Drama „Die Wütenden“ auf Arte

Gefangene des Schicksals – „Les Misérables“ von heute

Das intensive Drama „Die Wütenden“ erzählt von Kämpfen zwischen Flics und Gangs in einem Pariser Vorort. Ein Drama nach wahren Ereignissen und Victor Hugos „Les Misérables“.

Zu dritt auf Streife im Vorort Montfermeil: Neuling Stéphane (Damien Bonnard, li.), der aggressive Chris (Alexis Manenti, Mi.) und der ruhigere Gwada (Djebril Zonga, re.)

© Arte/Srab Films/Rectangle Productions/Lyly Films

Zu dritt auf Streife im Vorort Montfermeil: Neuling Stéphane (Damien Bonnard, li.), der aggressive Chris (Alexis Manenti, Mi.) und der ruhigere Gwada (Djebril Zonga, re.)

Von Tilmann P. Gangloff

Nur wenige Werke der Weltliteratur sind so oft verfilmt worden wie Victor Hugos Revolutionsroman „Les Misérables“ – von der Adaption als Musical ganz zu schweigen. Ladj Ly hat das Buch mit seinem Film „Die Wütenden“ auf höchst ungewöhnliche Weise adaptiert. Sein Drama basiert zwar allenfalls noch auf Motiven der Vorlage, doch dafür auf wahren Begebenheiten: Inspiration für den französischen Regisseur waren die Unruhen im Herbst 2005; Auslöser der Krawalle, die sich über drei Wochen hinzogen, war damals der Tod zweier Jugendlicher, die bei der Flucht vor der Polizei starben.

Keine Veränderung für die Unterschicht

Der Film handelt von einem ganz normalen Tag in Montfermeil. Der problematische Pariser Vorort, in dem Hugo 1862 seinen Roman geschrieben und angesiedelt hat, ist ein Pulverfass; ein Funke genügt, um gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen den rivalisierenden Bevölkerungsgruppen zu entfachen. In dieser explosiven Atmosphäre soll eine Spezialeinheit für Ordnung sorgen. Die Aggression, die hier in der Luft liegt, hat bei den Beamten Spuren hinterlassen: Wie einst in den Gangsterfilmen von Jean-Pierre Melville unterscheiden sich die Polizisten von den Verbrechern nur durch ihre Marke.

Ly will mit seinem Spielfilmregiedebüt zeigen, dass sich für die Unterschicht in den 160 Jahren seit der Veröffentlichung von „Les Misérables“ nichts geändert hat. Er erzählt seine zunächst anekdotisch konzipierte Geschichte aus Sicht eines Neuankömmlings: Stéphane (Damien Bonnard) hat sich aus der Provinz nach Paris versetzen lassen und ist mitten in einem Albtraum gelandet – samt rassistischem Chef (Alexis Manenti) mit dem er ständig aneinandergerät.

Die gereizte Stimmung im Viertel droht zu eskalieren, als Kinder aus einem Zirkus ein Löwenbaby klauen. Weil der Zirkus mit Krieg droht, suchen die Flics fieberhaft nach dem Dieb. Als sie den kleinen Issa stellen, kommt es zu einem Tumult, wobei ein Junge von einem Gummigeschoss im Gesicht getroffen wird und leblos zusammenbricht. Ein Jugendlicher hat den Vorfall gefilmt. Das Schicksal des Jungen ist Stéphanes Chef gleichgültig, er will nur das Video bekommen, denn wenn die Bilder im Netz landen, wird der Vorort explodieren.

Regisseur Ly weiß, wovon er erzählt, und das nicht nur wegen der Dokumentarfilme, die er schon über Montfermeil gedreht hat: Er ist als Sohn westafrikanischer Einwanderer in dem Vorort aufgewachsen. Seine authentische Wirkung verdankt das packende Drama neben der Mitwirkung vieler Laiendarsteller vor allem der Inszenierung, die mit einer Handkamera (Julien Poupard) gedreht wurde. Das verleiht dem Film Dynamik. Zudem ist das Publikum auf diese Weise mittendrin im Geschehen, was gerade beim intensiven Finale, als die Polizisten in einen Hinterhalt gelockt werden und es nur noch ums nackte Überleben geht, ein fast körperlich spürbares Unwohlsein zur Folge hat. Der Film erfordert ein dickes Fell, der späte Ausstrahlungstermin ist aufgrund der Menschenverachtung und der verrohten Sprache angebracht.

Ly ist selbst in Montfermeil aufgewachsen

Die Wütenden: 21. Mai, 22 Uhr, Arte

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Erstellt:
19. Mai 2025, 13:02 Uhr
Aktualisiert:
19. Mai 2025, 16:30 Uhr

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