Immer wieder überraschende Umschwünge

Die Berliner Formation „Holler My Dear“ eröffnet die Spielzeit 2020 im Backnanger Kulturgut mit viel Gipsy Folk Pop

Die sechs Musiker von „Holler My Dear“ haben bereits 160 Livekonzerte absolviert und sorgen im Kulturgut für beste Stimmung. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Die sechs Musiker von „Holler My Dear“ haben bereits 160 Livekonzerte absolviert und sorgen im Kulturgut für beste Stimmung. Foto: A. Becher

Von Christoph Rothfuss

BACKNANG. Das Backnanger Kulturgut Hagenbach eröffnete am Freitagabend seine Spielzeit 2020. Seit 15 Jahren begeistern die Kulturgut-Organisatoren ihre Besucher mit einem stets hochklassigen Programm – in der „Werkstatt“ kommen sich Künstler und Publikum nahe, wie in kaum einer anderen Location.

Protagonist des Abends war die Berliner Formation „Holler My Dear“. Die sechs Musiker haben bereits die beachtliche Zahl von 160 Livekonzerten absolviert und promoten nun auf einer Deutschlandtournee die Veröffentlichung ihrer dritten CD „Steady As She Goes“. Stilistisch sind sie breit aufgestellt: die Bezeichnung Gipsy Folk Pop deckt die meisten der favorisierten Stile ab.

Gleich der Einstieg in den Abend gerät sehr beeindruckend. Ein sphärischer Klangteppich baut sich auf, wächst und wächst, kommt näher, die Instrumente steigen nach und nach ein, eine gewisse Bedrohlichkeit kann nicht geleugnet werden. Dann kippt die Stimmung und gute Laune mit einem mitreißenden Schwung verbreitet sich in der Werkstatt des Hagenbachs. Die Gäste wippen auf ihren Stühlen mit, Frontfrau Laura „Laus“ Winkler legt eine Tanzeinlage hin, ganz nach dem Motto: War was?

Zwischen Sehnsucht nach


dem Meer und stampfenden Beats

Diese abrupten Umschwünge sind ein Markenzeichen von „Holler My Dear“: irgendwann rechnet man mit ihnen, sie kommen aber trotzdem immer wieder überraschend. Da wird die Sehnsucht nach dem Meer thematisiert, Welle folgt auf Welle – eine Verlorenheit in der Endlosigkeit wird musikalisch heraufbeschworen. Dann wieder Tanzbares, stampfende Beats gemäß der Songzeile „You sow the seeds of discord? We sow the seeds of disco.“ Das kann dann gerne auch mal brachial geraten, Lucas Dietrich (Bass) und Max Santner (Schlagzeug) halten als Rückhalt der Band das Geschehen zusammen. Stephen Molchanski (Trompete) und Valentin Butt (Akkordeon) spielen dazu irrwitzig viele Töne, welche aber eher nur als Klangfarbe wahrgenommen werden können.

Diese Mittelbarkeit in der Hörbarkeit ist ein weiteres Geheimnis der Berliner Formation. Als Fabian Koppri (E-Gitarre) zur Mandoline greift, ist es wieder Zeit für eine dieser sanften Balladen, die die gelegentliche emotionale Orientierungslosigkeit des Menschen in der Großstadt besingt. Wieder führen fulminante Steigerungsetappen zu einem machtvoll-hymnischen Ausbruch. Mit wie viel Subtilität sind doch diese organischen, nahtlosen Übergänge jedes Mal gestaltet.

Alle fünf Instrumentalisten sind hervorragende Musiker, die ihre Fähigkeiten stets dem Kollektiv beisteuern; der charismatische Kopf, die zierliche Sängerin und Songwriterin Winkler bündelt dies alles mit einer immer stringenten Idee, sozusagen mit einer kessen Berliner Schnauze. Ihre Texte sind oft schattenrissartig montiert, bringen subjektive Gefühle so auf den Punkt, dass sich jeder einzelne Zuhörer angesprochen fühlen kann. In einem verträumt-versonnenen Abschnitt legt sich sanfter Trompetenschmelz über dunkel dräuende Akkorde: „Holler My Dear“ sind der Soundtrack des modernen Lebens, geben allen seiner Zerrissenheiten und seiner sanften Glücksmomente eine Stimme.

Das Publikum im Hagenbach ist begeistert, will die sechs Berliner gar nicht mehr gehen lassen. Zu sehr hat sich die außergewöhnliche Lebendigkeit der Band aufs Publikum übertragen, war der musikalische Sog so verführerisch, die Ehrlichkeit der zierlich-agilen Laura Winkler so entwaffnend. „Wenn die Welt schwer auf den Schultern liegt, müssen die Beine umso leichtfüßiger zum Beat wippen.“ So lautet eines der Mottos von „Holler My Dear“ und das haben sie dem Backnanger Publikum authentisch – wie das Leben selbst – vermittelt. Bravo!

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Erstellt:
9. März 2020, 11:30 Uhr

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