Ein Faible für Provisorien

Künstlergespräch mit Katja Pfeiffer, Wolfgang Ellenrieder sowie Galerie- und Kulturamtsleiter Martin Schick in der Backnanger Galerie

Unterschiede und auf den ersten Blick ähnlich anmutende Ansätze im Werk von Katja Pfeiffer und Wolfgang Ellenrieder, der höchst aufwendige Aufbau der Ausstellung Pfeiffers in Backnang und das Faible der Künstlerin für Provisorisches gehörten zu den Themen beim Künstlergespräch in der Galerie der Stadt Backnang.

Wolfgang Ellenrieder (links) arbeitet wie Katja Pfeiffer im Grenzbereich zwischen Malerei, Installation und Skulptur. Die beiden saßen beim Künstlergespräch zusammen mit Galerieleiter Martin Schick auf dem Podium. Danach gab es einen Rundgang durch Pfeiffers Werkschau. Foto: P. Wolf

Wolfgang Ellenrieder (links) arbeitet wie Katja Pfeiffer im Grenzbereich zwischen Malerei, Installation und Skulptur. Die beiden saßen beim Künstlergespräch zusammen mit Galerieleiter Martin Schick auf dem Podium. Danach gab es einen Rundgang durch Pfeiffers Werkschau. Foto: P. Wolf

Von Ingrid Knack

BACKNANG. Das Gespräch auf dem Podium zwischen den Künstlern und Universitätsprofessoren Katja Pfeiffer und Wolfgang Ellenrieder sowie Galerie- und Kulturamtsleiter Martin Schick im Kontext der Ausstellung „Katja Pfeiffer – Divers“ und der daran anschließende Rundgang durch die Werkschau Pfeiffers in der Galerie bestätigen einmal mehr: Je mehr man weiß, desto mehr sieht man. Es ist ein Eintauchen in höchst spannende Denk-, Wissens- und Arbeitswelten.

Im Erdgeschoss der Galerie befindet sich Pfeiffers „Treppe“ aus dem Jahr 2014. Das Architekturelement steht nun, losgelöst von seiner eigentlichen Bestimmung, als Kunstobjekt im Raum. Pfeiffer hat die (bei der wohl bekanntesten Internetverkaufsplattform entdeckte) Treppe, die nun ins Nirgendwo führt, mit einer Vielzahl von Latten unterbaut. Neue Räume entstehen so – und das Objekt an sich gibt dem Phänomen Raum auch in Bezug auf den Platz in der Galerie eine neue Dimension. Es ist auffallend: Katja Pfeiffer hat eine ausgeprägte Sensibilität für Raumkonstellationen innerhalb eines Kunstwerks und obendrein für Relationen zum äußeren Raum. Das Fragmentarische der Installation „Treppe“, das Gestütztwerden, der provisorische Aspekt – all dies zieht sich durch viele Arbeiten der Künstlerin. Auch durch die Reliefs mit Architektur- und Stützmauer-Zitaten, die nach Pfeiffers Villa-Serpentara-Zeit 2011 entstanden sind.

„Der Aufenthalt in Italien war ein sehr einschneidendes, visuelles Erleben. Woher diese Liebe für die Ästhetik der Destruktion?“, will Wolfgang Ellenrieder wissen. Woraufhin seine Kollegin widerspricht: „Das kann ich so nicht benennen.“ Als sie sich auf die Zeit in Olevano Romano vorbereitete – von der Akademie der Künste in Berlin war sie als Stipendiatin dorthin entsandt worden –, hatte sie sich schon Gedanken darüber gemacht, welche Orte sie in der Gegend besuchen könnte. Dabei sei es aber nicht nur um „kaputte Sachen“ gegangen, auch Gärten hätten sie beispielsweise interessiert. Doch das 2009 vom Erdbeben zerstörte L’Aquila rund 120 Kilometer nordöstlich von Rom war ebenso eines ihrer Ziele. „Schon in Berlin bin ich zu solchen Stätten gepilgert.“ Urban Exploring und insbesondere das Aufsuchen von Lost Places sei mittlerweile zu einer Art Volkssport geworden. Im Unterschied zu vielen Fotografen geht es ihr indes nicht darum, den morbiden Charme einzufangen. Sie faszinieren die Szenen, „in denen man sich gerade in irgendeinem Transit befindet“, sie hat ein Faible für Provisorien, für das, „was gerade so fast umfällt“, für Momente eines „prekären Eindrucks“, die einen aufscheuchen, in denen man hinter die Kulissen schauen kann, nicht für die „finale Zerstörung“. In die rote Zone in L’Aquila, das sie sich zunächst „von außen“ anschauen wollte, ist sie dann irgendwie hineingeraten und hat fotografiert. Sie erzählt vom Bild einer Kirche, durch die in der Mitte ein Riss ging, und von vier Spanngurten, die das Bauwerk zusammenhalten sollten. Nach dem, was sie dort in dem durch eine Naturgewalt zerstörten Ort gesehen hat, haben sich so manche Sichtweisen verändert: „Ich habe nie wieder Architekten so vertraut wie vorher.“ 30 Sekunden Erdbeben reichten, damit aus stattlichen Gebäuden nur noch Schutt übrig bleibe. Dass eine scheinbar stabile architektonische Umgebung, die der Mensch schafft, letztlich Makulatur ist, wenn Ereignisse wie das Erdbeben in L’Aquila eintreten, weiß man. Das aber so zu sehen, war für Pfeiffer ein Schock.

„Die Kirche hat auch einen Kirchenraum...“, befeuert Ellenrieder weitere Schilderungen über L’Aquila. Die Künstlerin spricht nun von einem zweiten Besuch, den der langjährige Direktor der Villa Massimo in Rom, Joachim Blüher, vermittelte. Ihm hatte sie ihre ersten Fotos der verlassenen Stadt gezeigt. „Er organisierte, dass ich da legal rein darf – mit Helm.“ Denn die Ruinen zu betreten, kann lebensgefährlich sein. Katja Pfeiffer entdeckte „viele Dinge, die wahnsinnig brachial waren“. Um noch irgendetwas zu retten, hätten die Verantwortlichen zwischen wertvoll und sehr wertvoll entscheiden müssen. In schön bemalte Wände seien Löcher gerammt worden, um Säulen zu halten. Als Ellenrieder auf Pfeiffers eher flache bis reliefartige, kleinformatige Arbeiten eingeht, die unter dem Eindruck dieser Erlebnisse entstanden sind, entgegnet die Künstlerin: „Man sieht im Eingriff, im Reliefartigen, welche Technik des Puzzelns man benutzt.“ Die mit dem Wiederaufbau von Gebäuden befassten Experten hätten sehr viel improvisiert. „Die Improvisation fand ich spannend als Moment.“ Und da ist es wieder, das Provisorische.

Das Schlüsselfoto mit dem kaputten Stuhl

Ein weiteres Beispiel dafür ist eines der Schlüsselfotos von Kata Pfeiffer, das die Künstlerin beschreibt. Es wurde aber nicht in L’Aquila aufgenommen. Ein Stuhl aus Plastikspritzguss ist darauf zu sehen, bei dem ein Stuhlbein fehlt. Normalerweise ein Fall für den Müll. „Der Mensch, dem der Stuhl gehörte, hat einen Eimer daruntergestellt und einen Ziegelstein dazwischengeschoben.“ Die „ursprüngliche Kreativität“ beim Reparieren hat ihr gefallen.

Auf Ähnlichkeiten im Werk von Wolfgang Ellenrieder und Katja Pfeiffer geht Martin Schick ein und fragt: „Wie ist es, wenn man eine Geistesverwandtschaft bemerkt? Ist es das Schätzen des Werkes des anderen oder kommt da auch so etwas wie Bedenken auf: Das hat der schon gemacht, da möchte ich nicht so reingehen? Oder ist da Angst vor gegenseitiger Beeinflussung oder vor zu sehr ähnlichem Arbeiten?“ Das Statement von Katja Pfeiffer fällt eindeutig aus: Da sei die Freude, „dass da einer auch so etwas sieht.“ Und Ellenrieder meint unter anderem: Vieles sehe in Abbildern ähnlich aus, was sich nicht bestätige, wenn man die Kunstwerke in natura vor sich habe. Zudem kämen Pfeiffer und er aus komplett anderen Richtungen. Auch die Einrichtungen, an denen die beiden Künstler lehren, unterscheiden sich maßgeblich: Seit 2010 ist Ellenrieder Professor an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig. Pfeiffer ist Kunstprofessorin an der Bergischen Universität Wuppertal, also keiner Kunsthochschule.

Weitere Themen sind etwa Malerei im 21. Jahrhundert und die Schwierigkeiten beim Aufbau der raumgreifenden Arbeiten von Katja Pfeiffer. Beim Einrichten der Ausstellung in Backnang hatte Pfeiffer zwei Assistenten dabei. Die Holzlatten für die Treppe, die kaum ins Innere der Galerie hatte befördert werden können, waren in zehn Betonmischwannen angeliefert worden. Nicht weniger arbeitsintensiv ist der Aufbau der Kugel aus dem Jahr 2011 im gotischen Chor der Galerie der Stadt Backnang mit unterschiedlich farbigen Spanngurten. Bei der Konzeption des Kunstwerks spielte auch das alte Schwarz-Weiß-Foto in Pfeiffers Archiv aus dem Jahr 1969 eine Rolle, auf dem das Stahlgerippe des Ost-Berliner Fernsehturms zu sehen ist. Die Galerie in Backnang sei der bisher perfekteste Ort, an dem die Kugel jemals gestanden hat.

Die Ausstellung ist bis 11. August dienstags bis freitags von 17 bis 19 Uhr sowie samstags und sonntags von 14 bis 19 Uhr geöffnet.

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Erstellt:
26. Juli 2019, 16:00 Uhr

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