Zweifel an Löws Zielen - Osterruhe statt Aktionismus

dpa Duisburg. Beim Bundesliga-Gipfel zwischen Leipzig und den Bayern wird Joachim Löw nicht dabei sein. Der Bundestrainer startet nach dem DFB-Desaster gegen Nordmazedonien mit einer Oster-Auszeit. Die Müller-Frage schwelt weiter.

Muss wieder die Turniertauglichkeit der Nationalmannschaft herstellen: Bundestrainer Joachim Löw. Foto: Federico Gambarini/dpa

Muss wieder die Turniertauglichkeit der Nationalmannschaft herstellen: Bundestrainer Joachim Löw. Foto: Federico Gambarini/dpa

Das Sehnsuchtsziel Wembley wirkt nur noch wie eine unrealistische Träumerei. Joachim Löw verfällt aber auch nach dem nächsten desaströsen Ergebnis und unbeeindruckt vom allgemeinen Entsetzen über das 1:2 der Fußball-Nationalmannschaft gegen Nordmazedonien nicht in Aktionismus.

Den Bundesliga-Gipfel am 3. April zwischen RB Leipzig und dem FC Bayern will der Bundestrainer nicht im Stadion verfolgen. Er sei dafür „nicht eingeteilt“ lautete die merkwürdig klingende Begründung des Top-Angestellten des Deutschen Fußball-Bundes. Symbolpolitik mochte Löw noch nie. Eine Demutsgeste soll es nicht geben.

Während die Fans auf eine Antwort warten, ob der öffentlich zum allgemeinen Problemlöser ernannte Thomas Müller bei der EM nun doch noch dabei sein wird, verabschiedete sich Löw ohne jede Zu- oder Absage für den Münchner Fußball-Leithammel oder dessen einstigen Weltmeister-Kollegen Mats Hummels in seine Osterruhe. Erst am 7. April will er beim Champions-League-Spiel der Bayern gegen Paris Saint-Germain in München die nächste Spieler-Inspektion in der Allianz Arena vornehmen.

Dass Löw seine einst glanzvolle Dauer-Karriere als Bundestrainer tatsächlich erst nach dem am Karfreitag noch möglichen 100-Tage-Maximum mit dem EM-Finale am 11. Juli in London beenden wird, mögen nicht einmal mehr die größten Optimisten glauben. Im Falle eines im aktuellen Stimmungsbild nicht ausgeschlossenen Vorrundenscheiterns in der Hammergruppe mit Frankreich, Portugal und Ungarn wäre die Ära Löw in 82 Tagen vorbei. Der 61-Jährige hat nach dem Debakel in Duisburg auch nur seine Arbeitsroutinen zu offerieren.

Turniertauglichkeit, so lautet Löws letztes Versprechen, soll wieder in der unmittelbaren Vorbereitung vom 25. Mai an in Seefeld in Tirol erreicht werden. „Es nützt jetzt nichts, irgendwelche Alibis zu suchen. Jeder muss sich in der Mannschaft Gedanken machen, okay, was können wir verbessern?“, sagte Löw. „Und wenn wir etwas Zeit haben, dann werden wir da schon auch Konstanz reinbringen und die richtigen Dinge anpacken“, gab er eine erstaunlich positive Prognose.

Den Namen Müller nahm Löw beim fast 13 Minuten dauernden Frage-Antwort-Ritual nach der Nordmazedonien-Pleite nicht in den Mund. Und den von Hummels nannte er auch nicht. Der Bundestrainer könnte rund um die österliche Eiersuche eine einfache Matrix entwerfen, die ihm bei der Entscheidungsfindung behilflich sein dürfte. Nur vier Szenarien sind nämlich denkbar:

- Löw holt Müller und/oder Hummels zurück und die EM wird ein Erfolg: Dann wären alle wieder glücklich. Der Bundestrainer wäre über seinen Schatten gesprungen und hätte in seiner großartigen Karriere dem Fußball-Volk einen letzten großen Dienst erwiesen. Er könnte zufrieden in die DFB-Rente gehen.

- Löw holt Müller und/oder Hummels zurück und die EM läuft schief: Dann hätte Löw zumindest Einsicht walten lassen, eventuell zu spät, aber immerhin. Mehr war dann eben unter den gegebenen Umständen nicht möglich. Es wäre ein trauriger Abschied, aber ohne offene Personalflanke.

- Löw holt Müller und/oder Hummels nicht zurück und die EM läuft schief: Das wäre für Löw das schlechteste Szenario. Sturheit, die Fußball-Deutschland wieder zur Lachnummer macht, wäre der Vorwurf. Der Rio-Glanz des Weltmeister-Trainers würde in den Geschichtsbüchern gravierend relativiert.

- Löw holt Müller und/oder Hummels nicht zurück und die EM wird ein Erfolg: Die Indizien sprechen dafür, dass das Löws Lieblingsvariante wäre. Doch wer glaubt nach Spanien-Schmach und Quali-Desaster noch an die ausreichende Turnierreife der Umbruch-Elf?

Am 18. oder 19. Mai - so hört man - will Löw bei der Nominierung des EM-Kaders kurz vor dem letzten Bundesliga-Spieltag seine Entscheidung bekanntgeben. „Die Frage ist jetzt heute nicht zu beantworten aufgrund des einen Spiels. Die Frage ist ja auch nicht gestellt worden nach den letzten beiden Spielen. Wir haben gesagt, dass die Entscheidung insgesamt dann im Mai fällt“, wiegelte er auch bohrende Nachfragen ab.

Ein ehemaliger treuer Wegbegleiter schaffte es - ebenfalls ohne den Namen Müller zu erwähnen -, seine Prognose in einem 22-Sekunden-Clip abzugeben. „Aus meiner Sicht kann man Jogi Löw nur einen Vorwurf machen, und das ist, dass er eben nicht die besten Spieler, die es aktuell gibt, für die deutsche Nationalmannschaft auf den Platz gebracht hat, die auch in der letzten Saison die Champions League gewonnen haben und auf ganz hohem Niveau gespielt haben. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass dies sich zeitnah ändern wird“, sagte ARD-Experte Bastian Schweinsteiger der „Sportschau“.

Eines ist spätestens jetzt klar: Die Generation Confed-Cup ist bei allem individuellen Talent von Joshua Kimmich und Kollegen noch nicht stabil. Dieses Team lechzt förmlich nach Orientierung. Kleinste personelle und taktische Verschiebungen, die Löw durch die Hereinnahme von Robin Gosens nach den Sieg-Mutmachern gegen Island (3:0) und Rumänien (1:0) vornahm, setzten die Statik außer Kraft. An individueller Klasse kann es nicht liegen. Alle elf Startelf-Akteure standen gerade mit ihren Clubs noch im Achtelfinale der Königsklasse.

Flexibilität war noch nie Löws Stärke. An der Seitenlinie, wenn ein Spiel nicht nach Plan läuft, wie auch bei seinen generellen Leitlinien. Die Jubelgesänge der Nordmazedonier und das laute Hupen ihres Mannschaftsbusses bei der Abfahrt aus Duisburg waren aber eben kein Aprilscherz, sondern nach der erst dritten DFB-Niederlage im 97. WM-Qualifikationsspiel seit 1934 bittere deutsche Fußball-Realität.

Mit einer Entscheidung lag Löw immerhin richtig. Das wurde in Duisburg klar. Seine Rücktrittsankündigung Anfang März war weise. Ohne diese wäre eine Entscheidung aus freien Stücken über seine berufliche Zukunft jetzt kaum noch möglich gewesen. Der öffentliche Aufschrei nach einem Ende der lange erfolgreichen Rekord-Ära des Weltmeister-Trainers von 2014 wäre jetzt riesig.

© dpa-infocom, dpa:210402-99-64610/2

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Erstellt:
2. April 2021, 11:03 Uhr

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