„Ich verweigere mich dem Konsum“

Das Interview: Sissi Perlinger spricht über den Klimawandel, die 70er-Jahre, ihre persönlichen Krisen und ihr Publikum

Ihr Mund ist ebenso schnell wie ihre Gedanken – und auf der Bühne versprüht sie einen ganz eigenen Charme. Sissi Perlinger ist alles, nur nicht brav und angepasst. Kommende Woche tritt sie in der Gruschtelkammer auf. Wir haben uns vorab mit ihr unterhalten.

Bunt, lustig und gar nicht leise: Sissi Perlinger. Foto: S. Jänicke

© www.steffen-jaenicke.de

Bunt, lustig und gar nicht leise: Sissi Perlinger. Foto: S. Jänicke

Von Silke Latzel

Frau Perlinger, Sie kommen am 30. Oktober mit Ihrem Programm „Worum es wirklich geht“ nach Auenwald in die Gruschtelkammer. Dann sagen Sie jetzt doch mal: Worum geht es denn wirklich?

Ich gehe eigentlich die ganzen grundlegenden Themen an, die uns heutzutage beschäftigen. Ich fange allerdings wirklich bei mir ganz persönlich in der Tiefe an und frage, wie man mit sich und in sich klarkommen kann mit dem ganzen Wahnsinn um uns herum. Etwa, was gerade mit unserem Planeten passiert, wie wir eigentlich überhaupt so weit gekommen sind. Denn eigentlich hat es ja in den 70er-Jahren schon angefangen, dass ganz viele Menschen gesagt haben „Jute statt Plastik“ oder „Atomkraft – nein danke“. Man hat all das, was gerade mit uns passiert, schon damals gewusst. Und es gab ja auch eine weltweite große Bewegung, die gesagt hat: Das wollen wir alles so nicht. Und jetzt ist es trotzdem dazu gekommen, dass es für uns fünf vor zwölf ist.

Was bedeutet das für Ihr Publikum?

Ich versuche, den Menschen kleine Werkzeuge an die Hand zu geben, mit denen sie sich selbst stabilisieren können. Wie sie zu ihrem wahren Selbst finde können. Viele Leute sagen natürlich, „Ich gehe in den Supermarkt, da finde ich meine Waren selbst“, aber es geht ja nicht um die „Ware Glück“, sondern um das „wahre Glück“ und wie man das findet. Da gibt es ja für jeden andere Ansätze, wie man zur eigenen wahren Bestimmung kommt und zur Erkenntnis, warum wir alle hier sind.

Wie haben Sie denn Ihr wahres Ich gefunden?

Ich habe das große Glück und das Privileg, dass mein Beruf meine Berufung ist. Und das, was ich auf der Bühne mache, ist meine Leidenschaft. Ich mache 1000 Sachen, aber alle nur, damit sie da reinfließen können.

Einfach klingt das ja aber nicht...

Ich hatte ja auch eine sehr tiefe Krise, weil ich mich von der Bühnenarbeit habe ablenken lassen, etwa durch Schauspielerei und andere Dinge. Aber ich bin mittlerweile seit 20 Jahren so aufgestellt, dass ich mir große Auszeiten nehme, um immer wieder sehr viel zu meditieren. Und beim Meditieren findet man seine innere Mitte. Das, worum es für mich wirklich geht, habe ich zu meinem Beruf gemacht. Ich habe verschiedene Themen in meinen Programmen aufgearbeitet, mich etwa damit beschäftigt, wie man von einem jungen Mädchen zu einer erwachsenen Frau oder von einem verlassenen Häufchen Elend zu einer glücklichen Singlefrau und somit eigentlich erst wieder wirklich beziehungsfähig wird. Einmal ging es darum, wie ich meine Krise mit Tinnitus und Burn-out verarbeitet habe und dass das eigentlich das Wertvollste war, was mir je in meinem Leben passieren konnte...

Moment mal: Das Burn-out war das Wertvollste, was Ihnen je passiert ist?

Ja. Der Tinnitus und das anschließende Burn-out haben mich wirklich erweckt aus einem Hamsterrad, das mir als Karriereleiter verkauft wurde. Und eine ganz große Krise ist eigentlich immer vonnöten, wenn man zum nächsten wichtigen Schritt im Leben kommen will. Wenn alles super läuft, ist das zwar ganz nett, aber nicht wirklich einer persönlichen Entwicklung zuträglich. Und auch in einem Comedy-Programm braucht man immer eine große Krise und schwierige Situationen, um Humor zu erzeugen. Deshalb habe ich auch immer die Krisen in meinen Shows bearbeitet und nicht die vielen tollen Momente, die ich in meinem Leben hatte, das wäre ja langweilig.

Also könnte man sagen, dass Sie aus Ihrer Krise gestärkt hervorgegangen sind?

Sehr gestärkt, ja. Und vor allem mit einer ganz neuen Prämisse im Leben. Ich habe aber auch die auf mich zurollende Krise des Älterwerdens in einem Programm prophylaktisch behandelt, was irrsinnig lustig ist. Und jetzt bin ich an dem Punkt, an dem ich sage, die Krise, durch die unser Planet geht, und was hier gerade abläuft, da könnte einem im ersten Moment ja das Lachen vergehen. Aber Lachen ist so wichtig für das Immunsystem, deswegen versuche ich, die Menschen in der Frequenz ganz dolle hochzuziehen. Wenn sie zu mir kommen, dann sind sie ganz oft erschöpft von der Woche und deprimiert und voller Sorgen – die Menschen haben heute sehr viel mehr Sorgen als noch vor 20 Jahren – und das hat einen Grund, das ist kein Zufall. Auch darüber rede ich und wie man damit umgeht, einen größeren Überblick zu bekommen und den Humor nicht zu verlieren.

Jetzt ist es ja gerade beim Thema Klimakrise ein relativ schmaler Grat, damit den Menschen das Lachen nicht im Hals stecken bleibt. Wie machen Sie das?

Bei mir gibt es immer viel zu lachen. Ich habe wirklich eine ganz hohe Lacherdichte. Einfach weil ich mich als Bühnenschamanin sehe. Eine Schamanin ist jemand, die Leute heilt und nicht zerrüttet. Und ich gebe ihnen ganz viele Sachen mit auf den Weg, wie sie in Zukunft auch mit Traurigkeit umgehen können. Und wenn sie nach einem Abend bei mir nach Hause gehen, dann sagen sie: „Mir geht es wieder so viel besser. Ich wollte gar nicht hingehen, weil ich so erschöpft und kaputt bin und jetzt bin ich so froh, dass ich da war.“ Das ist wirklich der häufigste Satz, den ich höre. Und das macht mich glücklich.

Wenn man sich Ihre Programme anschaut, stellt man fest, dass Sie Vegetarierin sind. Seit wann und wie kam es denn dazu?

Ich bin schon seit 20 Jahren Vegetarierin, weil ich eine ganz große Tierliebe spüre. Ich finde es unfassbar, was heute mit den Tieren gemacht wird. Erst kürzlich habe ich gelesen, dass ein Starkoch gesagt hat, dass eine Currywurst eigentlich Körperverletzung ist. Ich will meinen Körper nicht verletzen mit Antibiotika und dem ganzen Wahnsinn, der da im Fleisch steckt. Wir wissen ja alle schon, wie viele Tausende Liter Wasser benötigt werden, damit man ein Steak auf dem Teller hat. Oder: Von 100 Kalorien, die in die Tiere durch Futter reingesteckt werden, bleibt am Ende nur eine übrig, die der Mensch dann isst. Das ist ein solcher Wahnsinn, der da abgeht, auch vom Wirtschaftlichen her.

Also war es eine ethische und ökologische Entscheidung?

Ja. Für unseren Planeten habe ich mir das Fleischessen vor Ewigkeiten abgewöhnt. Es gab früher noch Zeiten, da habe ich einmal im Jahr gesagt, jetzt muss ich mal wieder ein Stück Fleisch essen. Das habe ich schon ganz lang nicht mehr. Im Gegenteil: Wenn ich jetzt ein Stück Fleisch esse, dann wird mir übel und ganz komisch zumute. Ich würde jedem empfehlen, sich langsam, aber sicher eine andere Ernährung zuzulegen. Das ist ein Prozess, dem man sich hingeben kann. Auf billiges Fleisch zu verzichten, ist der erste Schritt.

Leben Sie denn auch in anderen Bereichen nachhaltig?

Ja, unbedingt. Ich habe alles, was ich brauche, muss nichts mehr kaufen. Ich verweigere mich dem Konsum, ich verweigere mich der Mode und ganz besonders der Fast Fashion. Die Dinge, die ich wirklich brauche, die lasse ich mir fast alle nähen. Ich lebe seit 20 Jahren jeden Winter für ein paar Monate in Indien und da gehe ich hin, bringe meine Stoffe mit, lass alles von meinen Schneidern dort anfertigen. Ich fahre auch nur ein kleines Auto, ich brauche gar keine Statussymbole. Das war mir bereits damals und ist mir auch heute nicht wichtig.

Mit „damals“ meinen Sie die 70er-Jahre?

Ja. Ich meine, wir haben das ja alles sehr bewusst gemacht in den 70ern. Und als dann die erste Welt angefangen hat, sich abzuwenden, habe ich mich nur gewundert und gedacht: „Wieso? Seid ihr eigentlich alle bescheuert?“ Wir haben die richtigen Ideen gehabt und die wurden dann aber plötzlich als „out“ bezeichnet. Aber im Prinzip hat die Jugend der 70er sehr viel erkannt, war gegen Krieg, Ausbeutung und Umweltverschmutzung, hat die Sexualität und die Frauen soweit es ging befreit, obwohl da auch heute noch viel Luft nach oben ist. Das ist alles sehr schade, weil wir jetzt auf einem kaputten Planeten von vorne anfangen, mit Erkenntnissen, die wir eigentlich schon ewig hatten.

Ein anderes Thema: Ist heutzutage eine politische Positionierung für jemanden, der auf der Bühne steht, wichtig?

Natürlich! Ich habe zum Beispiel eine sehr AfD-kritische, aber wirklich lustige Nummer im Programm. Da steht so ein ganzer Kiez zusammen und ein Nazi führt sich auf und benimmt sich daneben. Dann wird er kommentiert und hat eine Unterhaltung mit den ganzen Leuten, die da in dem Kiez sind: ein Penner, eine Psychologin, eine Frau aus dem Naturkostladen, ich und ein älteres Pärchen. Der Nazi ist ganz klar der mit den einfachsten und dümmsten Lösungen, der sagt dann, „Wir brauchen wieder einen starken Mann“, und da wissen wir ja alle, womit wir mit so was schon hingekommen sind... Das, was sich gerade abspielt an Re-Nazifizierung in unserem Land, das ist so erschreckend, das kann ich auch wiederum nur humorvoll auflösen. In meinen Programmen sitzen natürlich auch keine AfD-Wähler, ich brauche denen nicht irgendwas zu erzählen, das wäre Eulen nach Athen tragen. In ein Kabarett gehen nur Menschen, die sich sowieso schon kritisch mit der Welt auseinandersetzen.

Ist denn eigentlich das Publikum im Süden Deutschlands anders als im Norden?

Jedes Publikum ist jeden Abend anders. Es ist immer eine feinstoffliche Chemie unter den Leuten. Manchmal hast du einen drin, der zieht alle mit und alles giggelt von Anfang an. Manchmal hast du einen drin, der ist schlecht drauf und zieht die Leute runter. Dem muss man beim Warm-up sofort die Luft rauslassen. Mach ich dann auch. Und die Lacher kommen sowieso immer an unterschiedlichen Stellen. Manchmal lachen Leute einfach, weil sie lachen wollen. Manchmal lachen sie so was von tief aus dem Bauch heraus und du merkst, du hast genau den Nerv getroffen, weil die Leute wirklich das beschäftigt, was du angesprochen hast. Und das ist dann einfach sehr, sehr schön.

Zur Person
Sissi Perlinger

Sissi Perlinger ist eine deutsche Entertainerin, Schauspielerin, Hörspielsprecherin und Autorin. Geboren ist sie im Dezember 1963 in Bayern.

1986 begann sie mit dem Schreiben eigener Bühnenprogramme, mit denen sie im gesamten deutschsprachigen Raum auf Tournee ging. Parallel dazu startete sie mit der Arbeit als Schauspielerin.

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Erstellt:
25. Oktober 2019, 11:30 Uhr

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