Atemberaubende Akkuratesse

„Tango am Nordkap“: Mitreißendes Konzert des Stuttgarter Kammerorchesters im Backnanger Bürgerhaus

Finnland, Buenos Aires, Norwegen: Das sind die Reiseziele, denen sich das Stuttgarter Kammerorchester im Backnanger Bürgerhaus unter dem Motto „Tango am Nordkap“ musikalisch näherte. Die Interpretationen der Werke Nordgrens, Piazzollas und Griegs des 1945 von Karl Münchinger gegründeten Ensembles begeisterten.

Das Stuttgarter Kammerorchester spannt unter der Leitung von Susanne von Gutzeit mit einem unkonventionellen Programm den Bogen von Astor Piazzolla bis Edvard Grieg. Foto: T. Sellmaier

© Tobias Sellmaier

Das Stuttgarter Kammerorchester spannt unter der Leitung von Susanne von Gutzeit mit einem unkonventionellen Programm den Bogen von Astor Piazzolla bis Edvard Grieg. Foto: T. Sellmaier

Von Thomas Roth

BACKNANG. Es ist wie ein Film, der mit monochromen Bildern beginnt, die sich aber bereits nach den ersten Takten von Pehr Henrik Nordgrens Werk „Pelimannimuotokuvia“ vor dem geistigen Auge in bunte Welten verwandeln. Die Spielmannstradition wird in Finnland genauso wie in Norwegen und vor allem Schweden bis heute intensiv gepflegt. Oft kommen dabei Instrumente wie die norwegische Hardangerfiedel, die finnische Kantele (eine Art Zither) oder die schwedische Nyckelharpa zum Einsatz. Nordgren hat das sozusagen für klassisches Orchester heruntergebrochen. Sehr gelungen überdies: Das überbordende und klangfarbenreiche Moment dieser folkloristisch geprägten Musik ist kompositorisch angelegt. Den Rest an musikalischer Visualisierung vervollkommnen die Musiker des Stuttgarter Kammerorchesters. Sozusagen als „Warm-up“ für die dann folgenden Tangos Astor Piazzollas bezeichnet Konzertmeisterin Susanne von Gutzeit gleich zu Beginn des Konzerts diesen Ausflug in die finnische Spielmannswelt und deren Stimmungen. Vor allem nach dem vierten Satz dieser „Portaits of Country Fiddlers“, einem Saltarello, sei man warmgespielt.

Gemeinsam ist allen an diesem Abend gespielten Stücken eine Art Wahrhaftigkeit. Diese umfasst jeweils Drama, Melancholie und Befreiung. Dass jede der drei Kompositionen wirklich langen Beifall erhält, ist der Güte, der Spielfreude, der Souveränität der Akteure geschuldet. Manch einem mag der Streicherton, auch der des Cellos, an manchen Stellen vielleicht fast zu süß, zu schmelzig geklungen haben. Das aber ist durchaus werkimmanent. Zudem standen dem Passagen gegenüber, die rhythmisch, im Übrigen durchaus zum Teil kompliziert, von den Musikern mit atemberaubender Akkuratesse, spannungsgeladener Vibratolosigkeit und äußerst lockerem Bogenhandgelenk auf den Punkt musiziert wurden.

Komplexe, anspruchsvolle Kompositonen

Solo-Cellist Nikolaus von Bülow musste nach seinen „Tangos für Violoncello und Streichorchester“ vor der Pause das kantilene Hauptthema vom Orchester begleitet nochmals als Zugabe spielen. Peter von Wienhardt hat das Stück bearbeitet. Und so lief das Kammerorchester in einer 5-4-4-3-1-Besetzung auf. Konzertmeisterin Susanne von Gutzeit gesellte sich zu weiteren vier ersten Violinen, vier zweite und, außergewöhnlich, vier Bratschen. Dazu drei Celli und ein fulminanter Kontrabass. Neben dem Cello spielt tatsächlich die Bratsche in allen Werken eine starke Rolle, die durch die Aufstockung (taktisch) sinnvoll in Szene gesetzt wird.

Edvard Grieg ist mehr als der Komponist der Peer-Gynt-Suiten. Das zeigt auch das für Orchester gesetzte G-Moll-Streichquartett, ein komplexes, wie Piazzollas, auch für den Hörer zum Teil anspruchsvolles Werk. Und auch hier bieten die exzellenten Streicher so ziemlich alles an Tönen, das man aus den Instrumenten herausholen kann: Flageoletts, auch einfach durch ganz leichtes über die Saiten Streichen erzeugte, feine wie rabiate Pizzicati („Bartok-Pizzicato“), Glissandi diverser Couleur und vor allem differenzierte Dynamik. Bis auf die Cellisten stehen die Musiker. Das sieht man auch nicht allzu häufig. Da ist dann ein wenig mehr Bewegung auf der Bühne. Angenehm ist die Art, mit der Susanne von Gutzeit die Musiker führt. Zwar mit sichtbarer Emotion, aber ohne jedes Posing. „Tango am Nordkap“ – ein wahrhaft exquisites Musikreiseerlebnis.

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Erstellt:
6. Mai 2019, 06:00 Uhr

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