Lisa Eckhart im Renitenztheater

Am Rande der Bodenlosigkeit

Die österreichische Kabarettistin Lisa Eckhart ist so erfolgreich wie umstritten. Bei ihrem Auftritt im Stuttgarter Renitenztheater geht es nur vordergründig um ihren neuen Roman „Boum“.

Extravagante Bühnenpräsenz:  Lisa Eckhart bei einem ihrer Auftritte.

© imago//Matthias Wehnert

Extravagante Bühnenpräsenz: Lisa Eckhart bei einem ihrer Auftritte.

Von Matthias Ring

Das Adjektiv „umstritten“ hat eine solch erstaunliche Karriere gemacht, dass clevere Vermarkter dies eigentlich gezielt auf Plakaten und Flyern einsetzen könnten, etwa: die umstrittene Kabarettistin mit ihrem neuen Programm. Lisa Eckharts Witze über Harvey Weinstein, Roman Polanski und Woody Allen in der Me-Too-Debatte wurden als antisemitisch gewertet und führten 2020 dazu, dass sie aus Angst vor Protesten der linksautonomen Szene vom Hamburger Literaturfestival Harbour Front ausgeladen wurde. In den Feuilletons entbrannte eine Debatte über Cancel Culture. Bei ihrem Auftritt im Renitenztheater erinnert Eckhart daran, dass dies nicht ohne Folgen für ihren Erfolg gewesen sei: „100 000 Leute und doppelt so viele Demonstranten – die gute alte Zeit“. Heute hingegen interessiere sich kaum jemand so recht für sie.

Das Publikum ist bunt gemischt, die Kabarettistin gewohnt auffallend

Aber das ist natürlich kokettiert. Viele Termine der österreichischen Kabarettistin sind ausverkauft, so auch die zwei „Lesungen“ am Sonntag im Renitenztheater. Intendant Sebastian Weingarten weiß, dass derzeit kaum jemand so sehr ziehe wie Lisa Eckhart, die er seit 2018 regelmäßig zu Gast hat. „Ich sehe sie nicht in der antisemitischen Ecke“, sagt er auf Nachfrage und merkt an, dass man Satire heute immer erklären müsse. Ein Blick ins Archiv zeigt, dass in Zeiten, in denen die Gesellschaft nach klaren Haltungen ruft, viele ein Problem haben, diese Eckhart mit ihrer gemeinen Doppelbödigkeit in den Griff zu bekommen.

Nun ist sie also mit einem „Kabarett zum Buch“ unterwegs. „Boum“ heißt ihr zweiter Roman, den sie nach den Stuttgarter Vorstellungen im Foyer fleißig signiert sowie sie sich artig für Selfies mit ihrem bunt gemischten Publikum hergibt. Obwohl das Setting auf der Bühne mit Lesesessel, Beistelltisch und Buch darauf so angelegt ist – eine Lesung schaut anders aus. Allein schon, weil die für ihre extravagante Selbstinszenierung bekannte Lisa Eckhart anders ausschaut. Im Renitenz in Latexhose und einem Oberteil, das an Bondage-Look erinnert.

Viel vom neuen Roman erfährt man nicht

Die Grenzen zwischen Kabarett und Comedy, zwischen geistreichen Sprachspielereien und vordergründigen Plattitüden sind bei Lisa Eckhart fließend und machen auch vor Witzen über Polen nicht Halt. „In Polen werden die doch gleich geklaut“, sinniert sie über einen möglichen Weg deutscher Panzer in die Ukraine. Zur Trennung des Ehepaars Klitschko stellt sie nüchtern fest: „Er ist im Krieg, und sie bei ,Let’s Dance‘“, um dann mit ihrer eigenen Beziehungsstrategie ein weiteres Minenfeld zu betreten. Paare sollten bitteschön so wenig wie möglich gemeinsam machen, wie sie und ihr Mann: „Der eine ist geimpft, der andere nicht – damit wenigstens einer von uns beiden überlebt.“

Die Rahmenhandlung ihres Paris-Romans skizziert sie kaum, außer dass es eine junge Österreicherin der Liebe wegen dorthin zieht. Diese Aloisia hat selbstverständlich nichts mit der Autorin zu tun, die zum Studieren nach Paris gegangen war. Beide jobbten zwar als Hostess auf dem Pariser Autosalon, was im Buch dazu dient, überkommenen Machismo ebenso bloßzustellen wie den barbusigen Protest von Aktivistinnen. Auch im Vorstellungsgespräch an der Pariser Uni verwischen die Identitäten der Kabarettistin, ihrer Bühnen- und ihrer Romanfigur. Nach ihrem konstanten Einserschnitt auf dem Gymnasium scheint sie an der Seine nicht mehr ganz so vom Erfolg verwöhnt zu sein. Dennoch wäre es ihr „zu peinlich, weil bettelnd“, mit Professoren zu schlafen, in deren Fächern sie nicht auf einer Eins steht. Tja, die österreichisch-französischen Beziehungen sind eben auch nicht leicht, analysiert diese „L’Autrichienne“ in Anspielung auf Marie-Antoinette.

Werbung für ihr neues Bühnenprogramm

Aufschlussreicher als die zwar flüssig vorgetragenen, aber auch etwas zerfransten Betrachtungen der Vergangenheit könnte der Blick in die Zukunft sein. Lisa Eckhart, die in Leipzig lebt, überhöht ihren Status als Österreicherin in Ostdeutschland – eigentlich immer schon, wenn sie Westdeutschen davon erzähle, für die das wie eine Übersiedlung von Syrien in den Sudan sei. Am 3. Oktober aber, „dem Tag der gescheiterten Wiedervereinigung“, findet in Leipzig die Inthronisierung von „Kaiserin Stasi der Ersten“ statt. In ihrem neuen Bühnenprogramm wird sie eine K.-u.-k.-Doppelmonarchie, kommunistisch wie Stalin, kaiserlich wie Sisi, ausrufen. Wie viel Bedeutung dem beizumessen ist, muss man sehen. Um es mal so zu sagen: Weil Lisa Eckhart in Paris wohl auch unterschiedliche Erfahrungen mit der französischen Küche gemacht hat, was im „Kabarett zum Buch“ zu einem Vorstoß in Feuchtgebiete à la Charlotte Roche führt: Nichts wird so heiß gekocht, wie es gegessen wird. Der Vorverkauf läuft.

Zur Person

Karriere Lisa Eckhart wurde 1992 als Lisa Lasselsberger in Leoben in der Steiermark geboren. Ihr Studium der Germanistik und Slawistik schloss sie mit einem Master ab. 2015 gewann sie die österreichischen Poetry-Slam-Meisterschaften, für ihre Kabarettprogramme wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Eckhart lebt mit ihrem Mann in Leipzig und ist 2021 Mutter geworden.

TV-Auftritte Lisa Eckhart ist häufig Gast im TV etwa bei Dieter Nuhr, so auch am 23. März: „Nuhr im Ersten“, ARD, 22.20 Uhr. 

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Erstellt:
21. März 2023, 14:58 Uhr
Aktualisiert:
21. März 2023, 15:35 Uhr

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