der mangelnden Spielkultur der deutschen Elf. Denn Werner, so sagte es Bierhoff, brauche Platz: „Er ist kein Spieler, der auf kleinstem Raum Kombinationsfußball spielt, er braucht diese Räume, diese Pässe in die Tiefe – das haben wir gegen die Ungarn zu wenig geschafft.“

Zum Artikel

Erstellt:
12. Juni 2022, 17:42 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen