Kunstprojekt: Zeitzeugen der Berliner Mauer

Die Künstler Stefan Krauss und Ina Rommee interviewen Zeitzeugen der Generation 1961. Wie haben sie das geteilte und wiedervereinte Deutschland erlebt? Auch Frank Nopper und Adnan Demirkapi beteiligen sich am Projekt „Generation Mauerbau“.

Die Künstler Stefan Krauss (links) und Ina Rommee (Mitte) haben die ausgewählten Zeitzeugen zu Hause besucht. Fotos: Stefan Krauss

© Stefan Krauss

Die Künstler Stefan Krauss (links) und Ina Rommee (Mitte) haben die ausgewählten Zeitzeugen zu Hause besucht. Fotos: Stefan Krauss

Von Anja La Roche

Backnang. Die Berliner Mauer wurde von 1961 bis 1965 errichtet. Sie unterband soziale Beziehungen, schränkte die Freiheit der DDR-Bürger ein, war Lebensrealität. 1989 kam sie schließlich zu Fall und aus zwei Teilen wurde ein geeintes Deutschland. Was hat das im Leben der Menschen verändert? Und inwiefern hat es die Menschen in ihrem Wesen geprägt? Die Künstler Ina Rommee und Stefan Krauss widmen sich diesen Fragen, indem sie Zeitzeugen aus verschiedenen Bundesländern und mit verschiedensten sozialen Hintergründen interviewen und filmen. Bei dem aktuellen Projekt „Generation Mauerbau“ widmen sie sich Menschen, die im Jahr 1961, als der Mauerbau begann, geboren wurden. Unter den 29 Zeitzeugen sind auch zwei Backnanger vertreten: der ehemalige Oberbürgermeister Frank Nopper und der Friseur Adnan Demirkapi, der einen Salon in der Marktstraße betreibt.

Die Backnanger waren von der Teilung und Wiedervereinigung Deutschlands meist wenig betroffen. Doch: „Zieht man nach Berlin, kommt man nicht um das Thema herum“, sagt die 33-jährige Medienkünstlerin Ina Rommee. Sie und der 39-jährige Fotograf und Kameramann Stefan Krauss lernten sich – obwohl beide in Backnang aufgewachsen sind – auf den Dächern Berlins kennen. Heute wohnen sie mit ihrem zweijährigen Sohn in Berlin-Kreuzberg, nur zwei Gehminuten entfernt von erhaltenen Resten der Berliner Mauer.

Für die Wissenschaft, Kunst und Bildung

Das Künstlerpaar widmet sich der Thematik in Zusammenarbeit mit der Universität Konstanz, der Stiftung Berliner Mauer und dem Archiv Deutsches Gedächtnis der Fernuniversität Hagen. „Wenn man Geschichte begreifen möchte, ist es interessant, verschiedene Generationen zu interviewen“, sagt Stefan Krauss. „Das ist wichtig für die künstlerische Arbeit, aber auch für das eigene Verständnis.“ Ina Rommee ergänzt mit Blick auf die Zeitzeugenvideos: „ Es gibt nur wenige Künstler, die Geschichte auf diese Weise erzählen.“ Sie wollen die Videos als Installation ausstellen, unter anderem bei der Siftung Berliner Mauer. Zudem sollen die Zeitzeugenberichte später auch schulischen und außerschulischen Zwecken zur Verfügung gestellt werden; für Lehrer in Baden-Württemberg wird das Material beispielsweise frei zugänglich sein. Außerdem nutzen beteiligte Wissenschaftler die Erzählungen, um die sozialen Auswirkungen der Teilung Deutschlands zu erforschen.

In der ersten Folge des Projekts ließen Ina Rommee und Stefan Krauss Personen des Jahrgangs 1975 von ihren Erfahrungen erzählen (wir berichteten). Diese Zeitzeugen erlebten das geteilte Deutschland bis zu ihrem 14. Lebensjahr, also in ihrer Kindheit und Jugend. „Die Generation 1975 hat ganz unbefangen über die Ereignisse gesprochen“, erzählt Ina Rommee. Bei der Generation 1961 hingegen seien die Gespräche etwas ernster. Das führen die Künstler darauf zurück, dass sie zum Zeitpunkt der Zusammenführung Ost- und Westdeutschlands bereits an einem anderen Punkt in ihrem Leben standen; viele hatten bereits Kinder und waren beruflich eingespannt, als es zu dem Umbruch kam.

Auch der ehemalige Backnanger Oberbürgermeister Frank Nopper erzählt als Teil der Generation 1961, wie er den Mauerfall erlebte.

© Stefan Krauss

Auch der ehemalige Backnanger Oberbürgermeister Frank Nopper erzählt als Teil der Generation 1961, wie er den Mauerfall erlebte.

Die am Projekt beteiligte Christiane Bertram von der Universität Konstanz berichtet: „Uns ist bei den Interviews der Generation 1975 aufgefallen, dass die Menschen, die in der BRD aufgewachsen sind, weniger Krisen erfahren haben.“ Deswegen stand bei den aktuellen Interviews der 1961er das Erleben von und der Umgang mit Krisen im Fokus. „Wir wollen herausfinden, ob es da systematische Unterschiede zwischen den Ost- und Westdeutschen gibt.“ Es soll untersucht werden, ob die ehemaligen DDR-Bürger aufgrund ihrer Erfahrungen krisenfester sind und daher die aktuellen Krisen wie die Coronapandemie und den Ukrainekrieg besser bewältigen.

Bereits 24 Zeitzeugen haben Ina Rommee und Stefan Krauss besucht, fünf Besuche stehen noch aus. Dass sie auch zwei Backnanger interviewten, ist eher Zufall. Oberste Priorität bei der Auswahl der Personen hatte nämlich, dass eine möglichst große Heterogenität bezüglich Geschlecht, sozialer Herkunft, Migrationshintergrund sowie politischer Einstellung vorherrscht. Personen aus West- und Ostberlin, Baden-Württemberg und Sachsen kamen infrage – Länder mit historisch völlig unterschiedlichem Bezug zur Berliner Mauer. Wo die einen sie kaum bemerkten, mussten die anderen ihr Leben auf den Kopf stellen.

OB Nopper schildert seine Erfahrung

Auch den ehemaligen Oberbürgermeister Backnangs, Frank Nopper, der inzwischen selbiges Amt in Stuttgart bekleidet, konnte das Künstlerpaar als Zeitzeugen gewinnen. „Man hat uns im Stuttgarter Rathaus sehr nett empfangen“, sagt Ina Rommee. In die Kamera blickend erzählte Frank Nopper seine Lebensgeschichte, beantwortete die Fragen zum Mauerfall und zu durchlebten Krisen. Er hat beispielsweise berichtet, dass es für ihn wie an seinem Stuttgarter Gymnasium üblich in der 12. Klasse nach Westberlin ging. Auf dem Weg dorthin kam ihm die DDR „recht trist“ vor. Die Trennung Deutschlands empfand er stets als sinnlos, die Demonstrationen gegen eben diese hat er mit großer Sympathie verfolgt. Als die Mauer am 9. November 1989 fiel, Nopper war damals 28 Jahre alt, stand er gerade vor einer Discothek an. „Die Stimmung war von einem ungläubigen Staunen geprägt“, so Frank Nopper.

Der Zeitzeugenbericht des Backnanger Friseurs Adnan Demirkapi fiel etwas anders aus, wie Ina Rommee wiedergibt: In Istanbul aufgewachsen kam er 1971 nach Backnang. Als türkischer Immigrant ist er zunächst eher ein Außenseiter in Backnang gewesen. Den Mauerfall hat er eher als Zuschauer erlebt. „Das ist interessant“, betont die Künstlerin. In der Rolle als Zuschauer hätten sich auch viele andere immigrierte Personen wahrgenommen.

Die individuellen Zeitzeugenberichte der 1961er sind sicherlich spannend genug, um ihnen lauschen zu wollen – doch insbesondere in Wechselwirkung zueinander können sie abbilden, wie die Berliner Mauer die Bevölkerung geprägt hat, und so zu einem tieferen Geschichtsverständnis beitragen.

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Erstellt:
13. Juni 2022, 16:00 Uhr

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