„Auf der Bühne kann man keine Gnade erwarten“

Die Toten Hosen sind im Kino: Sänger Campino spricht über den Film, die Vergangenheit und die Zukunft der Band

Die Toten Hosen blicken auf eine erfolgreiche Stadiontournee zurück – aber auch auf einen Hörsturz, der den Sänger Campino ­außer Gefecht setzte. All dies ist in dem Dokumentarfilm „Weil du nur einmal lebst“ zu sehen, der nun im Kino angelaufen ist.

Stuttgart

Frage: Campino, hat es in der Rockmusik als Männerwelt für die Toten Hosen auch Vorteile gehabt, dass eine Frau den Dokumentarfilm über die Band gedreht hat?

Antwort: Das ist auf eine ganz gesunde Art und Weise gar keine Überlegung gewesen und spielte keine Rolle. Es ging nur um den Film und die Frage, was gut ist für den Film. Deshalb waren auch die Absprachen ganz klar: Ihr könnt uns gerne begleiten, aber niemand nimmt euch bei der Hand. Oberste Priorität haben bei uns die Konzerte und alles drum herum. Das wurde aber auch von ­allen Seiten akzeptiert.

Frage: Was war für Sie die größte Überraschung, als Sie den Film über Ihre eigene Band erstmals gesehen haben?

Antwort: Als wir den Rohschnitt gesehen haben, gab es Erlösung auf beiden Seiten. Die Macher haben aufgeatmet, weil wir nicht „Mist!“ gerufen haben. Und wir haben aufgeatmet, weil wir auch keinen Mist gesehen haben.

Frage: Gibt es Szenen, die der Band im Nachhinein richtig peinlich sind?

Antwort: Ja, natürlich. Es hagelt sogar Peinlichkeiten. Ich glaube, deshalb finden auch so viele Leute den Film gut. Unser perfekter Film, den die Band lieben würde, würde wahrscheinlich das Publikum überhaupt nicht ansprechen. Das wären ständig geschönte Aufnahmen, in denen wir in Heldenpose vor jubelnden Leuten stehen. Und nirgendwo wäre ein Widerspruch. Aber als Fans von Musikdokus wissen wir ja selbst nur zu gut, was aus so einer Perspektive interessiert: Immer dann, wenn es eine Krise gibt oder Leute in etwas reinschlittern, was nicht vorhergesehen ist, fängt es an, spannend zu werden. Das wussten wir natürlich, daher war klar, dass es bei uns nicht um Hofberichterstattung geht, sondern dass wir unsere Eitelkeiten über Bord werfen mussten. Es gibt da zum Beispiel die Szene, die mich beim Warmsingen zeigt. Klar wusste ich, dass ich mich dabei nicht toll anhöre. Aber dass das so eine Katastrophe ist: Das habe ich erst in dem Film feststellen müssen. Das war mir schon unangenehm, wie ich mich da lächerlich mache.

Frage: Der Film fängt auch den tragischsten ­Moment der Tournee ein, als Sie im Vorfeld eines Konzerts in Berlin einen Hörsturz erlitten und die Tour daraufhin für fünf Wochen unterbrochen werden musste. Wie haben Sie dies für den Film wahrgenommen?

Antwort: Genau da setzte ein Moment ein, an dem für mich Ende des Drehs war. Cordula ­Kablitz-Post (Drehbuch und Regie des Films, die Red.) hat ganz pflichtbewusst ­gefragt, ob sie mit ins Krankenhaus dürfe. Da habe ich gesagt: Das sehe ich nicht. Denn in diesem Moment ging es für mich um mehr als nur dieses Filmprojekt. Da wollte ich alleine sein. Schließlich muss ich am Ende des Tages diese Problematik auch mit mir selbst durchstehen. Und das war mir einfach noch mal eine Etage zu hart, da wollte ich die Kamera nicht dabeihaben.

Frage: Das erste Konzert nach Ihrer Genesung fand dann im Sommer auf dem Cannstatter ­Wasen in Stuttgart vor 60 000 Besuchern statt. Da war ja wahrscheinlich auch eine Mordsanspannung in Ihnen drin. Wie hat das in Ihnen nachgelebt?

Antwort: Natürlich war es ein wahnsinnig wichtiger Abend für mich. Bis dahin war da die Ungewissheit, ob ich jetzt geheilt bin oder nicht. Oder noch einmal einen Wackler erleben muss. Insofern war ich emotional total aufgeladen und auch unglaublich erleichtert nach dem Konzert. Im Tourbus wurden dann die Weinflaschen aufgemacht, es wurde gefeiert wie nach einer Meisterschaft. Es ging weiter – und das war das offizielle Zeichen dafür. Aber letztlich geht es für mich immer um das Prinzip „The show must go on“. Ich empfand zunächst die Geduld der Menschen als regelrecht rührend. Wir mussten Konzerte absagen, und die wünschten mir auch noch gute Besserung. Aber irgendwann ist Schluss mit der Rührung, und dann wollen die Leute auch ­bedient werden. Und ich finde, wir haben auch nicht das Recht, die vollzujammern. In dem Moment, in dem du auf die Bühne gehst, musst du die Sorgen ablegen, die dich vielleicht privat treffen. Da kannst du keine Gnade erwarten.

Frage: Was wäre gewesen, wenn es für den Sänger Campino nicht weitergegangen wäre? Wäre für Sie eine Welt eingestürzt, oder hätten Sie sich mit der schönen Zeit getröstet, die Sie gehabt hatten?

Antwort: Ich will mir gar nicht ausmalen, was gewesen wäre, wenn die Ärzte in dem Moment gesagt hätten: Noch ein weiteres Konzert, und du bist taub. Aber warum sollte ich ­darüber Fantasien entwickeln. So groß ist das alles in meinem Leben nicht, da gibt es auch noch jede Menge anderer Menschen, die auch auf mich warten. Insofern hätte ich mir schon irgendeinen Weg gebahnt. Aber natürlich wäre es eine persönliche Kata­strophe für mich gewesen.

Frage: Jetzt geht es weiter. Mit neuen Songs und einem baldigen neuen Album?

Antwort: Wir sind schon emsig. Denn wir sind in einer Lebensphase, in der man unbedingt noch ein paar Sachen erledigen möchte. Eine große Krise, die Notwendigkeit einer Pause, der drohende Burn-out: Das sind ­Sachen, die sich junge Leute noch problemlos leisten können, weil sie ja noch endlos Strecke haben. Aber diese kritischen Programmpunkte werden bei uns eingedampft, auf einen Abend oder so, mehr Zeit wird uns da nicht zugestanden(lacht).

Frage: „2000 Konzerte – 36 Jahre Erfahrung – 19 Millionen verkaufte Alben – ein Kinofilm“: So heißt der Slogan zum Film. Ist das nicht alles verrückt?

Antwort: Das war jedenfalls nicht vorhersehbar. Wir alle lebten damals nach dem Motto: Das Heute zählt, was morgen passiert, ist erst mal egal. Und wenn das Leben dann so spielt, dass man trotzdem weiterkommt und am Ende auf 36 Jahre zurückblicken darf, ist das natürlich schon obskur. Aber wir versuchen immer, nicht im Blick ­zurück stecken zu bleiben – sondern den Blick nach vorne nicht zu verlieren. Das ­Interessante im Leben ist ja, dass man sich beim Älterwerden von gewissen Dingen verabschieden muss, aber immer noch Überraschungen warten. Es warten ja ­immer noch Begegnungen, du gehst auch im Alter noch Freundschaften ein, die ­intensiv sind und dir etwas bedeuten. Insofern ist die Sache noch nicht ausgereizt. Bei einem richtig guten Menü macht auch die Nachspeise noch Spaß.

Frage: Was kommt denn bei Ihnen als Nachspeise auf den Tisch?

Antwort: Das weiß ich nicht. Geheimnis nach Art des Hauses, würde ich sagen.

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Erstellt:
3. April 2019, 14:19 Uhr

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