Erinnerungen einer Holocaust-Überlebenden: Cornelia Schönwald und Magdalena Wolf im Backnanger Bürge

Eine musikalisch erzählte Autobiografie – das bietet der literarische Salon unter dem Titel „Ihr sollt die Wahrheit erben“ über die 1925 geborene Cellistin Anita Lasker-Wallfisch. Ein Abend mit Cornelia Schönwald und Magdalena Wolf im Backnanger Bürgerhaus.

Cornelia Schönwald trägt die Geschichte der Cellistin vor, für die Musik sorgt Magdalena Wolf. Foto: Tobias Sellmaier

© Tobias Sellmaier

Cornelia Schönwald trägt die Geschichte der Cellistin vor, für die Musik sorgt Magdalena Wolf. Foto: Tobias Sellmaier

Von Carmen Warstat

Backnang. Zu einer bewegenden musikalischen Lesung aus Anita Lasker-Wallfischs Buch „Ihr sollt die Wahrheit erben“ hatte der Literarische Salon ins Backnanger Bürgerhaus eingeladen. Die Erinnerungen der heute 97-jährigen, als Cellistin von Auschwitz in die Geschichte eingegangenen Frau wurden von der Schauspielerin Cornelia Schönwald in Auszügen vorgetragen und mit Cellointermezzi der Musikerin Magdalena Wolf versehen – so entstanden bedrückend lebendige Impressionen von Lasker-Wallfischs Leben mitten in dem Grauen der Todeslager von Auschwitz und Bergen-Belsen, präsentiert in fast sachlichem Ton und gerade dadurch umso erschütternder.

Cornelia Schönwald verstand es, ihrer Stimme die Lebendigkeit des gesprochenen Wortes zu geben und fast vergessen zu machen, dass sie ja buchstäblich las, und zwar aus Erinnerungen einer der letzten Überlebenden des Holocaust, die erst mehr als ein halbes Jahrhundert nach der Befreiung vom Faschismus, zuerst 1997, erschienen waren.

Das Glück, im Mädchenorchester von Auschwitz mitspielen zu können

Durch das Aufkommen des Nationalsozialismus aus einer Kindheit gerissen, die alle familiären Voraussetzungen für Harmonie und Heiterkeit gehabt hätte, erlebte das Mädchen „Kristallnacht“ und Deportation (zunächst der Eltern, später die eigene), Waisenhaus, Arbeitsdienst, Zwangsarbeit, Gefangenentransporte, das unaussprechliche Grauen der Konzentrationslager und hatte doch in allem Unglück Glück: das Glück, in Auschwitz als „Karteihäftling“ geführt zu werden, weil sie eine wegen Urkundenfälschung (unter anderem zugunsten französischer Kriegsgefangener) verurteilte „Kriminelle“ war und so der Gaskammer ein erstes Mal entrann, das Glück, Cello spielen zu können und in das Mädchenorchester von Auschwitz aufgenommen zu werden und so vom Allerschlimmsten verschont zu bleiben.

Eine „unjüdisch“ aufgewachsene Jüdin war sie nach eigenem Bekunden, geboren in Breslau, wo sie mit ihrer Schwester Renate hatte bleiben müssen, als es gelang, die älteste Schwester Marianne nach England in Sicherheit zu bringen. Der Vater, „unser kluger, kluger Vati“, hatte die Mädchen „nicht dabeihaben wollen“, als die Eltern deportiert wurden. Anita erinnerte sich an seinen letzten Brief, in dem er den Psalm 121 aufgeschrieben hatte. „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe?“

Anita Lasker-Wallfischs: „Unmöglich, Auschwitz zu beschreiben“

Später selbst in Auschwitz und Auschwitz-Birkenau mit ihren „Ingredienzien der Hölle“, muss sie Cello spielen, um zu überleben. Sie nennt es „unmöglich, Auschwitz zu beschreiben“, und sie versucht es natürlich trotzdem. Noch in hohem Alter wird sie deutsche Schulen bereisen und nicht müde werden zu erinnern, ganz in Elie Wiesels Sinne, dessen mahnende Worte der Lesung als Prolog vorangestellt waren: „Es fing nicht mit Gaskammern an.“ In seiner Schrift „A Plea for Survivers“ (ein Appell an die Überlebenden) brachte Wiesel auf den Punkt, dass es anfing „mit Hetze und Intoleranz, mit brennenden Häusern und Menschen, die wegsahen“, und appellierte: „Zeugnis ablegen!“ Durch einen unglaublichen Zufall findet Anita Lasker-Wallfisch in Auschwitz ihre Schwester Renate wieder – auch ihr habe das Cello das Leben gerettet. „Keiner, der nicht dort war“, schreibt sie, „kann sich vorstellen, wie groß unser Elend war.“ Und sie umreißt den Soundtrack dazu: „Schlager, Operetten, Zigeunerweisen, Arien, Walzer“. Einmal hat sie Dr. Mengele, dem KZ-Arzt von Auschwitz, Robert Schumanns „Träumerei“ aus den „Kinderszenen“ vorspielen müssen. Und einmal in Belsen ist sie Zeugin von Kannibalismus unter den Häftlingen geworden. In Auschwitz lief die Todesmaschine im Mai 1944 ununterbrochen, 24 Stunden am Tag. Selektionen. Ein Transport aus Ungarn, der sofort in die Gaskammern musste, das Mädchenorchester habe dazu aufgespielt. Und auch wenn andere Ensemblemitglieder dies als „Legende“ erinnern – allein die Möglichkeit, das zynische Potenzial dieser Todesfabrik ist verbürgt, wie die Todesmärsche, bei denen Tausende zugrunde gingen. „Ich habe es mit eigenen Augen gesehen.“

Düster, düster, düster war dieses Spiel

Der Cellistin Magdalena Wolf gelang es, das erschütternde Spannungsfeld eines Künstlerlebens in und mit Auschwitz musikalisch zu erfassen und hörbar zu machen. Düster, düster, düster war dieses Spiel mit dissonanten Bässen im Kontrast zu wenigen kurzen heiteren Augenblicken. Max Bruch und Johannes Brahms, Franz Schubert und Johann Strauß (Sohn), Robert Schumann und Johann Sebastian Bach – sie alle haben den Holocaust nicht erlebt und sind doch dabei gewesen. Einzig György Ligeti kam als Zeitzeuge des faschistischen Wahnsinns zum Abschluss zu Gehör.

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Erstellt:
8. November 2022, 06:00 Uhr

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