Dauerkichern und Gelächter in der Gruschtelkammer

Die Veranstaltung von Stephan Bauer „Weihnachten fällt aus! Josef gesteht alles!“ fand statt, bei scharfen Coronaregeln in der Auenwaldhalle. Es ist ein sich steigernder Horror, den der Kabarettist für den Weihnachtsabend in der eigenen Familie auf der Bühne heraufbeschwört. Das Publikum spendet amüsiert und begeistert reichlich Applaus.

Stephan Bauer betrachtet die Ehe als Gefängnis und das Zusammenleben zwischen Mann und Frau als Geschlechterkampf. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Stephan Bauer betrachtet die Ehe als Gefängnis und das Zusammenleben zwischen Mann und Frau als Geschlechterkampf. Foto: A. Becher

Von Klaus J. Loderer

Auenwald. Bestimmte Gesichtsmuskel sind an einem Abend mit Stephan Bauer in Dauerbeanspruchung. Der Kabarettist sorgte am Mittwoch in der Auenwaldhalle für Dauerkichern und viel Gelächter. Er bombardierte das Publikum mit Pointen. Dieses spendete begeistert Applaus. Das Stammpublikum belohnt das Engagement des rührigen Vorsitzenden Karl-Heinz Graf, der immer wieder bekannte Künstler nach Auenwald holt, in der Regel mit ausverkauftem Haus. Durch die Veränderungen der Coronaverordnungen bangten die Veranstalter nun schon etwas um den Abend. Die durch das Land verordnete sogenannte 2-G-plus-Regel für kulturelle Veranstaltungen sorgte dafür, dass die Besucher der Gruschtelkammer im Vorfeld der Veranstaltung auf die Jagd nach einem Termin für einen Schnelltest gehen mussten. So blieben denn einige Plätze leer. Fleißig wurden Eintrittskarte, Ausweis, Impfnachweis und aktueller Test kontrolliert. Mit einer geschickten Bestuhlung in Zweiergruppen war das Publikum auf Abstand gesetzt, es entstand aber mit den Tischchen und den Lämpchen eine gemütliche Loungestimmung. Wer auf den Ankündigungen durch „fällt aus“ schon erschrocken war, konnte allerdings bei genauerem Lesen beruhigt feststellen, dass das ein Teil des Programmtitels war.

Klingt „Weihnachten fällt aus! Josef gesteht alles!“ wie eine Neudeutung der Bibel, stellt sich das Programm schnell als witzige Aufarbeitung des Heiligen Abends in der Familie heraus. Es ist ein sich steigernder Horror, den Bauer da für den Weihnachtsabend in der eigenen Familie heraufbeschwört. Aber auch jedes Detail endet in einer schieren Katastrophe. Er analysiert das passgenau und landet treffsicher die Pointen. Doch wie kann sich ein Mann der elterlichen Weihnachtsfeier entziehen? Nur durch eine eigene Ehe oder einen Gefängnisaufenthalt. Bauer lässt es sich nicht entgehen, gleich nachzuhaken und die Ehe als Gefängnis zu betrachten.

Letztlich geht es bei Bauer um das Zusammenleben zwischen Mann und Frau, um einen dauernden Geschlechterkampf. Was auf den ersten Blick wirken könnte wie eine Abrechnung, nachdem er von seiner Frau verlassen wurde, ist dann doch der verschmitzte Blick auf Mann und Frau und ihre vermeintlichen Eigenschaften. Pflichtschuldig macht das Publikum bedauernde Laute, wenn er sich für das nächste Leben ein Dasein als Kaffeeautomat wünscht, damit er wenigstens gelegentlich gedrückt wird.

Natürlich überspitzt Bauer heftig, provoziert auch nicht selten. Manche Pointen stechen scharf ins Publikum und sorgen für sofortige Lacher. Andere Pointen schweben durch den Raum, bis sie verstanden wurden. Bauer kann von deftigen sexuellen Anspielungen bis zu raffinierten Andeutungen. Mit distinguierter Formulierung nimmt er die Marotte aufs Korn überall Diskriminierung zu vermuten: ein krummer Weihnachtsbaum wird da zum Baum mit abweichendem Wachstumswunsch. Gender- und Diskriminierungsdebatten streift er eher beiläufig, dafür bekommt die Waldorfpädagogik ihr Fett ab. Immer wieder kommt er auf das familiäre Weihnachtsfest zurück. Eine Weihnachtsfeier bei seiner ökologisch angehauchten Schwester mit Nachbarskindern kumuliert in der Katastrophe, wenn die Kinder den Weihnachtsmann in seinen Sack packen und verklopfen.

Natürlich würzt Bauer seine Programme mit unterhaltenden Witzen. Doch baut er immer wieder einen tieferen Sinn ein. Gesellschaftskritik verpackt er in humorvolle Formulierungen. Er spinnt seine Kritik manchmal so extrem weiter, dass er letztlich auch die Lösung eines Problems karikiert.

Die verschiedenen menschlichen Charaktere arbeitet er an der eigenen Familie ab. Alle Generationen werden von ihm gleichermaßen karikiert. Über modische Marotten der Gegenwart lässt er sich gerne aus. Unterschiede zwischen Protestanten und Katholiken – die konfessionellen Unterschiede mit Vorfahren aus Oberschwaben und Norddeutschland kennt er aus der eigenen Familie. Da er in Dußlingen aufgewachsen ist, sind ihm schwäbische Eigenheiten durchaus bekannt. Wie lernt man von Stephan Bauer: Man schleppt einen nadelnden Weihnachtsbaum erst dann durch das Treppenhaus, wenn der Nachbar Kehrwoche hat. Immer wieder spricht er das Publikum persönlich an, das schon ahnt, dass es mit einer Antwort oder ausbleibenden Antwort Teil der nächsten Pointe wird.

Man bemerkt allerdings auch, dass Bauer das Weihnachtsfest gar nicht als solches lächerlich macht, sondern nur dessen Umdeutung als Verkaufs- und Konsumereignis. Er bedauert vielmehr, dass die überkommenen Bräuche in Vergessenheit geraten sind. Was bei ihm Ernst und was Komik ist, das kann leicht changieren. Denn wenn er seine Sehnsucht nach Romantik beteuert, etwa in der Form des Hand-in-Hand-Flanierens, dann konterkariert er das gleich wieder, indem er dessen Sinn dadurch begründet, dass dadurch die Partnerin am Einkaufen gehindert wird. Auch wenn Bauer immer wieder die Ehemänner als unterdrückte Wesen verteidigt, so karikiert er sie dann doch gleich wieder. Die Geburt Jesu sieht er übrigens gar nicht als so etwas Besonderes an, schließlich „kommt es täglich vor, dass ein Mann geboren wird, der sich für Gott hält“.

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Erstellt:
3. Dezember 2021, 06:00 Uhr

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