Backnang ist eine Station der Europatournee des Chris-Potter-Quartetts

Das hochkarätige Jazz-Ensemble begeistert: Es präsentiert das Album „Got the keys to the kingdom“. Das Konzert im großen Saal des Backnanger Bürgerhauses ist ausverkauft.

Weltklassesolist, -komponist und Bandleader Chris Potter spielt sich mit seinem Ensemble schnell in die Herzen der Zuhörer im Backnanger Bürgerhaus. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Weltklassesolist, -komponist und Bandleader Chris Potter spielt sich mit seinem Ensemble schnell in die Herzen der Zuhörer im Backnanger Bürgerhaus. Foto: Alexander Becher

Von Marina Heidrich

Backnang. Die Besucher des Backnanger Bürgerhauses sind mittlerweile an großartige Livemusiker gewöhnt, ja geradezu damit verwöhnt, es herrscht eine gewisse Erwartungshaltung. Und doch schaffen es die Verantwortlichen immer wieder, neue Sahnehäubchen zu präsentieren. So sorgte am Freitagabend das hochkarätig besetzte Chris-Potter-Quartett für Begeisterung.

Das Konzert ist ausverkauft. Chris Potter betritt mit seinen drei Mitmusikern die Bühne – dunkle Jeans, schwarzes T-Shirt, darüber ein graues Sakko – fast unscheinbar. Er lächelt kurz, und dann legt das Ensemble auch schon los. Ohne irgendwelche Bühnensperenzchen, ohne Show. Bereits nach den ersten Tönen ist das Publikum wie gebannt. Es gibt nicht viele Saxofonisten, die ihr Instrument so beherrschen wie der in New York City lebende 52-Jährige, der in Chicago geboren wurde. Potter hat ein unglaublich virtuoses technisches Vermögen, im Vordergrund seines Spiels steht jedoch immer die Wärme des Tons, die Grundstimmung der Songs, die Emotion. Und so nimmt sich der Meister auch angenehm zurück bei den Soli der anderen, unterstreicht, fügt sich harmonisch ins Ganze ein. Dominiert ohne überpräsent zu sein. Steht mit geschlossenen Augen da und wippt leicht im Rhythmus. Chris Potter lebt die Musik, zeichnet akustische Bilder in überragender Harmonie mit seinen Mitmusikern. Eine Gabe, die nicht jeder Solist besitzt.

Bei dem Titeltrack handeltes sich um ein traditionelles Spiritual

Backnang ist eine Station seiner Europatournee, auf der er sein neues Album „Got the keys to the kingdom“ präsentiert. Auf dem im Februar vergangenen Jahres aufgenommenen Album sind ausschließlich Covers unterschiedlichster Musikgenres zu hören, die Potter auf seine unnachahmliche Art arrangiert hat. Songs von Joni Mitchell, Folk, Blues, alles wirkt trotzdem wie aus einem Guss, bildet eine runde Sache. So handelt es sich bei dem Titeltrack im Original um ein traditionelles Spiritual aus der Zeit der Sklaverei, das erst ganz sanft – smooth – beginnt und sich zu einem dynamischen Tutti steigert. Gegen Schluss mündet das Stück in einen grandiosen Monolog des Saxofons. Im Bürgerhaus wippen die Köpfe, der Applaus und die begeisterten Rufe nach den einzelnen Soli wird immer lauter.

Der für den Grammy nominierte Chris Potter ist einer der führenden musikalischen Persönlichkeiten seiner Generation im Bereich Jazz. Mit der Auswahl seiner Mitmusiker setzt er noch mal einen drauf. Pianist Edward Simon stammt aus Venezuela und hat sich in den letzten Jahren einen Namen als Komponist, Arrangeur und Bandleader gemacht. Nasheet Waits wurden die Schlagzeugergene gewissermaßen in die Wiege gelegt. Der Sohn des bekannten Percussionisten Freddie Waits arbeitet als Musikpädagoge in New York und hat unter anderem schon mit der Grande Dame Ella Fitzgerald gespielt. Am Kontrabass steht ebenfalls ein ganz Großer: Scott Colley, selbst mehrfach für den Grammy nominiert, gehört zu den gefragtesten Bassisten.

Den Eröffnungstitel spielt Chris Potter explizit für einen diesen Monat verstorbenen Mann, der ihn stark inspiriert hat: Saxofon-Ikone Wayne Shorter. „Wir vermissen ihn und er wird immer da sein“, sagt Potter. Dann annonciert er kurz die folgenden Stücke, und die Musiker widmen sich dem Wesentlichen. Der Musik. „You gotta move“, ein Bluessong von Mississippi Fred McDowell, wurde im Rockbereich bereits von den Rolling Stones gecovert. Man erkennt das Grundthema sofort, und dann verwandelt Chris Potter das Lied in eine wahre Sinfonie. Glasklar ist jedes einzelne Instrument definierbar.

Die Liedauswahl ist ungewöhnlich, vieles hat man im Jazz noch nicht gehört. Potters Arrangements beinhalten Zitate aus dem Blues, dem Swing, sogar Latingrooves („Olha Maria“) und orientalisch angehauchte Melodieführungen sind erkennbar. Sehr angenehm ist, dass die hinreißend virtuosen Fähigkeiten der Musiker immer wieder dosiert eingestreut werden, aber nicht sozusagen in Dauerschleife bedient werden. Dadurch ist der Effekt umso größer – die Musiker wissen ganz genau, was sie tun. Profis durch und durch, Könner und Weltstars ohne Stargehabe. Nach zwei begeisternden Sets lassen sich Chris Potter und seine Mitmusiker auch nicht lange um eine Zugabe bitten. Billy Strayhorns „Blood count“ wirkt bluesig-wehmütig und die letzte Komposition des 1967 verstorbenen Musikers ist in Potters Interpretation der würdige Abschluss eines herausragenden Abends.

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Erstellt:
13. März 2023, 06:00 Uhr

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