Aus Eroten wurden Putten und Engel

Ausstellung „Kinderreich – beflügelt“ im Helferhaus eröffnet – 14 Druckgrafiken laden zur Beschäftigung mit Engel-Kindern ein

Der Backnanger Apotheker Ernst Riecker (1845 bis 1918) hinterließ seiner Heimatstadt eine umfassende Grafiksammlung europäischer Druckgrafiken der letzten Jahrhunderte. Seit dem Jahr 2002 werden von der Ernst-Riecker-Stiftung in Zusammenarbeit mit der Stadt immer wieder Schätze dieser Sammlung im Graphik-Kabinett des Helferhauses präsentiert. Derzeit ist die Ausstellung „Kinderreich – beflügelt“ zu sehen.

Eines der zu bestaunenden Werke: Amor Veloce von Tommaso Piroli aus dem Jahr 1805. Foto: Stadt

Eines der zu bestaunenden Werke: Amor Veloce von Tommaso Piroli aus dem Jahr 1805. Foto: Stadt

Von Hans-Christoph Werner

BACKNANG. Im Riecker-Raum des Graphik-Kabinetts wurde jetzt die Ausstellung mit dem Titel „Kinderreich – beflügelt“ eröffnet. Zu sehen sind 14 Druckgrafiken. Kinderbilder in einer Zeit, die bei diesem Thema, auch wegen diverser Vorkommnisse, höchst sensibel ist? Die Leiterin des Graphik-Kabinetts Celia Haller-Klingler führte nach Begrüßungsworten von Kultur- und Sportamtsleiter Martin Schick in die Ausstellung ein. Die Darstellung von Kindern geht auf den griechischen Liebesgott Eros, bekannt auch unter dem Namen Amor oder Cupido, zurück. Immer wird er als wohlgeformter Jüngling inmitten einer Welt der Idylle, der Üppigkeit und des Wohllebens dargestellt. Zunehmend wird er mit Gefolge geschildert, zusammen mit anderen Schönen, die ihn begleiten. Doch werden diese gerne verkleinert und in Gruppen auftretend gezeichnet. Diese mehr kindlichen Figuren heißen fortan Eroten oder auch Amoretten.

Als die Götter der Antike im Zuge der Christianisierung immer mehr aus der Kunst verschwanden, wurden aus den Eroten die Putten. Das aus dem Italienischen herzuleitende Wort bedeutet „kleiner Junge“. „Als Putten eben“, so die Kunstgeschichtlerin, „fanden die antiken Eroten und Amoretten letztlich Aufnahme in die christliche Engel-Ordnung.“

Immer bleiben sie als transzendente Wesen auch Teil des Bildes

Je nach Bild werden die Putten sehr unterschiedlich dargestellt. Immer bleiben sie doch, so Haller-Klingler, „in gewisser Weise als transzendente beziehungsweise grenzüberschreitende und insofern auch heilige, sakrale Wesen“ Teil des Bildes.

Die Radierung von Pietro Testa (1612 bis 1650) aus dem Jahr 1632 zeigt die mäßig schöne Venus in einem Garten unter einem Baum. Gut genährte Eroten in großer Zahl um sie herum. Wie immer sind die Kleinen nackt dargestellt. Züchtig verbergen die wulstigen Oberschenkel das Geschlecht. Weil es auch darauf, ob nun Junge oder Mädchen, nicht ankommt.

Vielleicht ist das die Verführung des modernen Betrachters, der hier immer gleich einordnen will. Gleichsam geschlechtslos sind die munter herumturnenden Wesen. Sie spielen am Boden, huschen, hängen und haften im Blattwerk und an den Ästen der Bäume. Ganz dem Spiel ergeben turnen, taumeln und tanzen sie umher. Mal miteinander beschäftigt, mal alleine erkunden sie für sich die Besonderheiten des Gartens. Wie schwerelos bevölkern sie das Bild. Und auch wenn der Kopf nach unten weist, ist das kein Fallen, sondern eher ein schwereloses Dasein. Ob nun da Flügel den Rücken zieren oder auch nicht. Am linken unteren Bildrand sieht es fast wie Streit aus. Zwei am Boden liegende Wesen haben den Mund weit aufgerissen und wehren sich offensichtlich gegen andere.

Francesco Bartolozzi (1728 bis 1815) hat „Venus entwaffnet Cupido“ (1804) gestaltet. Die Augen der Schönheitsgöttin fixieren den Betrachter. Auf ihrem Schoß ist der Amorknabe eingeschlafen. Aus dem Köcher auf seinem Rücken hat sie einen großen Pfeil entwendet und will nicht, dass dies bekannt wird. Einig ist sie mit dem Betrachter, dass dies geheim bleiben muss und legt deshalb den Zeigefinger ihrer rechten Hand auf den Mund. Hinter dem Rücken von Venus halb verborgen zieht ein weiterer Putte noch einen Pfeil aus dem Köcher. Ist dieser nun leer? Und kann Amor damit nicht mehr für Getroffensein durch Liebe sorgen?

Lucas Cranach der Ältere (1472 bis 1553) hat einen Holzschnitt mit dem Titel „Ruhe auf der Flucht“ (1509) geschaffen. Unter einem Eichenbaum rasten Maria, Josef und das Jesuskind auf dem Weg von Bethlehem nach Ägypten. Die Heilige Familie ist von an Amoretten angelehnte Engelchen umgeben. Was diese so treiben, möge der Leser und Besucher des Graphik-Kabinetts selbst entdecken. Mögen die geschilderten Szenen den Geschmack geweckt haben, die Kinderwesen und ihr Treiben selbst zu entdecken. Durch eigenes Sehen im „Kinderreich“ beflügelt unterwegs.

Die Ausstellung wird mit zwei weiteren fortgesetzt. Ab Mai werden Druckgrafiken unter dem Titel „Kinderreich – bewegt“ und ab Oktober solche zu „Kinderreich – bedacht“ zu sehen sein.

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Erstellt:
3. Februar 2020, 16:00 Uhr

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