Glücksmomente im Licht

Der Maler Julian Schnabel erzählt in „Van Gogh“ von einem berühmten Kollegen

Van Gogh - Der Maler Julian Schnabel bringt einen großen Kollegen ins Kino – in Gestalt von Willem Dafoe.

Stuttgart Was macht die Kamera eine Hand breit über den Dielen? Sie folgt den Schritten des Hereinkommenden, der ungeduldig seine Schnürschuhe auszieht, die nun direkt vor der Linse stehen. Ein ausgetretenes Paar, das einem auch heute, 133 Jahre später, bekannt vorkommt. Ein Paar Schuhe, das die Schwelle zur Ewigkeit überschritten hat, weil es von Vincent van Gogh gemalt wurde.

Es ist ein plötzlicher, aus dem Alltäglichen entstandener Moment der Inspiration, den Julian Schnabel hier in seinem Film über die letzten drei Lebensjahre des legendären Malers ins Bild fasst. Ein Moment, in dem sich Sehen und Fühlen zur kreativen Dringlichkeit verdichten.

Der Filmemacher ist selbst erfolgreicher Maler und fühlt sich auf der Kinoleinwand hinein in einen Künstler, der von seinen Zeitgenossen verachtet und nach seinem frühen Tod umso mehr verehrt wurde. Die letzten drei Lebensjahre, die Van Gogh im südfranzösischen Arles verbracht hat, gelten als seine produktivste Periode. Gleichzeitig war diese Zeit von zunehmenden Wahnvorstellungen und Psychiatrieaufenthalten gezeichnet. Van Gogh gilt als kunsthistorischer Präzedenzfall für das Ineinandergreifen von Genie und Wahnsinn.

Schnabel strapaziert diese stereotype These der kausalen Bedingtheit nicht allzu sehr. Bei ihm sind es die Glücksmomente der visuellen Wahrnehmung, die den Weg zum Kunstwerk freigeben: das Licht des Südens, das durch aufbrechende Wolken in die Felder hineinfällt. Eine aus dem Erdreich ragende Baumwurzel, deren Schönheit vom Maler entdeckt wird.

Willem Dafoe als van Gogh ist ein Ereignis. Der hagere Schauspieler lotet das weite emotionale Spektrum zwischen zerstörerischem Selbstzweifel und vollkommener künstlerischer Gewissheit ohne jegliches Overacting aus. Sein zerfurchtes Gesicht ist ja selbst schon ein Gemälde. Oder eine Landschaft, die sich bestens einfügt unter dem Himmel der Provence. Dafoe spielt einen Mann, dem die eigene Persönlichkeit zerrinnt, der nur beim Malen in Einklang mit sich selbst zu kommen scheint. So wie van Gogh in sich selbst eingeschlossen war, schließt sich auch Schnabels Film in sein Sujet ein. Die Handkamera und Kinobilder, die nicht wie eine Imitation, sondern wie ein Echo auf van Goghs Kunstwerke wirken, sind die Mittel der Wahl. Wenn der Maler mit geschulterter Staffelei durch ein verdorrtes Sonnenblumenfeld geht, weiß man, dass er sie wie kein anderer wieder zum Leben erwecken wird.

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Erstellt:
18. April 2019, 06:08 Uhr

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