Eine Stimmung wie auf dem Campingplatz

Im Rahmen der Kunst- und Kulturwochen im Auenwalder Autokino erheiterte Komödiant Heinrich Del Core die zahlreichen Besucher in ihren Autos.

Ein bisschen schlüpfrig sind sie, aber die Witze Heinrich Del Cores gehen immer auf eigene Kosten. Für die Zuschauer war es ein Genuss. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Ein bisschen schlüpfrig sind sie, aber die Witze Heinrich Del Cores gehen immer auf eigene Kosten. Für die Zuschauer war es ein Genuss. Foto: A. Becher

Von Renate Schweizer

AUENWALD. Seit Jahr und Tag schon ist die Gemeinde Auenwald ja bereits Heimat der Gruschtelkammer, in der die Größen der Kleinkunst sich von jeher die Klinke in die Hand geben – aber nun, wo es über Nacht praktisch nur noch sehr eingeschränkt Kleinkunst geben kann und auch die nur unter erschwerten Bedingungen, ist es zum „gallischen Dorf der Kleinkunst geworden“, wie Charley Graf, Motor und Spiritus Rector der Gruschtelkammer, stolz erklärt. „Mit der höchsten Veranstaltungsdichte pro Einwohner bundesweit und ausverkauftem Haus, äh..., Parkplatz.“ Kultur ist jetzt – schon gar im Rahmen der Auenwalder Kunst- und Kulturwochen „Auenwald creativ“ – Chefsache. Karl Ostfalk, der Bürgermeister, mit großem halb- und ehrenamtlichen Team, kümmert sich höchstpersönlich um den Kartenverkauf und weist die Autos auf dem großen Parkplatz hinter der Auenwaldhalle ein: SUVs, Kleinbusse und sonstige höhere Wagen nur in den hinteren Reihen, bei 1,80 Meter Höhe ist Schluss. „Wir bitten um Verständnis“ – oh ja, Verständnis ist bestens vorhanden, sonst sehen nämlich die Insassen der kleineren Rutscher nichts mehr.

Die Anwohner folgen der Show von ihren Balkons aus.

Der Bürgermeister selbst sieht ein bisschen aus, als hätte er seit zwölf Wochen nicht mehr richtig geschlafen – das ist wohl das Los der Bürgermeister in diesen Zeiten –, aber er lässt es sich nicht nehmen, an allen Ecken gleichzeitig präsent zu sein und dafür zu sorgen, dass alle sich wohlfühlen und Spaß haben. Spaß haben sollen übrigens auch die Anwohner, denn applaudiert wird via Applaus-App und nicht mit der Hupe. Das ermöglicht dem Künstler auf der Bühne die Rückmeldung des Publikums, die er braucht, und schützt die Anwohner vor ohrenbetäubendem Hupkonzert. Wiewohl die Anwohner in diesem Fall nicht besonders schutzbedürftig wirken, rund um den Parkplatz herum sitzen sie auf ihren Balkons und Terrassen und genießen als Zaungäste die Show bei bester Tonqualität aus dem heimischen Radio.

Heinrich Del Core, der schwäbische Comedy-Barde mit den halbitalienischen Wurzeln, freut sich darüber ganz besonders. Er hat eine Best-of-Darbietung mitgebracht mit nur vereinzelten Einsprengseln aus dem neuen „Glück gehabt!“-Programm – und wie das so ist bei „ Best-of“: Die Hälfte des Publikums (mindestens) besteht aus eingefleischter Fangemeinde und lacht – und appt – schon beim ersten Stichwort, weil sie genau wissen, was kommt, und sich schon längst vor der Pointe freuen.

Alltagsabenteuer im Hause Del Core sorgen für reichlich Lacher.

In schönstem Schwäbisch erzählt Del Core Alltagsgeschichten aus „vorcoronischer Zeit“, gern auch mal kräftig unter der Gürtellinie, vom Urlaub, vom Zahnarzt, von den Hitzewallungen seiner Frau, von seinen Abenteuern auf dem Dusch-WC und vom Einkaufen. Es entsteht eine Stimmung wie auf dem Campingplatz nach dem dritten Bier: entspannt, quietschvergnügt, Sonne im Herzen, ein bisschen schlüpfrig, aber immer auf eigene Kosten (naja, in der Haut seiner Frau oder Kinder möchte man nicht so gern stecken, aber man darf annehmen, die haben das längst miteinander ausdiskutiert). Geschichten aus dem Alltag, die die wundersame Wirkung haben, eben jenen jetzt so kompliziert gewordenen Alltag auszublenden und in allem die aberwitzige Seite zu sehen – hier geht’s nicht ums große Ganze, nicht um Politik, nicht um Regeln und Abstand und Anstand und schon gar nicht um Leben und Tod. Ganz im Gegenteil: Hier geht’s um Auszeit vom Alltag, um Blödelei, Spaß und Gegacker, ums Wiedererkennen absurder Situationen und ums miteinander Über-sich-selbst-Lachen, und das braucht man jetzt – grade jetzt – so sehr wie’s tägliche Brot. Apropos „Brot“: Bewirtung kann man spontan per Handy bestellen und man wird prompt und sehr freundlich durchs Autofenster bedient, alles hygienisch einwandfrei und das heißt, leider, jetzt wieder doppelt und dreifach in Plastik verpackt.

Der Ernst des Lebens läuft, trotz dieser kleinen Flucht aus dem Alltag, niemandem weg – dem schauen alle tags darauf wieder tapfer ins Auge und sie tun es mit gut gelüfteten Lungen und gestärktem Immunsystem, weil sie mal wieder einen Abend lang so richtig gelacht haben.

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Erstellt:
29. Mai 2020, 06:00 Uhr

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