„Der Körper ist das Instrument der Stimme“

Interview Unsere Stimme sagt mehr über uns aus, als uns vielleicht bewusst – oder lieb – ist. Als Stimm- und Wirkungscoach weiß die in Sechselberg geborene Wiebke Huhs, welche Stimmen als angenehm gelten und warum Darth Vader auf Französisch eine hohe Stimme hat.

Nicht nur die Lautstärke ist ausschlaggebend dafür, ob eine Stimme klangvoll wirkt. Es kommt darauf an, wie man den Körper einsetzt. Foto: Adobe Stock/Krakenimages.com

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Nicht nur die Lautstärke ist ausschlaggebend dafür, ob eine Stimme klangvoll wirkt. Es kommt darauf an, wie man den Körper einsetzt. Foto: Adobe Stock/Krakenimages.com

Backnang. Welchen Einfluss haben Verspannungen auf den Klang der Stimme? Welche Fehler kann man beim Sprechen machen? Mit Fragen wie diesen beschäftigt sich Wiebke Huhs. Die Stimm- und Wirkungsexpertin hilft ihren Klienten dabei, ihre Stimme optimal zu nutzen.

Frau Huhs, kürzlich haben Sie die Stimme von Annalena Baerbock analysiert. Hätten die Grünen Ihrer Meinung nach besser bei der Bundestagswahl abgeschnitten, wenn Frau Baerbock vorab ein Sprachtraining gemacht hätte?

Eindeutig. Das Problem ist bei ihr, dass sie in ihrem Stimmklang manchmal ein bisschen kiebig oder spitz rüberkommt. Das liegt daran, dass sie sehr viel Druck im Körper hat, sehr viel Spannung. Sie kaschiert es nach außen ganz gut, aber in der Stimme hört man es eben. Das macht sie nicht so sympathisch. Und das spüren die Menschen unterbewusst. Deshalb hätte ihr ein Stimmtraining sehr geholfen. Denn diese Überspanntheit ist eigentlich sehr leicht zu beheben.

Was sagt unsere Stimme über unsere Persönlichkeit aus?

Die Stimme sagt alles über uns aus. Sie zeigt: Bin ich verspannt? Bin ich locker? Bin ich frei in meiner Persönlichkeit? Die Stimme ist unser Ausdrucksmittel Nummer eins. Viele denken, die Stimme ist so gut oder so schlecht, wie sie eben ist. Ich sage: Jeder hat eine schöne Stimme. Und wenn sie noch nicht schön klingt, liegt das daran, dass sie noch nicht fertig gemischt ist. Die Wirkung der Stimme wird oft unterschätzt.

Warum wird die Stimme unterschätzt?

Weil sie einfach da ist. Wie wichtig sie ist, fällt erst dann auf, wenn sie nicht mehr so funktioniert, wie sie soll. Oder wenn jemand negatives Feedback für seine Stimme bekommt. Dabei wäre es sinnvoll, schon Kindern beizubringen, mit ihrer Stimme und Körperlichkeit umzugehen. So hätten wir viel weniger psychische Probleme. Ich habe viele Kunden, die zu mir kommen, weil sie Panikattacken oder ein Engegefühl im Hals haben. Meistens ist das einfach nur ein Zeichen von falscher Körperspannung.

Welche Fehler kommen noch vor?

Wir sind heutzutage fast alle unendlich verspannt. Und der Stress endet unbewusst oft im Kiefergelenk. Was daraus resultiert, ist, dass viele Menschen knirschen oder dass sie Kopfschmerzen bekommen. Das ist für die Stimme schlecht, denn im Kiefer sitzt ein Resonanzraum. Wenn das Kiefergelenk zu ist, klingt die Stimme knatschig, quietschig. Wer das nicht weiß, macht sozusagen den eigenen Sound kaputt. Deswegen ist es wichtig, dass der Kiefer immer locker hängt. Viele sind auch im Nacken unglaublich verspannt. Das sorgt für ein Druck- oder Engegefühl im Hals. Außerdem atmen viele kurzatmig, quasi bis zur Brust. Aber ein richtiges Atmen ist entspannt und tief und geht bis in die Flanken. Ich sage immer: Sixpack ist schön, aber zum Sprechen und Singen höchst ungeeignet. Man muss eine flexible Bauchmuskulatur behalten. Daneben gibt es noch viele weitere Kleinigkeiten.

Welche Art von Stimme wird denn als angenehm empfunden?

Jede Stimme ist angenehm, wenn sie im Körper sitzt. Dann klingt sie voll und satt. Denn der Körper ist das Instrument, auf dem die Stimme spielt. In dem Moment, in dem sie in den Körper kommt, wird sie automatisch etwas tiefer. Dann pendelt sie sich auf der Indifferenzlage ein. Das ist die Lage, in der ich am längsten und am angenehmsten sprechen kann. In unserem Hören werden häufig dunkle, tiefe Stimmen als angenehmer empfunden als hohe, brillante. Wobei eine hohe Stimme nicht zu hoch wirkt, wenn der Körper angebunden ist.

In unserem Hören wird also eine tiefere Stimme als angenehm empfunden. Ist das in anderen Kulturkreisen anders?

Ja. Man sieht das immer so schön in Filmen. Eins der lustigsten Beispiele für uns als Deutsche ist Darth Vader (Anm. d. Red.: Antagonist aus der Filmreihe „Star Wars“) auf Französisch. Bei uns hat Darth Vader eine dunkle, röchelnde Stimme. Die französische Synchronstimme dagegen ist viel höher. Das ist für uns vollkommen abstrus. Wir können uns überhaupt nicht vorstellen, dass ein Bösewicht eine hohe Stimme hat. Aber die Franzosen finden das besser.

Wie sind Sie Stimmcoach geworden?

Mich hat die Stimme immer fasziniert. Auch als Kind schon, da habe ich Hörspiele verschlungen. Die unterschiedlichen Stimmen und die Geräusche: Das hat mich wahnsinnig gefesselt. Ich war immer froh, wenn ich krank war, denn dann durfte ich den ganzen Tag Hörspiele hören. Obwohl ich später Sängerin geworden bin, habe ich lange gebraucht, bis ich meine eigene Stimme gefunden habe. Als Opern- und Konzertsänger performt man auf einem sehr hohen Level. Da ist häufig die Gefahr, dass man irgendeiner Technik oder einem perfekten Klang hinterhereifert, der aber nicht unbedingt der eigene ist. Es hat tatsächlich auch bei mir gedauert, bis ich akzeptiert habe: Dieser Körper hat diese Stimme. Die Technik muss mir dienen, kein Klangideal bedienen. Seit ich das herausgefunden habe, konnte ich das auch unterrichten.

Wie erreicht man einen runden Klang?

Es sind eigentlich nur drei Punkte, die ich beachten muss, um einen wirklich tollen Stimmklang zu haben. Der allerwichtigste Punkt ist die Anbindung an den Körper. Wichtig ist aber auch, dass ich die Stimme frei lasse. Und nicht zuletzt geht es darum, die Resonanzräume optimal zu nutzen. Die Schwierigkeit ist: Man muss alle drei Punkte immer zu 100 Prozent machen, das gesamte Instrument nutzen. Für die Grundwirkung ist das das Entscheidende. Die Rhetorik ist nur die Sahnehaube.

Sie sind auch Nachrichtensprecherin beim SWR. Setzen Sie Ihre Stimme im Radio anders ein?

Ja. Der Funk verlangt eine Professionalisierung im Klang. Der Ton ist ausgeglichener, geht weniger auf und ab. Ich formuliere exakter, achte auf eine bessere Aussprache. Etwas ganz anderes ist es natürlich wieder, wenn ich Hörbücher einspreche. Da nutze ich meine Stimme schauspielerisch. Da kann es auch sein, dass ich absichtlich lisple. Oder ich artikuliere ein bisschen schärfer, mit mehr Konsonanten, schneller. Wenn ich dagegen mehr Vokale benutze, mir mehr Zeit lasse beim Sprechen, haben die Leute das Gefühl: „Ich kann mich da reinlegen wie in eine Badewanne.“

Wem hören Sie selbst gerne zu?

Wen ich fantastisch beim Sprechen finde, auch von der Artikulation her, ist der Schauspieler Benedict Cumberbatch. Ein Vorzeigeschild im deutschsprachigen Raum war für mich immer der ARD-Nachrichtensprecher Jan Hofer. Auch seine Kollegin Pinar Atalay finde ich nicht schlecht. Und klar, unsere großen Schauspieler können es alle. Der Brandauer spricht toll (Anm. d. Red.: Klaus Maria Brandauer), Hans Paetsch sprach toll. Aber auch die Katharina Thalbach ist große Klasse. Aber das ist Geschmackssache. Jeder hat unterschiedliche Stimmen, die er mag.

Welches stimmliche Zeugnis würden Sie Angela Merkel ausstellen?

(lacht) Also von der Spannung her finde ich sie untertourig. Da bräuchte sie für meinen Geschmack mehr Pep. Aber was sie kann – und daher ist es nicht leicht einzuordnen, was für eine Note man ihr geben würde –: Sie spricht auf den Punkt und macht Pausen. Das können nur wenige Politiker.

Das Gespräch führte Melanie Maier.

Wiebke Huhs

Wiebke Huhs

Wiebke Huhs

Sängerin Wiebke Huhs, geboren in Sechselberg, steht seit mehr als 20 Jahren auf der Bühne – als Speakerin und als Opern- und Konzertsolistin, etwa im Nationaltheater Luxemburg, Hamburger Michel, Ulmer Münster.

Ausbildung Sie studierte Gesang an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg und an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart. Heute lebt sie in Stutensee bei Karlsruhe und arbeitet beim SWR in Baden-Baden.

Stimmtrainerin Huhs ist außerdem als Stimm- und Wirkungscoach tätig. Dieses Jahr gewann sie den dritten Preis beim European Speaker Award in Straßburg.

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Erstellt:
22. Oktober 2021, 11:30 Uhr

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