Beeindruckendes Werk für Chor und Tangoorchester

Bürgerhausbesucher feiern begeistert die Tangomesse „Buenos Aires“, ein Jubiläumskonzert des Chorverbands Friedrich Schiller.

Mit dem Chor, dem Orchester Sinfonia 02 und den Solisten baut sich auf der Bühne ein eindrucksvolles Bild in Schwarz-Weiß mit roten Akzenten auf. Foto: Tobias Sellmaier

© Tobias Sellmaier

Mit dem Chor, dem Orchester Sinfonia 02 und den Solisten baut sich auf der Bühne ein eindrucksvolles Bild in Schwarz-Weiß mit roten Akzenten auf. Foto: Tobias Sellmaier

Von Miklós Vajna

Backnang. Der Geräuschpegel im gut besuchten Walter-Baumgärtner-Saal des Backnanger Bürgerhauses ist ungewöhnlich hoch: In den letzten Reihen sitzen Chormitglieder in Konzertkleidung und unterhalten sich angeregt. Sie warten voller Vorfreude auf ihren Auftritt im wegen der Coronapandemie verschobenen Jubiläumskonzert des Chorverbands Friedrich Schiller.

Mario Brenner, der Vorstand Organisation des Chorverbands, begrüßte die anwesenden Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und das Publikum und schilderte die Problematik des Festkonzerts zum 100-Jahr-Jubiläum des Chorverbands, das 2020 stattfinden sollte. Alles war vorbereitet und geprobt, doch dann kam Corona. Die daraus resultierende schwierige Situation musste erst überstanden werden, bis nach dem Ende der Pandemie wieder an ein Konzert gedacht werden konnte.

Verbindung zwischen Formensprache der Kirchenmusik mit dem Tango Nuevo

Die Einführung in das Werk des Abends machte Harald Scholz. Er erläuterte die geografischen, geschichtlichen und soziologischen Ursprünge des tanzbaren Tangos und des eher konzertanten „Tango Nuevo“ eines Astor Piazolla und verdeutlichte den Gegensatz zur traditionellen Kirchenmusik. Die Idee, ein Werk für Chor und Tangoorchester zu komponieren, entstand, als der Komponist Martin Palmeri (geboren 1965) Chorleiter und gleichzeitig auch Pianist und Dirigent eines Tangoorchesters war. Seine Misa Tango – Messe im Tangostil – oder Misa a Buenos Aires wurde 1996 in Buenos Aires uraufgeführt.

Sie verbindet die traditionelle Formensprache der Kirchenmusik mit dem Tango Nuevo. Die Reihenfolge der Textsätze folgt dem üblichen Messordinarium: Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus, Benedictus, Agnus Dei. Zum Abschluss der Einführung und zum besseren Erfahren des Tangogefühls erarbeitete Harald Scholz gemeinsam mit dem Pianisten und dem erfreuten Publikum die drei grundlegenden Rhythmen des Tangos.

Dann darf der Chor auf die Bühne. Er besteht aus einem Projektchor, dem Vokalensemble Cantoblu und dem Mittel- und Oberstufenchor des Gymnasiums Ditzingen und hat im Ganzen etwa 80 Mitglieder. Gemeinsam mit dem Orchester Sinfonia 02 und den Solisten baut sich auf der Bühne ein eindrucksvolles Bild in Schwarz-Weiß mit roten Akzenten auf.

Die Messe im Tangostil ist ein beeindruckendes, groß angelegtes Werk in der besten Tradition der festlichen Messevertonungen des Barocks und der Klassik. In epischer Breite entsteht durch die befruchtende Verschmelzung der seit Jahrhunderten festgelegten Formabläufe und bewährten musikalischen Umsetzung des Messetexts mit den modernen Rhythmen, Melodien und Harmonien des „Tango Nuevo“ eine neue und überzeugende Sicht der gewohnten Form der Messe. Auch die scheinbar gegensätzlichen Klangwelten des kirchenmusikalischen Chorklangs und des weltlichen Tangoorchesters ergänzen sich zu einem neuen und schlüssigen Gesamtklang. So beginnt das Kyrie zwar wie gewohnt mit einem Ausruf im Unisono von Chor und Orchester, das Bandeon jedoch setzt den tangomäßigen Kontrapunkt dazu, sodass der weitere Verlauf beide Musikstile bruchlos zu einer Einheit formt. Die in Musik gefasste Andacht der sakralen Melodien und Harmonien, ihre Festlichkeit und Größe werden bereichert durch die überschäumende Lebensfreude und das tief empfundene Klagen der Tangoharmonien und -rhythmen.

Der große Chor hat einen grandiosen Klang und eine perfekte Einheit, intoniert und formuliert einwandfrei und ist stets präzise in Rhythmus und Gestaltung. Samtweiche oder bedrohliche Bässe, triumphale oder klagende Tenöre, jubilierende Frauenstimmen und eindrucksvolle Unisoni und sehr ergreifend im A-cappella-Hosianna: Die scheinbaren Gegenpole andächtige Kirchenmusik und mitreißende Tangogefühle erzeugen Gänsehautmomente.

Das Orchester Sinfonia 02, die Bandeonspielerin Karin Eckstein und der Pianist Lukas Brenner tragen mit viel Gefühl für beide musikalische Komponenten, mit Zuverlässigkeit und Klangfarbenreichtum zum Gelingen des Konzerts bei.

Die Mezzosopranistin Hanna Roos singt nur an musikalisch besonders wichtigen Stellen der Komposition. Mit klarer Stimme, gradlinig, ausdrucksvoll berührend, mal mit vibratoloser Stimme eine fahle Stimmung erzeugend, mal mit vollem Stimmvolumen sich mit Leichtigkeit über Chor und Orchester erhebend, bringt sie ein eigenständiges Element in den reichen Klangkosmos hinein.

David Brost ist seit 2019 der Vorstand Musik im Chorverband Friedrich Schiller. 2013 bis 2016 leitete er mit sehr positiven Ergebnissen den modernen Chor der Liedertafel Backnang, die Chorallen. Seine Entscheidung, die Misa a Buenos Aires zum Festkonzert des 100-Jahr-Jubiläums aufzuführen, wurde beeinflusst durch seine Vorliebe für Tango- und Jazzharmonien und den vielen hier transportierten Emotionen sowie der Verknüpfung von Alt und Neu. Sein unspektakuläres, aber genaues Dirigat folgt jeder kleinsten musikalischen Nuance und verdeutlicht durch den konsequent mitgehenden Chor die entstehenden Gefühlsregungen.

Über die Körpersprache des Dirigenten überträgt sich das musikalisch Gemeinte

Die Musik kann frei fließen und sich authentisch entfalten. Die große Lebendigkeit des Vortrags ist nur möglich durch ein ständiges konzentriertes Durchleben der musikalischen Vorgänge. Über Brosts Körpersprache und Ausstrahlung überträgt sich das musikalisch Gemeinte direkt an die Musiker und kommt ohne Umwege beim begeisterten Zuhörer an. Natürlich musste viel Vorarbeit vom Dirigenten und einigen zusätzlichen Chorleitern bis zur einsatzfähigen Einstudierung geleistet werden, um diese Flexibilität und Freiheit des direkten Mitgehens zu erreichen.

Es gibt großen Schlussapplaus, Standing Ovations und begeisterte Pfiffe. Wie bei Chorveranstaltungen üblich, gibt es ein Schlusswort mit Dank an die Mitwirkenden sowie die obligatorische Flasche Wein für die Herren und Blumen für die Damen. Die Zugabe „An Irish Blessing“ in einer schönen Version mit allen Beteiligten ist zu Herzen gehend. Zum Abschluss singen Chor, Orchester und das Publikum gemeinsam „Der Mond ist aufgegangen“.

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Erstellt:
4. Juli 2023, 16:00 Uhr

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