CD-Produktion statt Festivalkonzert

Frieder Bernius und seine kreativen Projekte in schweren Zeiten

Auch dem Gründer des Stuttgarter Kammerchors und international gefragten Dirigenten Frieder Bernius aus Backnang sind derzeit die künstlerischen Hände bis zu einem gewissen Grad gebunden. Das Festival in Neuseeland, das auf seinem Terminkalender stand, gehört zu den gecancelten Engagements. Seinen Beruf als freiberuflicher Dirigent vernachlässigt er aber nicht.

Statt Konzerte zu geben wie hier mit seinem Kammerchor Stuttgart im Backnanger Bürgerhaus legt der Backnanger Dirigent Frieder Bernius sein Augenmerk unter anderem verstärkt auf Quellenforschung und das Studium der Werkliteratur. Foto: E. Layher

© Edgar Layher

Statt Konzerte zu geben wie hier mit seinem Kammerchor Stuttgart im Backnanger Bürgerhaus legt der Backnanger Dirigent Frieder Bernius sein Augenmerk unter anderem verstärkt auf Quellenforschung und das Studium der Werkliteratur. Foto: E. Layher

Von Thomas Roth

BACKNANG. Zum vierten Mal wäre Frieder Bernius mit seinem Kammerchor der Einladung zum 12. Weltsymposium der Chormusik nach Auckland in Neuseeland im Juli gefolgt. Eineinhalb Jahre haben er und seine Sänger auf dieses Ereignis hingearbeitet – und nun dies: Absage. Eine Absage ohne weitere Äußerung, wie Bernius anfügt. Also keine Verschiebung in Aussicht oder sonst irgendetwas: „Das ist eine katastrophale Situation.“ Das Programm konnten Interessierte in Teilen bereits im Backnanger Bürgerhaus am 29. Januar erleben. Es beinhaltet Werke von Mendelssohn-Bartholdy, Improvisationen über einen BachChoral von Knut Nystedt („Immortal Bach“) oder auch die „Cinq Rechants“ von Olivier Messiaen.

Neben der emotionalen Enttäuschung, die übrigens auch groß ist darüber, dass das Bachfest in Leipzig, das für den 12. Juni geplant war, nicht stattfinden kann, spielen natürlich wirtschaftliche Konsequenzen für Bernius eine Rolle. Und hier konkret nicht primär die ihn persönlich betreffenden, sondern die der von ihm gebuchten Musiker, meist Freelancer. Bernius fühlt sich in gewissem Sinne für diese Musiker verantwortlich. Veranstalter zahlen in den seltensten Fällen, wenn überhaupt, irgendwelche Ausfallhonorare. Aber, so Bernius, man habe eine Lösung gefunden. Ein Teil dieser Lösung ist, dass das „Backnang-Auckland-Programm“, also die vorher erwähnten Stücke und andere mehr, demnächst im Studio – wenn auch unter erschwerten Bedingungen – aufgenommen werden und so die beteiligten Akteure Geld verdienen können. Erscheinen wird die CD bei Hänssler. 16 Konzerte zwischen März und Juli, darunter das Festival Stuttgart Barock, sind abgesagt worden. „Das ist schon hart, aber da sind wir nicht allein.“ Nebenbei bemerkt werden nun in der Regel alle neuen Gastspielverträge mit einer sogenannten Coronaklausel versehen: Kann die Veranstaltung wegen des Virus nicht abgehalten werden, gehen die Künstler leer aus. Man mag sich nicht ausdenken, was dies langfristig für Profikünstler bedeutet.

Ein weiterer Aspekt, der Bernius am Herzen liegt, ist die Tatsache, dass Musikern gesagt wird, sie seien nicht systemrelevant: „Die Kultur wird nicht als Nahrungsmittel, sondern als Genussmittel verstanden. Und genau dagegen kämpfe ich mein ganzes Leben. Wir sind wichtiger Teil unserer Nahrung, wenn nicht sogar mit der wichtigste, und nicht nur eine Versüßung oder ein Sahnehäubchen oder ein Genussmittel. Das ist mir wichtig zu sagen. Das müssen die Leute kapieren.“ Und völlig indiskutabel findet Bernius die öffentliche Äußerung des SPD-Politikers Karl Lauterbach, das Ganze könne noch bis 2022 so weitergehen: „Wenn ich das nicht 100-prozentig weiß, das ist ja auch nur eine Vermutung, und dann der Welt, also der Gesellschaft und auch den Künstlern damit sage, ihr seid jetzt einfach zwei Jahre lang brotlos, das geht gar nicht. Damit raube ich Leuten, die vielleicht nicht so stark sind, vielleicht die letzte Hoffnung.“

Neben den beruflichen negativen Einschnitten gewinnt Frieder Bernius der aktuellen Zeit aber auch Positives ab. So hilft die Coronakrise dem Familienvater, der Familie wieder näherzukommen: „Bei allem Stress, den es gibt, hilft es, die Nöte des Gegenübers besser zu verstehen. Ich komme aus dem Hamsterrad etwas raus, entdecke die Langsamkeit.“ Neben den Auswirkungen auf den privaten Bereich gewinnt Bernius dieser „neuen“ Langsamkeit auch für seinen Beruf Positives ab. Da Proben und Auftritte und deren Organisation entfallen, widmet er sich nun verstärkt der Quellenforschung und dem Studium der Werkliteratur. Derzeit bereitet er sich übrigens auf ein Interview mit dem SWR zur „Walpurgisnacht“ von Felix Mendelssohn-Bartholdy nach einem Text von Goette vor: „Dafür habe ich jetzt mehr Zeit. Das ist ein inhaltlicher Fortschritt, dass ich jetzt eben noch mehr Bücher darüber lesen kann.“

Am 29. April ist Frieder Bernius von 10 bis 12 Uhr auf SWR 2 also im Interview zu hören. Das Werk selbst unter seiner Leitung wird hier natürlich ebenfalls zu erleben sein. Gesendet wird eine Aufnahme aus dem vergangenen Jahr.

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Erstellt:
24. April 2020, 06:00 Uhr

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