250 Jahre andauernde Familientradition

Blick in das Archiv von Peter Wolf: Von der Färberei zu Brennstoffhandel und Drogerie Dorn.

Drogerie Dorn in den 1930er-Jahren. Insektizide und Süßigkeiten stehen nah beieinander.

Drogerie Dorn in den 1930er-Jahren. Insektizide und Süßigkeiten stehen nah beieinander.

Von Claudia Ackermann

BACKNANG. Wenn ein Geschäft mit „Drogen und Chemikalien“ handelt, könnte das heute etwas suspekt wirken. Früher war das anders. Auf einem Foto des Hauses Dorn an der Sulzbacher Brücke stand 1910 diese Aufschrift groß auf der Hausfassade, was ein Foto aus Peter Wolfs Archiv zeigt. Die Drogerie Dorn hatte eine fast 250 Jahre andauernde Familientradition. Am 23. April 1743 heiratete der 33-jährige Färbermeister Andreas Dorn die 22-jährige Christine Katharina Hettich und übernahm von seinem Schwiegervater die Färberei in der Sulzbacher Straße 3, genannt „Kleines Häusle“. Mit diesem Tag beginnt die Geschichte der Firma, heißt es in einer Jubiläumsschrift, die 1968 anlässlich des 225-jährigen Bestehens herausgegeben wurde. Nach alten Kupferstichen sei das Haus zu jener Zeit das einzige, abgesehen vom Totenkirchle, jenseits der Sulzbacher Brücke gewesen.

Ein „Kleines Häusle“ ist das Gebäude nicht geblieben. Fast jede Generation hat etwas dazugebaut. Diese Jubiläumsschrift, die Gisela Kübler geborene Dorn zusammen mit historischen Aufnahmen dem Fotodesigner und Hobbyhistoriker Peter Wolf zur Verfügung gestellt hat, ermöglicht interessante Einblicke in das Leben in Backnang anno dazumal.

Über mehrere Generationen von Färbermeistern wurde der Vorname in der Familie weitergegeben. So war es auch ein Andreas Dorn, der 1824 geboren wurde und 1871 einen der ersten in Backnang installierten Dampfkessel einbaute. Er benannte seine Firma fortan „Dampffärberei“. Bis zum Jahr 1965, also über 90 Jahre, blieb der Dampfkessel in Betrieb.

Auf einem Foto, das um 1875 entstanden ist und zu den ältesten in Peter Wolfs Archiv gehört, ist der Außenschornstein für den Dampfkessel zu sehen. Das Haus hat inzwischen eine beachtliche Größe erreicht und steht auch nicht mehr allein auf der Murrseite. Allerdings ist der Berg zum Hagenbach noch spärlich bebaut und am Hang befinden sich Gärten. Die Familie präsentiert sich auf dem Balkon. Menschen haben sich auf der Sulzbacher Brücke aufgestellt, die Männer in Handwerkermontur, wahrscheinlich um mit aufs Bild zu kommen. Fotografie war damals noch ein besonderes Ereignis.

Interessant ist auch die dreieckige Ausbuchtung auf der Brücke. Das Bauwerk über die Murr war so schmal, dass Fußgänger ausweichen mussten, wenn Pferdekutschen passierten.

Mit dem Beginn der Industrialisierung wurde das traditionelle Handwerk der zahlreichen Weber und Tuchmacher in Backnang verdrängt und sie fielen als Zulieferer für die Färberei weg. Der 1854 geborene Julius Dorn gründete daraufhin 1890 die beiden Geschäftszweige „Drogenhandel“ und Kohlehandel. Im Hause Dorn konnte man sowohl Salzsäure als auch Myrrentinktur, „Dreifaltigkeitsthee“ oder Pomade kaufen, was aus einem Werbeblatt von 1890 hervorgeht, das in der Jubiläumsschrift abgedruckt ist.

Auf einem Foto aus den 1930er-Jahren ist der Innenraum des Geschäfts zu sehen. Inzwischen wurde auch Kaffee verkauft. Im Regal stehen Dosen mit dem Insektizid Flit und direkt darunter Bonbongläser. Gift und Süßigkeiten in unmittelbarer Nähe wäre heute natürlich undenkbar.

Im Stammhaus an der Sulzbacher Brücke wurde nach der Sanierung 1967 die Murrtal-Drogerie eröffnet.

Otto Dorn, der 1920 geboren wurde, verlegte 1957 den Kohlehandel in die Talstraße. Die Drogerie blieb im Stammhaus und eröffnete 1960 die Filiale Drogerie-Parfümerie in der Dilleniusstraße1. Bei seinen Recherchen ist Peter Wolf darauf gestoßen, dass sich unter dem Dachgeschoss des Stammhauses Dorn in den 1950er-Jahren ein kleines Strickwarengeschäft befand, das von Hedwig Dorn betrieben wurde. In dem Buch „Kindheitserinnerungen 1948–1964. Ein Backnanger Leben“ schreibt Horst Hettich, dass er als Kind des Öfteren in dem „Strickwarengeschäftle“ war, das einer Freundin seiner Oma gehörte. Mit „Fräulein“ wurde die unverheiratete Hedwig Dorn angesprochen, obwohl sie schon hochbetagt war. „Dort kauften meine Vorfahren ihre Fäden, Knöpfe und was man sonst noch für die Kleider, Betten oder Vorhänge so brauchte. Und meistens musste ich den Kleingruscht abholen“, heißt es in der Erzählung.

Das Stammhaus an der Sulzbacher Brücke wurde 1967 umgebaut und grundlegend saniert und darin auf 150 Quadratmetern Verkaufsfläche die Murrtal-Drogerie eröffnet. 1990 endete die lange Familientradition und das Geschäft ging in andere Hände über. Drei Jahre später wurde die Drogerie an der Sulzbacher Brücke geschlossen. Heute befindet sich in dem Gebäude ein asiatischer Gastronomiebetrieb.

Die Färberei um 1875 mit dem Außenschornstein für den Dampfkessel. Repros: P. Wolf

Die Färberei um 1875 mit dem Außenschornstein für den Dampfkessel. Repros: P. Wolf

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Erstellt:
30. Juni 2020, 06:00 Uhr

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