Kabarett mit politischer Botschaft: Fatih Çevikkollu in der Gruschtelkammer

Fatih Çevikkollu gastiert zum zweiten Mal in der Gruschtelkammer Auenwald und präsentiert einem begeisterten Publikum sein Programm „Zoom“.

Fatih Çevikkollu zeigt in Auenwald sein siebtes Programm. Foto: Tobias Sellmaier

© Tobias Sellmaier

Fatih Çevikkollu zeigt in Auenwald sein siebtes Programm. Foto: Tobias Sellmaier

Von Carmen Warstat

Auenwald. Fatih Çevikkollu ist ein Multitalent. Der Absolvent der Schauspielschule Ernst Busch in Berlin, Rapper und Kabarettist hat Bücher veröffentlicht und als der erste Büttenredner mit türkischen Wurzeln im Kölner Karneval reüssiert. Die Ansage aus dem Off bei seinem Auftritt in der Gruschtelkammer Auenwald verrät, dass er den „Moslem-Tüv mit summa cum laude“ gemeistert habe, da er ja wisse, wer Caspar David Friedrich ist – er habe alle seine Platten im Schrank.

Bei der Gruschtelkammer-Veranstaltung in der Auenwaldhalle präsentierte er sein siebtes Programm, das er in Anspielung auf Entdeckungen aus der Coronazeit „Zoom“ genannt hat. „Alle fingen an, etwas zu entdecken: Videokonferenzen, Spazierengehen, Homeoffice.“ Zu zoomen bedeute aber ja auch, näher heranzufahren, genauer hinzugucken, und genau das tut der Kabarettist, er nimmt „gesellschaftlich relevante Themen“ unter die Lupe.

„Ich beobachte nur“, merkt er an und bittet: „Don’t kill the messenger (tötet den Boten nicht).“ Dabei sind seine Botschaften zwar sehr klar, und manchmal positioniert er sich radikal deutlich, zugleich ist Fatih Çevikkollu aber in friedlicher Mission unterwegs und sagt: „Wisse um die Unterschiede!“ Um etwas anderes gehe es nicht, wenn man Mentalitäten beispielsweise von Türken und Deutschen vergleicht – nicht ums Werten, nicht ums Aburteilen, sondern lediglich um das Wissen: So ticken die nun mal und man sollte das im Hinterkopf haben, wenn man in Kontakt tritt.

Ein Sprach- und Sprechkünstler erster Güte

Çevikkollu präsentiert gerappte Texte, die so komplex und dicht sind, dass man kaum folgen kann, indessen bleibt man trotzdem fasziniert zurück, wenn er Luft holt. Er ist ein Sprach- und Sprechkünstler erster Güte und weiß, uns die deutsche Kultur und Identität zu vermitteln wie kaum ein jahrhundertelang hier verwurzelter Künstler. Matthias Claudius, Goethe und Schiller lässt er zu Wort kommen und übersetzt Ferdinands Worte „Schrecklich enthüllt sich mein Frevel mir“ aus „Kabale und Liebe“ sehr anschaulich als: „Ach du Scheiße!“ Szenenapplaus bekommt Çevikkollu, der auch ein leidenschaftlicher Schauspieler ist, für seine intensive Interpretation eines Shakespeare-Monologs (Richard III.: „Nun ward der Winter unsers Missvergnügens“). Dieses Können geht weit über das übliche Comedian-Gequassel hinaus und lässt auch den Humor keineswegs vermissen.

Deutliche antifaschistische Positionierung

Ständig pendelt der Künstler zwischen den Polen, interagiert mit dem Publikum, ohne sich anzubiedern, setzt sich mit deutscher Erinnerungskultur auseinander: „Wir sind Erinnerungsweltmeister, wir erinnern uns, dass wir nix wussten.“ Er baut unbequeme Fakten beispielsweise über die BMW–Firmen- und Familiengeschichte in der NS-Zeit ein, positioniert sich sehr deutlich antifaschistisch, thematisiert aber auch Zeitgeist- und Modefragen wie den Brazilian Butt Lift. Wer es noch nicht wusste, kennt nun auch den Trend der chirurgischen Gesäßvergrößerung, populär gemacht von den Kardashians. Auch Fatih Çevikkollu mag es kaum glauben und zeigt sich hin- und hergerissen zwischen Zweifel und beißendem Spott.

Der hochgebildete und sehr politische Künstler ist ernsthaft, ohne abgehoben intellektuell zu wirken, sein Humor zum Kringeln, meist ohne Blödigkeit, und seine Bestimmung eine zutiefst demokratische. Am Thema Gendern macht er es deutlich: „Was für ein Gewinn! Deine Meinung über das Gendern ist nicht wichtig. Es gibt einen Raum, wo du sie sagen kannst. DAS ist der Gewinn!“ Und er fragt: „Sind Schwule hier? Behinderte? Ossis?“ Die Liste ließe sich fortsetzen. „Wir sitzen alle an diesem Tisch.“ Dem Vorwurf ausufernder Political Correctness widerspricht Çevikkollu etwa so: Du kannst alles sagen und freilich kannst oder musst du mit Widerspruch rechnen, aber: „Wir sitzen alle am Tisch.“

Zwei Stunden lang strahlte der Bühnenvorhang in den Farben des Regenbogens. Auch das darf als ein klares Statement verstanden werden.

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Erstellt:
17. März 2023, 06:00 Uhr

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