Backnanger Bürgerbühne: Eine Premiere mit Überraschungen

Die Backnanger Bürgerbühne zeigt mit Shakespeares „Romeo und Julia“ ihre elfte Produktion. Das Theaterstück bietet ein Wechselbad der Gefühle und einen Spagat zwischen Historie und Moderne.

Das tragische Ende des berühmten Liebespaars Romeo und Julia wird auf der Backnanger Bühne uminterpretiert. Fotos: Alexander Becher

© Alexander Becher

Das tragische Ende des berühmten Liebespaars Romeo und Julia wird auf der Backnanger Bühne uminterpretiert. Fotos: Alexander Becher

Von Carmen Warstat

BACKNANG. „Was Liebe kann, wird Liebe immer wagen.“ Das Zitat aus Szene II/2 (Capulets Garten) der Shakespeare-Tragödie „Romeo und Julia“ steht auf einer von vielen Taschentuchpackungen, die die Dienerinnen aus dem Stück in der Pause an das Publikum verteilen. Wie schon mit dem eingangs aus dem Off gelesenen Sonett werden die Zuschauer so auf das traurige Ende einer todgeweihten Liebe vorbereitet und zugleich aus der Rolle der ergebenen außenstehenden Betrachter gerissen. Die Geste baut Spannung auf und macht bewusst, es sei ja „nur“ Theater. Sie löst hier und da Heiterkeit aus und markiert den Grat, auf dem gewandelt wird: Tragisches und Komisches als einander bedingende Pole, die aufeinander zukippen (müssen) und nicht voneinander zu trennen sind. Ein weiteres Beispiel für die Aufhebung der perfekten Illusion ist das direkte Ansprechen des Publikums, das also nicht abschalten oder sich passiv berieseln lassen kann. So fragt Mercutio: „Können Sie das mal halten?“ oder: „Darf ich mal bitte hier durch?“ Als einer von vielen kennzeichnet dieser Effekt das moderne Theater und macht den Zuschauer bestenfalls zum bewussten Mitgestalter eines Projekts.

Originelle musikalische Gestaltung

Die Rede ist von der jüngsten Premiere der Backnanger Bürgerbühne. Unter der Regie von Juliane Putzmann inszeniert die Amateurtruppe dieser Tage Shakespeares „Romeo und Julia“ in der zeitgemäßen Übersetzung von Frank Günther. Dabei wird dem Zuschauer eine Reihe von Überraschungen beschert. Diese beginnt mit einem spartanischen, aber dramaturgisch äußerst effektiven Bühnenbild und reicht über die höchst originelle und berührende musikalische Gestaltung durch Chor, Gitarren und Piano sowie eingespielte beziehungsweise sehr sensibel auf das Bühnengeschehen abgestimmt interpretierte relativ aktuelle Songs von Mariah Carey (Without You) bis Nirvana (Heart-Shaped Box) und über die fantasievollen, für das Erfassen der Figurenkonstellation sehr hilfreichen Kostüme bis hin zu Verweisen beispielsweise auf Hamlet. Eine weitere Überraschung bringt der Schluss, den das Ensemble umgeschrieben hat. Das tragische Ende des berühmten Liebespaars wird uminterpretiert und den Fängen des Zufalls entrissen, hin zu einer Emanzipation der Liebenden noch in ihrem Scheitern – mehr soll an dieser Stelle dazu nicht verraten werden.

Szenenwechsel ist geschickt gelöst

Das 18-köpfige Schauspielerteam leistet Beachtliches und kommt in seinen stumm dargestellten Szenen besonders intensiv zur Geltung: Durch den Verzicht auf Sprache, erhöht sich offensichtlich der Zwang zur körperlich-gestischen und mimischen Gestaltung des Geschehens um einiges, was die Künstler dazu bewegt, besonders deutlich zu agieren, und faszinierende Ergebnisse hervorbringt. Auch die Wechsel der Szenen und Akte des Stücks werden geschickt gelöst. Es gibt nur eine Pause, dennoch gelingt es durch kleine Kniffe und fast ohne Unterbrechungen, die jeweiligen Übergänge und Settings zu kennzeichnen.

Requisiten und Kostüme dienen zum Teil dazu, das vier Jahrhunderte alte Stück oder bestimmte Aspekte auf unsere Zeit zu übertragen, da genügt es schon, Andeutungen zu machen, zum Beispiel, indem irgendwo im Bühnenbild ein Baseballschläger oder ein Motorradhelm auftaucht. Die Aktualität des Shakespeare-Stoffs scheint ungebrochen, wie auch die Theaterleiterin Jasmin Meindl eingangs anmerkt. Immer geht es um Gewalt, die Gewalt und Unglück gebiert, Gewalt, die sich zuerst in der Sprache zeigt, Gewalt, die in die Katastrophe führt. Zugleich werden der Sprachwitz des Autors und etwa die Zotigkeit mancher seiner Figuren ergänzt durch gekonnt inszenierte Situationskomik.

Dass das vier Jahrhunderte alte Stück an die Moderne adaptiert wurde, erkennt man schon an den Kostümen von Romeo, Mercutio und Benvolio (von links).

© Alexander Becher

Dass das vier Jahrhunderte alte Stück an die Moderne adaptiert wurde, erkennt man schon an den Kostümen von Romeo, Mercutio und Benvolio (von links).

Diese elfte Produktion der Backnanger Bürgerbühne ist eine Teamarbeit von Darstellern und Regie sowie Regieassistenz, Kostüm-, Masken- und Bühnenbildnern, Musikern und Musikpädagogen sowie Technikern, deren individuelle Leistungen die Mosaiksteine für ein Projekt bilden, das tief beeindruckt. Nicht zuletzt ist dies der Backnanger TSG Fechten (Historisches Fechten) zu verdanken. Über Wochen wurden Darsteller der Bürgerbühne unentgeltlich gecoacht, um authentisch anmutende Kampfszenen zu erarbeiten.

Die Versöhnung der Familien Capulet und Montague setzt den bittersüßen letzten Schlusspunkt, der Romeo recht gibt: „Hier wütet Hass, doch Liebe wütet mehr.“

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Erstellt:
22. Mai 2023, 06:00 Uhr

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