Ein Blick in Georg Büchners Welt bei der Backnanger Literatour

Literatour Georg Büchners „Woyzeck“ ist 2023 Abitur-Sternchenthema. Das neueste Theaterstück des Bandhaus-Theaters „Die Welt hängt in Fetzen. Georg Büchner. Woyzeck.“ soll Schülerinnen und Schülern den jung verstorbenen Dramatiker und die Welt, in der er lebte, näherbringen.

Joanna Gamburzew-Dadoun und Thomas Fritsche verkörpern jeweils mehrere Rollen in dem Zwei-Personen-Stück. In der Rasierszene mimt Gamburzew-Dadoun den Soldaten Woyzeck, Fritsche den Hauptmann, der seinen Untergebenen schikaniert. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Joanna Gamburzew-Dadoun und Thomas Fritsche verkörpern jeweils mehrere Rollen in dem Zwei-Personen-Stück. In der Rasierszene mimt Gamburzew-Dadoun den Soldaten Woyzeck, Fritsche den Hauptmann, der seinen Untergebenen schikaniert. Foto: Alexander Becher

Von Melanie Maier

Backnang. Zwei Kleiderstangen, ein Korb, ein Hocker und ein Stuhl – mehr ist nicht nötig, um die Französische Revolution oder die Zeit der Restauration auferstehen zu lassen. Genau genommen bräuchte es nicht einmal sie, sondern nur die Hüte, Mäntel, Perücken und Schärpen, die an den beiden Kleiderstangen hängen. Mit ihrer Hilfe verwandeln sich Joanna Gamburzew-Dadoun und Thomas Fritsche in Ludwig XVI., den Kaiser von Österreich, Napoleon, Georg Büchner und seine Figur Woyzeck. Büchner und die Welt, in der er lebte, stehen im Zentrum von „Die Welt hängt in Fetzen. Georg Büchner. Woyzeck.“, des neuesten Stücks des Backnanger Bandhaus-Theaters. Es wurde speziell für Schülerinnen und Schüler konzipiert und ist in Kooperation mit der Kinder- und Jugendliteraturwoche Literatour entstanden.

„Ich bestimme. Der Staat bin ich“, sagt Gamburzew-Dadoun mit französischem Zungenschlag. Als Ludwig XVI. stapft sie bonbonessend mit weißer Perücke und blauer Schärpe über die Bühne. Die Zeit, in die Büchner 1813 hineingeboren wurde, war von sozialer Ungleichheit und Armut geprägt. Der Arzt und Dramatiker griff das in seinen Werken auf. So auch in „Woyzeck“, einem Drama, das aufgrund von Büchners frühem Tod – er starb mit nur 23 Jahren an Typhus – unvollendet blieb.

2023 wird „Woyzeck“ Sternchenthema im Deutsch-Abitur sein. Ein Grund dafür, dass Juliane Putzmann und Jasmin Meindl, die Leiterinnen des Bandhaus-Theaters, sich für den Stoff als ihren Beitrag zur diesjährigen Literatour entschieden haben. „Zuerst hatten wir vor, einen Roman der Patenautorin Antonia Michaelis umzusetzen“, berichtet Putzmann bei einer Probe im Bandhaus-Theater. „Aber in ihrem Werk gibt es sehr viele Ortswechsel und sehr viel Personal.“ Das Stück, das stattdessen entstanden ist, kommt mit recht wenig aus: Es ist ein Zwei-Personen-Spiel. Die minimalistische Kulisse kann leicht transportiert werden. Das ist Absicht, da Schulen Aufführungen buchen können.

In zehn Tagen war der Text fertig

Regie führt Juliane Putzmann. Die Textvorlage stammt von Jasmin Meindl und Christian Muggenthaler. Die Autorin und der Autor haben „Die Welt hängt in Fetzen. Georg Büchner. Woyzeck.“ in gerade einmal zehn Tagen geschrieben. Es habe ihnen viel Freude bereitet, sich mit Büchners Leben zu beschäftigen, sagt Meindl. „Aber uns haben echt die Köpfe geraucht. Unser Rhythmus ist eigentlich pro Tag eine Szene.“ Herausfordernd war für die beiden außerdem, die komplexen geschichtlichen Hintergründe in leicht verständlicher Sprache darzulegen und einen Zugang zu Büchner und seinem „Woyzeck“ zu schaffen. Drei Szenen aus dem Werk sind in dem Stück enthalten. Sie müssen ohne eine lange Hinführung funktionieren. Dadurch sei eine spürbare Dichte entstanden, sagt Meindl: „Die Sätze platzen vor Inhalt.“ Das macht das Stück auch für Erwachsene interessant. Und doch bleibt es humorvoll und kurzweilig.

Das Ende habe lang nicht festgestanden, berichtet Putzmann: „Wir haben viel darüber diskutiert.“ Dass sich die Proben schließlich mit der Fertigstellung der Textvorlage überschnitten, sieht Schauspieler Thomas Fritsche jedoch als Vorteil: „Es ist gut, wenn man bei der Arbeit die Möglichkeit hat, noch Änderungen vorzunehmen.“ Der 51-Jährige lebt in Heilbronn, in Backnang war er bereits in „Kunst“ und in dem Freilichttheaterstück „Der Gänsekrieg“ zu sehen. Seine 37-jährige Kollegin Joanna Gamburzew-Dadoun stand im Bandhaus-Theater in der Krimikomödie „Zwei Frauen und eine Leiche“ und in „Polinas Geheimnis“ auf der Bühne. Am forderndsten findet sie, zwischen dem Originaltext Büchners und der Textvorlage zu wechseln. „Weil es etwas ganz Verschiedenes ist“, erklärt sie. Für Fritsche liegt die größte Schwierigkeit derzeit noch darin, die passenden Kostüme und Requisiten an den vollbehangenen Kleiderständern schnell wiederzufinden.

Offene Fragen werden im Nachgespräch behandelt

Etwa eine Stunde dauert die Aufführung, anschließend sind etwa 20 Minuten für ein Nachgespräch eingeplant. „Ohne das würde es sich nicht komplett anfühlen“, findet Putzmann. Denn das Stück wirft zahlreiche Fragen auf, über die die Schülerinnen und Schüler diskutieren sollen. Ob der Mensch einen freien Willen hat, etwa. Immerhin war Büchners Woyzeck – ein einfacher Soldat, der zum Mörder wird – schizophren.

In der Vorstellung selbst können und sollen die vielen Themenkomplexe nicht abschließend behandelt werden, sagt die Regisseurin: „Im besten Fall wecken wir das Interesse für Büchner und für ‚Woyzeck‘. Wir sind hier alle ‚Woyzeck‘-Fans.“ Fritsche fügt hinzu: „Ich kenne wenige Theaterleute, die Büchner und seinen ‚Woyzeck‘ nicht faszinierend finden.“ In der vergangenen Spielsaison sei es in Deutschland das meistgespielte Stück gewesen, weiß Meindl. Das Drama sei sehr heutig, fährt sie fort. „Büchner war so ein politischer Mensch. Typisch war sein Realismus. Er hat erstmals Menschen aus der Unterschicht porträtiert.“ Dabei sei er dokumentarisch vorgegangen. Er habe nicht nur Ästhetisches zeigen wollen. „Es wäre schön gewesen, das Stück so wie er selbst zu schreiben, seinen Stil zu kopieren. Aber dafür hätte man ein ganzes Jahr statt nur eine Woche gebraucht“, sagt Meindl.

Am Donnerstag und am Freitag wird „Die Welt hängt in Fetzen. Georg Büchner. Woyzeck.“ im Rahmen der Literatour vor Schülerinnen und Schülern gezeigt. Am Samstag findet eine öffentliche Aufführung statt (siehe Infotext). Im März sind zwei weitere Vorstellungen geplant. Wer es jetzt nicht schafft, das Stück zu sehen, kann das also im Frühjahr nachholen.

Theaterstück und Literatour

Theater Das Theaterstück „Die Welt hängt in Fetzen. Georg Büchner. Woyzeck.“ ist am Samstag, 19. November, von 20 Uhr an im Backnanger Bandhaus-Theater zu sehen. Karten für 18 Euro (ermäßigt 13 Euro) sowie weitere Infos: www.bandhaus-theater.de

Programm Einen Überblick über das Programm der diesjährigen Literatour finden Interessierte unter https://t1p.de/wrjih. Die größte Kinder- und Jugendbuchwoche in Deutschland findet noch bis zum 18. November in Backnang statt.

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Erstellt:
15. November 2022, 06:00 Uhr

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