Ausstellung im Helferhaus: „Das kleine abc der Dinge“

Matthias Gnatzy und Bobby Haynes stellen in der Reihe „Doppelpass“ vom 2. bis zum 30. Oktober in der Galerie des Heimat- und Kunstvereins im Helferhaus in Backnang aus. Vernissage ist am Sonntag.

Die beiden in Besigheim lebenden Künstler Matthias Gnatzy (oben)  und Bobby Haynes (unten) bestreiten gemeinsam eine Werkschau im Helferhaus. Fotos: Alexander Becher

© Alexander Becher

Die beiden in Besigheim lebenden Künstler Matthias Gnatzy (oben) und Bobby Haynes (unten) bestreiten gemeinsam eine Werkschau im Helferhaus. Fotos: Alexander Becher

Von Klaus J. Loderer

Backnang. Die Werke der beiden Künstler Matthias Gnatzy und Bobby Haynes könnten unterschiedlicher nicht sein. Der eine fertigt aus vorhandenen Dingen und Materialien diffizile Kunstwerke mit teils sehr ironischen Botschaften, der andere malt ganz klassisch Bilder. Auch die Biografien sind ganz verschieden. Die Gemeinsamkeit der beiden Künstler ist der Wohnort Besigheim. Im Helferhaus in Backnang werden ihre Arbeiten zwar in zwei Stockwerken getrennt präsentiert, doch mit den die Ausstellung abschließenden Selbstporträts einander gegenübergestellt.

Bilder ironisch verfremdet

In der Eingangshalle des Backnanger Helferhauses warnt ein auf einer Staffelei deponiertes Verkehrsschild vor einer Ampel. Rot, Gelb und... Doch halt. Grün ist durch Blau ersetzt. Die drei Grundfarben des Farbkreises also. Sollte man nun auf die Idee kommen, dass einer der beiden Künstler ein großer Fan Johannes Ittens ist, korrigiert Matthias Gnatzy das bei einem Rundgang durch die Ausstellung mit verschmitztem Lächeln. Ein Bild Mondrians hat er ironisch verfremdet, indem er es mit Legosteinen nachgebaut hat. Dafür setzt er Malewitsch und seiner Radikalität ein Denkmal mit einem völlig schwarzen Bild mit der gerade so erahnbaren Unterschrift des russischen Künstlers. Aber Gnatzy sitzt eben immer der Schalk im Nacken und so ist die schwarze Fläche von einem eigenwilligen Prunkrahmen umgeben.

Ausstellung im Helferhaus: „Das kleine abc der Dinge“

© Alexander Becher

Doch landet man im ersten Stock erst einmal bei den Bildern von Bobby Haynes. Den 1981 in Kentucky geborenen Künstler hat es nach einer abenteuerlichen Flucht vor dem Vater mit seiner aus Europa stammenden Mutter nach Besigheim verschlagen. Der Mensch ist sein bevorzugtes Thema. „Mich interessiert der Blick des Menschen“, sagt er. Dieser fasziniert ihn, auf diesen konzentriert er sich. Tatsächlich gelingt es ihm, die Stimmungslagen der Menschen zu treffen. Oft scheinen sie mit dem Betrachter geradezu in Kontakt zu treten. Ein großes Vorbild ist für ihn der amerikanische Maler Sean Cheetham, einer seiner Lehrer, den er auch porträtiert hat. Auch den britischen Maler Euan Uglow findet man als Porträt, ein weiteres Vorbild für Haynes.

Viele Bilder beziehen sich auf persönliche Erinnerungen

Die Mehrzahl der dargestellten Personen sind aber anonym, teilweise vermischt der Künstler verschiedene Vorbilder zu einem Bild. Viele Bilder beziehen sich auf persönliche Erinnerungen. Er malt oft nach Fotos, die er aber teilweise stark verändert, indem er etwa den Hintergrund komplett austauscht. Haynes arbeitet häufig in kleinen Formaten, was auch dem Umstand geschuldet ist, dass er als Grafikdesigner arbeitet und nicht so viel Zeit zum Malen hat, wie er gerne möchte. Beim Bild „Mother“, eine ein Kind säugende Mutter mit einem starken Bezug zu Madonnenbildern, experimentierte Haynes mit der Malweise des Pointilismus. Ansonsten ist sein Malstil stark vom Impressionismus beeinflusst. In flüchtiger Malweise lässt er auch gerne Stellen bewusst unausgearbeitet. „Ich mag den groben Pinselstrich“, sagt er mit Blick auf das schon im größeren Format herausstechende Bild „Junction Juke Joint“.

Die Gesamtwirkung wie auch eine extreme Detailfreude sind für Matthias Gnatzy wichtig, wobei viele Details oft nur bei genauester Betrachtung erkennbar sind. Auch bei ihm ist die Flucht ein Thema der Biografie. Der 1948 in Görlitz geborene Künstler, der viele Jahre als Kunsterzieher im Gymnasium in Besigheim unterrichtete, ist mit seinen Eltern aus der DDR geflohen. In der Ausstellung ist ein Querschnitt seiner Arbeiten vom Ende der 1970er-Jahre bis in die Gegenwart zu sehen. Darunter finden sich einige Ätzradierungen, doch zum größten Teil passt der Begriff Objektkunst. Seine Objekte entstehen aus einem riesigen Fundus. Einige Dinge könnte man als „Objet trouvé“ bezeichnen, etwa die Inszenierung einer Maurerkelle auf einem Sockel. Nur wenn man genau schaut, findet man das winzige Figürchen, das darauf angebracht ist. Man schmunzelt beim Titel „Entwurf für ein Richard („Mörtel“) Luger-Denkmal“. Ist es hier der Wiener Bauunternehmer, der ganz ironisch gewürdigt ist, so liebt Matthias Gnatzy überhaupt Wortspiele und ihre Umsetzung in Bildaussagen. „Ich versuche, dass die Dinge sprechen“, erläutert er. Wie man Händels „Feuerwerksmusik“ visualisieren kann, zeigt „Des Jubilars zündende& reizende Festmusik“ mit der mit Zündhölzern gespickten Notenhandschrift.

Denkaufgaben für die Betrachter

Die Betrachter werden vor anspruchsvolle Denkaufgaben gestellt, etwa bei „Meine erste M...“. Darin kann man mit Fantasie die Zahl 1000000 finden. In „Ezra Pounds Dilemma“ lässt sich das Großmotiv als auf die Seite gestelltes Zeichen der Londoner Underground erkennen, das in winzigem Format sogar aufgeklebt ist. Über ein Gedicht zur Metro, das im Hintergrund des Bilds versteckt ist, entsteht dann der Bezug zu Ezra Pound, dessen problematische Ansichten Gnatzy an der linken Seite mit Bildern zur Zeitgeschichte einordnet. Um das zu erkennen, muss man das Kunstwerk aber schon sehr genau untersuchen. Die hier aufzufindenden Bezüge zu chinesischen Schriftzeichen und zu anderen Alphabeten finden sich in vielen seiner Arbeiten.

In mehreren Werken hat sich Matthias Gnatzy mit Eduard Mörike auseinandergesetzt. Der zweihundertste Geburtstag des schwäbischen Dichters war 2004 der Anlass für „Zweihundert sind besser als einer“: ein Minirahmen mit einem Mörikeporträt und ein großer vergoldeter Rahmen mit 200 Diarähmchen mit demselben Mörikeporträt – allerdings in wechselnder Farbigkeit, was natürlich eine Reminiszenz an Andy Warhol ist. In der seriellen Anordnung sind bestimmte Punkte hervorgehoben: schwarz-weiß sind Geburt und Tod, wobei letzterer noch einmal durch die Schrägstellung des Diarähmchens und den Wechsel der Blickrichtung nach hinten hervorgehoben ist.

Der Turmhahn aus einem Mörikegedicht und was Gnatzy daraus macht

Und dann ist da noch der auf einem alten Stuhl befestigte Turmhahn, den Mörike in einem Gedicht besungen hat („Personalunion; Sitzgelegenheit für ein Doppel-Ich“). Allerdings hat Gnatzy Turmhahn und Mörike verschmolzen. Fein säuberlich sind die Schwanzfedern nach dem originalen Turmhahn von Cleversulzbach aus Blech ausgesägt und mit einem Porträt Mörikes mit Zylinder und Regenschirm kombiniert. Dieses bekannte Scherenschnittporträt hat er auch gleich als Negativ aus einem Stück Blech herausgesägt und gerahmt. Der Titel „Wexelmörike“ deutet an, dass das Objekt je nach Hintergrund völlig anders aussieht. An der Wand hängend wirft es einen Schatten auf die Wand. Eine Bildfolge zeigt Gnatzys Spiel mit wechselnden Hintergründen. Der letzte Raum zeigt den Blick der Künstler auf sich selbst.

Eröffnung Vernissage ist am Sonntag um 11.30 Uhr. Die Öffnungszeiten sind Samstag und Sonntag von 14 bis 19 Uhr sowie dienstags bis freitags von 17 bis 19 Uhr.

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Erstellt:
30. September 2022, 06:00 Uhr

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