Hansi Flicks begrenzter Spaß an den Comeback-Bayern

dpa München. Früher (ent)nervte der Bayern-Dusel die Gegner. Jetzt ärgern sie die Comeback-Bayern. 18 Punkte nach Rückstand sind ein Rekord, der Stärke zeigt und Risiken birgt. Der Trainer kann sich gerade nur auf drei Giganten total verlassen - darunter ein ersehnter Rückkehrer.

Trainer Hansi Flick verfolgt das Spiel. Foto: Sven Hoppe/dpa

Trainer Hansi Flick verfolgt das Spiel. Foto: Sven Hoppe/dpa

Mit dem Gute-Laune-Hansi ist es in München gerade vorbei. Ohne Corona hätten über 70.000 Fans garantiert ihre helle Freude am Sieben-Tore-Spektakel ihrer Comeback-Bayern gegen lange furios aufspielende Mainzer Abstiegskandidaten gehabt.

Aber Hansi Flick hatte beim Münchner Fußball-Opening 2021 nur noch bedingt Spaß an der zur Gewohnheit werdenden Aufholjagd. „Ich hoffe, dass das ein Weckruf genug war. Man kann das nicht in jedem Spiel wieder so gut machen“, sagte Flick nach dem 5:2 nach 0:2. „Ich kann schon auch laut werden, kein Problem“, verriet er zu seiner Halbzeit-Ansprache.

Zum achten Mal nacheinander gerieten die Titelsammler um das Giganten-Trio Robert Lewandowski, Manuel Neuer und Joshua Kimmich in der Bundesliga in Rückstand. Kein Spiel beendete der Tabellenführer als Verlierer, fünf Siege und drei Remis wurden noch erzwungen. 18 Punkte nach Rückstand nach 14 Spieltagen sind Rekord. Aber einer, der im engen Spielplan mit maximal noch 34 Partien in Liga, Champions League, DFB-Pokal und Club-WM bis Ende Mai „sehr anstrengend“ ist, wie der wertvolle Startelf-Rückkehrer Kimmich nachdenklich sagte.

„Volle Attacke“ habe zur Pause die Ansage gelautet, erzählte Leroy Sané, der neben Kimmich, Niklas Süle und dem doppelt treffenden Lewandowski zum Fünf-Tore-Umschwung beitrug. „Bei uns sieht man schon, selbst wenn wir 0:2 hinten sind, da geht noch was. Wir haben genügend Qualitäten, um die Spiele umzudrehen“, sagte Kimmich.

Aber die Spieler und erst recht Flick ahnen, dass die riskante Zockerei nicht auf Dauer gut gehen kann, gerade in den Spielen, wenn es wieder um die Trophäen gehen wird. Flick sprach Klartext: „In der ersten Halbzeit war unser Defensivverhalten nicht das, was man sich von einer Spitzenmannschaft vorstellt.“ Flick handelte aber auch: Zur Pause wechselte er Süle und Goretzka ein. Der entscheidende Schachzug aber war, Kimmich vom Zentrum auf die rechte Seite zu verschieben.

„Joshua hat in der zweiten Halbzeit gezeigt, wie man einen Außenverteidiger interpretiert“, sagte Flick. Es war ein Lob für Kimmich - und eine verbale Ohrfeige für Weltmeister Benjamin Pavard, der im Dauerformloch versinkt. Kimmich köpfte das 1:2, bereitete Sanés 2:2 vor und avancierte damit neben Neuer, der mit einem Reflex den Mainzer K.o.-Hieb zum 0:3 verhindert hatte, zum Matchwinner.

Flick rühmte nicht nur die „top Mentalität“ des während seiner wochenlangen Knieverletzung so schmerzlich vermissten Kimmich. „Er ist einfach auch ein genialer Fußballer. Er ist auf der Position Sechs oder als Außenverteidiger aktuell mit der Beste.“ Und zwar nicht nur in Deutschland, sondern auf der Welt, meinte Flick.

Neben Kimmich und Neuer können sich die Bayern auch im neuen Jahr gleich wieder auf ihren Weltfußballer 2020 verlassen. Wie bei den 2:1-Kraftakten gegen Wolfsburg und in Leverkusen vor Weihnachten bejubelte Lewandowski wieder einen Doppelpack. Auf 19 Tore kommt der Bayern-„Bomber“ der Gegenwart nach 14 Spieltagen. Das veranlasste Rekordnationalspieler Lothar Matthäus zur Prognose, dass Gerd Müllers fast 50 Jahre alte 40-Tore-Marke in dieser Saison mehr als nur wackeln wird: „Ich bin überzeugt, dass er den Rekord bricht.“

Flick genügt es freilich nicht, wenn er sich nur auf Lewandowski, Neuer oder Kimmich ständig verlassen kann. „Wir müssen versuchen, dass jeder Einzelne wieder an die Leistungsgrenze kommt.“ Einen Schritt nach vorne machte immerhin Sané. Nach dem Tiefpunkt seiner Ein- und Auswechslung in Leverkusen verließ der begnadete Dribbler diesmal „zufrieden“ mit sich selbst die leere Arena. „Er weiß, dass das in jedem Spiel gefordert ist“, bemerkte Flick zu Sané.

Allgemein befand der Coach: „Die Mannschaft hat in der zweiten Halbzeit gezeigt, dass sie auch anders kann. Das ist der Maßstab.“ Und das wird Flick seinen Comeback-Stars in den wenigen Tagen bis zur nächsten Prüfung am Freitag eintrichtern. „Und dann gucken wir, dass wir gegen Gladbach von Anfang an besser auf dem Platz sind.“ Sonst ist es mit dem Gute-Laune-Hansi in München erstmal länger vorbei.

Im Auswärtsspiel bei Borussia Mönchengladbach am kommenden Freitag könnte Flick wieder über mehr personelle Optionen verfügen. Die Offensivspieler Kingsley Coman und Joshua Zirkzee sowie Mittelfeldakteur Marc Roca und Außenverteidiger Bouna Sarr konnten am Montag wieder mit den Reservisten trainieren. Das zuletzt angeschlagene Quartett hatte gegen Mainz gefehlt.

Nationalspieler Serge Gnabry musste zu Wochenbeginn pausieren. Der Angreifer hatte sich gegen die Mainzer bei einem Foul eine Prellung zugezogen. Der 25-Jährige konnte aber am Montag nach einer Untersuchung Entwarnung geben. „Ich habe Glück gehabt, dass nichts Schlimmeres passiert ist“, wurde er auf der Bayern-Homepage zitiert.

Er habe durch den Schlag lediglich einen Bluterguss oberhalb des Schienbeins erlitten, berichtete Gnabry. „Wir müssen nun sehen, wie es sich entwickelt.“ Die Prellung sei schmerzhaft.

© dpa-infocom, dpa:210104-99-888478/5

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Erstellt:
4. Januar 2021, 04:59 Uhr

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