Christian Steinle von den Stuttgarter Kickers

Wie der Aufsichtsratschef die Zukunft der Blauen sieht

Christian Steinle steht als Fan im B-Block, fungiert als Aufsichtsratsvorsitzender und gilt als möglicher Nachfolger von Präsident Rainer Lorz bei den Stuttgarter Kickers. Wie sieht er die Perspektiven der Blauen?

Christian Steinle bei der Hauptversammlung im November 2021  und als Fan im Block beim Aufstiegsspiel am 8. Juni 2022 gegen Eintracht Stadtallendorf.

© Markus Schwarz/Kickers/StZN

Christian Steinle bei der Hauptversammlung im November 2021 und als Fan im Block beim Aufstiegsspiel am 8. Juni 2022 gegen Eintracht Stadtallendorf.

Von Jürgen Frey

Christian Steinle sitzt im sechsten Stock seiner Kanzlei im Herzen von Stuttgart. Vom Besprechungsraum aus hat man einen schönen Blick über die Stadt hoch bis zum Fernsehturm. Am Fuße des Wahrzeichens liegt die Heimat der Stuttgarter Kickers. Und wenn der Aufsichtsrats-Vorsitzende der Blauen auf das dramatische Ende der nervenaufreibenden Saison angesprochen wird, sagt er als erstes: „So grausam kann Fußball sein.“ Dass der Aufstieg in die Fußball-Regionalliga erneut verpasst wurde, hat natürlich auch ihn hart getroffen. Zumindest den Tag nach dem 1:1 bei Eintracht Trier hat der 50-Jährige gebraucht, um sich zu sammeln, die Enttäuschung aus den Klamotten zu schütteln. Dann aber richtete er den Blick nach vorne. Voller Zuversicht. Voller Optimismus. „Jetzt erst recht.“ Diese drei Worte fallen nicht nur einmal im Gespräch.

Steinle betont Weiterentwicklung

Natürlich kennt auch Christian Steinle die harten Fakten. Trotz professioneller Bedingungen heißt die Realität nun schon ein fünftes Jahr fünfte Liga. Mit dem verschossenen Elfmeter von Enzo Marchese im Drittligaspiel beim SV Wehen Wiesbaden bei einer 3:1-Führung (Ende 3:3) am 19. September 2015 begann sich so etwas wie ein Fluch über den Verein zu legen, unterbrochen nur durch den WFV-Pokal-Endspielsieg am 21. Mai 2022 gegen den SSV Ulm 1846. Steinle will sich mit der Vergangenheit aber gar nicht groß befassen. „Auch wenn es jetzt mit überragenden 91 Punkten hauchdünn nicht zum Aufstieg reichte, der Verein hat sich auf vielen Ebenen weiterentwickelt“, betont er. Dazu gehöre zuallererst die Mannschaft. „In ihr steckt so viel Kraft und Emotionalität, daran ändern auch die Abgänge nichts, die wir mindestens gleichwertig ersetzen wollen. Für diese Leidenschaft im Team haben die Fans ein feines Gespür, das haben sie auf eindrucksvolle Art honoriert.“

Steinle kann das – anders als die allermeisten Aufsichtsratschefs von Fußballclubs im Land – nicht nur aus der Sicht von Haupttribünen-Vip-Plätzen beurteilen, sondern hautnah. In allen Heimspielen steht er mit seiner Schwenkfahne mittendrin im B-Block. „Das genieße ich, diese Freiheit nehme ich mir, das ist meine emotionale Kraftquelle“, sagt der promovierte Rechtsanwalt. Vor und nach dem Spiel nimmt er seine repräsentativen Pflichten in der Lounge wahr, „aber während des Spiels kann ich nicht zivilisiert auf der Haupttribüne sitzen, das wäre nicht sozialverträglich“, sagt er – und ein Lächeln blitzt auf, wie so oft, wenn der gewandte Schwabe spricht.

Er weiß Amt und Fan-Dasein zu trennen. Und in seiner Rolle als Chef des Kontrollgremiums hat er derzeit eine Menge Arbeit. „Wir wollen in der neuen Saison nicht nur vorne mitspielen, wir wollen den Turbo zünden, wir wollen Platz eins, wir wollen Meister werden.“ Im selben Atemzug schiebt er hinterher: „Dafür brauchen wir einen meisterfähigen Etat.“ Dieser wird bei der Aufsichtsratssitzung am 19. Juli verabschiedet und ist der erste, den er zu verantworten hat und an dem er sich messen lassen will. Vieles deutet daraufhin, dass er mindestens wieder bei 1,3 Millionen Euro liegen wird, möglichst sogar um 100 000 Euro höher.

Arbeit unter Hochdruck

Von den allermeisten Sponsoren liegt die Zusage längst vor. Steinle: „Wir wollen aber noch mehr Unternehmen von den Kickers begeistern, schließlich lässt sich für relativ kleines Geld in einer besonderen Atmosphäre viel für Sponsoren und Verein erreichen. Wir wollen mit dem bestmöglichen Etat die Aufstiegswahrscheinlichkeit maximieren. Daran arbeiten wir mit Hochdruck.“ Schließlich soll die Professionalisierung weiter voranschreiten – zum Beispiel in den Bereichen Physiotherapie und Athletiktraining.

Bleibt die Frage, wie lange dieser Aufwand in den Niederungen der Oberliga aufrecht zu erhalten ist. Ist nach der sehr stabilen vergangenen Saison die kommenden Runde – voraussichtlich ohne eine weitere „Übermannschaft“ wie den SGV Freiberg oder zuvor der VfB Stuttgart II als Konkurrent – nicht eine absolute Schlüsselsaison? „Klar wollen wir uns endlich belohnen“, sagt Steinle, „aber es gibt nicht nur diese eine Chance.“ Jeder weiß, dass sich Präsident Rainer Lorz liebend gerne vor Ende seiner bis 2024 laufenden Amtszeit mit dem Aufstieg verabschieden würde. „Meine Aufgabe ist noch nicht fertig. Ich möchte Angefangenes zu Ende bringen“, hatte der 59-Jährige bei der Hauptversammlung im November 2021 den Mitgliedern versichert.

Vater von vier Söhnen

Steinle gilt als sein designierter Nachfolger, doch der beruflich stark eingespannte Spezialist für Kartell- und Wettbewerbsrecht und Vater von vier Söhnen im Alter zwischen elf und 18 Jahren will sich mit der Präsidentenrolle derzeit jedenfalls nicht beschäftigen: „Wir sind heilfroh, dass wir Rainer Lorz als Präsidenten haben. Ohne ihn würde es die Kickers in dieser Form nicht geben, und er hat definitiv auch nach wie vor die Kraft weiterzumachen“, sagt Steinle und fügt mit der Miene des zutiefst Überzeugten drei Worte hinzu: „Jetzt erst recht.“

Zum Artikel

Erstellt:
25. Juni 2022, 08:10 Uhr
Aktualisiert:
29. Juni 2022, 17:17 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen