Das Leben vor dem Tod genießen

Im Großhöchberger Kabirinett begeisterte der Koch, Gourmet, Musiker und Kabarettist Tobias Sudhoff mit seiner Show „Iss was?!“

Auf der Bühne ist Tobias Sudhoff Küchenchef, Beziehungsberater und Therapeut, Musiker und Kabarettist in einem. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Auf der Bühne ist Tobias Sudhoff Küchenchef, Beziehungsberater und Therapeut, Musiker und Kabarettist in einem. Foto: A. Becher

Von Carmen Warstat

SPIEGELBERG. Die „Reise durch den großen Küchenkosmos der Sinnlichkeit“ fand im Rahmen der Winterkulturtage statt. Deutlich, zuweilen rigoros positionierte der Künstler sich pro Genuss und gegen bedenkliche Auswüchse der Lebensmittelindustrie.

Dies vorweg: Aus den angekündigten Häppchen wurde nichts. Ein Missverständnis in der Absprache mit dem Großhöchberger Veranstalter, das wettgemacht werden konnte. Denn Tobias Sudhoff servierte Kabarett mit Krustentierfond, der in der Pause fleißig probiert und einhellig für ausgezeichnet befunden wurde. Beides vom Feinsten also. Ein Try-out kündigte er an, eine Vorpremiere oder öffentliche Probe seines Programms, das zu großen Teilen noch keinem Publikum vorgestellt wurde, weshalb er „Zettel dabei“ hatte.

Der Qualität und dem Amüsement seiner Zuschauer tat dies keinen Abbruch, seiner Radikalität in Sachen Gesellschaftskritik schon gar nicht. Sudhoff ist Koch und Gourmet, Musiker und Kabarettist, ein wenig Comedian und Clown – Entertainer mit Genusskompetenz, die keinen Unterschied macht zwischen Küche und Kabarett. Seinen Gästen stellt er sich vor als „Ihr Küchenchef, Beziehungsberater und Therapeut“ und singt: „Bei mir kriegt wirklich jeder etwas Warmes in den Bauch, ich leihe euch mein Ohr, und etwas Liebe gibt es auch.“ Das klingt nach Harmonie und Frieden, tatsächlich aber geht es um „die Zumutungen des kategorischen Imperativs“, will sagen, um Kritik an einer unkritischen Gesellschaft.

Musikalisch bewegt sich Tobias Sudhoff zwischen Jazz, Hip-Hop und Singer-Songwriting

Der Künstler hilft dem Denken auf die Sprünge. An Piano und Vibrafon analysiert er die Verlogenheit in der On/Off-Beziehung zwischen „Käfer und Hasi“ sowie eines Hermann, der seine Tochter im SUV zum Klimaprotest chauffiert, die intellektuelle Fallhöhe von Köchen im Allgemeinen, die eigene Intoleranz gegen Laktoseintoleranz, die „Ehegrammatik“ mit „Subtext, Prädikat und kompliziertem Objekt“, Ehekrisen überhaupt und probate Mittel dagegen, schließlich anhand eines Jenga-Turms sehr anschaulich unser gesamtes Ökosystem, ein Béchamelrezept, das Für und Wider Multikulturalität in der Küche, Gastronomieerfahrungen im Großen und im Kleinen, jede Art von Reichtum und Armut, schließlich die Landwirtschaft weltweit und Julia Nestlé-Klöckner, wie er die Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft nennt. Es gibt Bravo-Rufe und heftigen Applaus.

Sudhoffs Blick ist ein globaler, der die Zusammenhänge zwischen Agrarsubventionen hier und verheerender Armut dort, zwischen Genussfeindlichkeit und Lebensmittelskandalen in den Fokus nimmt, ohne die kleinen Seitenhiebe auf Allergiker oder Veganer, Heilpraktiker und solche, die an sie glauben, zu vergessen. Da sind beispielsweise Esther und Klaus, „und“, sagt der Künstler „ich bemüh mich, sie zu mögen…sehr esoterisch...“ Es folgt „ein sehr langer Song über Esther und Klaus – da müsst ihr jetzt durch!“

Musikalisch bewegt sich der Kabarettist, der bereits mit Knut Kiesewetter, Ron Williams, Markus Stockhausen und anderen arbeitete, zwischen Singer-Songwriting, Jazz und Hip-Hop. Er spielt mitunter ein ausgemachtes Bar-Piano und weiß mit handwerklichem Können und Witz am Vibrafon zu agieren. Gelungene Interaktion mit dem Publikum inklusive.

Sein letztes Stück führt einen Genießer von Speis und Trank nach ausgiebigem Mahl in die Waagerechte, wo er „Karussell fährt“, zu träumen beginnt und sich auf einer Wolke wiederfindet. „Bin ich jetzt tot?“ Thomas Sudhoffs Alter Ego trifft Gott, der ein Steak isst und das Versagen der Spülmaschine beklagt. Für „die da unten“ fühlt dieser Gott sich nicht zuständig. Und aus Erinnerungen, Hoffnungen und Träumen webt der Künstler unter dem Titel „Das wär doch was!“ ein Mosaik, dessen Steinchen sich zu einer großen Utopie vereinen und schließt: „Das wär doch was, wenn ich so ein Lied am Ende eines solchen Programms gar nicht singen müsste.“

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Erstellt:
3. Februar 2020, 06:00 Uhr

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