Die Swinging Sixties an der Murr im Fokus

Mit der neuen Ausstellung der Reihe „Backnang im Zeitspiegel“ im Helferhaus legt Peter Wolf den Fokus dieses Mal auf das Jahr 1966. Die Bilderschau basiert auf den farbenfrohen Aufnahmen einer ANT-Fotogruppe, die sich die Stadt als Thema vorgenommen hatte.

Aufnahmen wie diese verdeutlichen, wie sich doch etliche Dinge, wenn auch zum Teil nur in Details, in den vergangenen 55 Jahren verändert haben. Archivfoto: P. Wolf

Aufnahmen wie diese verdeutlichen, wie sich doch etliche Dinge, wenn auch zum Teil nur in Details, in den vergangenen 55 Jahren verändert haben. Archivfoto: P. Wolf

Von Claudia Ackermann

BACKNANG. Während die Ausstellungsreihe mit historischen Fotografien sonst meist nach Themenbereichen oder bestimmten Stadtgebieten aufgebaut ist und in Schwarz-Weiß-Fotografien oder kolorierten Bildern weit in die Vergangenheit zurückreicht, geht es diesmal kreuz und quer durch Backnang in kunterbunten Farbbildern. Bei Aufräumarbeiten des Heimat- und Kunstvereins auf dem Dachboden des Helferhauses wurden vor einiger Zeit alte, vergrößerte Fotografien mit Backnangmotiven entdeckt. „Sie müssen in einem Zusammenhang zueinander stehen“, sah Peter Wolf sofort, denn sie hatten alle dasselbe ungewöhnliche Format.

Auf Nachfrage im Stadtarchiv erfuhr er, dass es sich um Aufnahmen der ehemaligen ANT-Fotogruppe handelt, die sich im Jahr 1966 Backnang zum Thema gemacht hat. Jedes Mitglied hat wohl mehrere Aufnahmen beigesteuert, vermutet Wolf.

Kleine Häuser stehen noch im Biegel, der heute komplett umgestaltet ist

Ein Indiz dafür ist, dass eine Frau im weißen Mantel mit Hut und einem kleinen Mädchen mit Kopftuch mehrmals, wie zufällig abgelichtet, auftaucht. Mal schauen die beiden interessiert dem Schmied Eugen Kübler am Burgplatz beim Beschlagen eines Pferdehufs zu, dann spazieren sie über den Stiftshof am ehemaligen Polizeigebäude entlang, vor dem ein grüner VW-Bus mit der Aufschrift „Polizei“ steht. Da wollte der Fotograf wohl jemanden verewigen oder Mutter und Kind sollten dazu beitragen, die Aufnahmen zu beleben. Auch wenn sie nur von hinten zu sehen sind, erkennt man sie sofort an der auffälligen Kleidung.

Die Aufnahmen entstanden in dem Jahr, als Martin Dietrich zum Oberbürgermeister gewählt wurde und als 150 Backnanger nach Annonay fuhren, um dort die Partnerschaft mit der französischen Stadt zu besiegeln. Backnang hatte zu jener Zeit 27159 Einwohner. Einige Informationen zum Jahr 1966 hat Peter Wolf in einem Begleitschreiben zur Ausstellung zusammengestellt. Der Wochenmarkt wurde damals vorübergehend vom Obstmarkt in die Grabenstraße verlegt. Ein Foto zeigt die Marktstände mit der Lederfabrik Kaess im Hintergrund.

Kleine Häuser stehen noch im Biegel, der heute komplett umgestaltet ist. Erinnerungen an die eigene Kindheit werden bei einer Betrachterin der Bilder in der Ausstellung wach – und plötzlich erkennt sie ihre ehemalige Lehrerin Ruth Lang, die an einem Stand gerade Gemüse einkauft. Es sind diese Momente, über die sich Peter Wolf besonders freut und Gespräche entstehen. Ein anderer Besucher schaut sich interessiert die Fotos aus dem Jahr an, in dem er geboren wurde. Wer im Jahr 1966 in Backnang gelebt hat, betrachtet unweigerlich die Personen auf den Fotos genau, um vielleicht ein bekanntes Gesicht zu entdecken. Neben den baulichen Veränderungen in der Stadt sind es auch Details, die Erinnerungen wecken, wie die Automodelle jener Zeit, die heute von den Straßen weitgehend verschwunden sind.

Interessant ist immer wieder die Kleider- und Frisurenmode der 1960er-Jahre

Auffällig ist die Häufung der VW-Käfer, aber auch Opel, NSU-Prinz oder alte Mercedes-Modelle sind auf der Marktstraße zu sehen oder schnaufen die Eduard-Breuninger-Straße hinauf am Zentralkaufhaus (ZK) vorbei, das ein Jahr zuvor eröffnet hatte. Die Parkuhren, die damals den Straßenrand säumten, sind inzwischen wohl längst in Vergessenheit geraten. Einen direkten Vergleich des Jahres 1966 mit der Gegenwart kann man bei einem Blick aus dem Fenster des Ausstellungsraums ziehen, denn ein Foto zeigt fast genau diese Perspektive. Fußgänger überqueren die Marktstraße an den Zebrastreifen.

Früher sorgte noch ein Schülerlotse dafür, dass die Kinder sicher über die Straße kommen. Interessant bei der Betrachtung der Personen ist auch immer wieder die zeittypische Kleider- und Frisurenmode der 1960er-Jahre. Der Blick in der Ausstellung fällt auch auf das Zentralkino neben dem Gasthaus Engel und auf das Gebäude Marktstraße 44 mit der Aufschrift „Max Mayer“. Allerdings war das Kaufhaus bereits 1962 in das ehemalige Fabrikgebäude Schweizer an der Bleichwiese umgezogen. Auch von diesem Bereich gibt es Fotos in der Ausstellung. Neben dem Warenhaus befand sich das Lebensmittelgeschäft Tengelmann, eine Fußgängerunterführung von der Bleichwiese aus gab es noch nicht, und das „Ständle“ an der Sulzbacher Brücke kannte jeder in der Stadt.

Es ist 55 Jahre her, aber wie man an den Reaktionen der Besucher sehen kann, ist noch vieles im Gedächtnis, andere Erinnerungen sind verblasst und werden durch das Betrachten der Fotografien wieder lebendig.

Die Fotoausstellung „Backnang 1966“ kann noch bis zum 9. Januar 2022 im Helferhaus, Petrus-Jacobi-Weg 5, besichtigt werden. Öffnungszeiten sind dienstags bis freitags von 17 bis 19 Uhr sowie samstags und sonntags von 14 bis 19 Uhr.

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Erstellt:
13. November 2021, 06:00 Uhr

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