Neues Album: „Something Beautiful“
Miley Cyrus’ Meisterstück
Etwas wahrhaftig Wunderschönes: Das neunte Studioalbum der US-amerikanischen Sängerin, „Something Beautiful“, festigt ihren Ruf als Pop-Visionärin.

© Evan Agostini/Invision/dpa
Miley Cyrus
Von Steffen Rüth
Es war niemand Geringeres als Indiana Jones persönlich, der sie im vergangenen Sommer auf den Trichter gebracht hat. Ursprünglich habe Miley Cyrus angesichts der großen Songs über noch größere, ja existenzielle Themen, die sie zuletzt geschrieben hatte, überlegt, ob man diese nicht, schön aufwendig inszeniert, in unberührten Wäldern oder an den Pyramiden zur Aufführung bringen könnte.
Sie zeigte Harrison Ford also bei einer Preisverleihung, bei der sie beide geehrt wurden, ihr Konzept auf dem Handy, doch dieser habe zwar freundlich, aber doch recht klar entgegnet: „Keine Chance. Zu teuer.“
Miley Cyrus, mittlerweile 32 und seit ihren Anfängen vor fast zwanzig Jahren als Schulmädchen in der Disneyserie „Hannah Montana“ ein Popsuperstar, dem man nicht nur gern bei seinem sehr unterhaltsamen Erwachsenwerden und -sein zuguckt, sondern den man auch bei einer geradezu sagenhaften künstlerischen Entwicklung beobachten kann, nahm die Kritik des Altmeisters an.
Miley Cyrus baute ihr neuntes Studioalbum „Something Beautiful“ zu einer multimedialen Rundumsause aus, in deren Zentrum ein Kinofilm steht, der ebenfalls „Something Beautiful“ heißt und am 6. Juni beim Tribeca Film Festival in New York Premiere feiern wird.
Ein Album über Heilung, Trost und Schönheit
Cyrus verspricht nicht weniger als ein immersives Erlebnis im Geist von Alan Parkers „The Wall“-Film von 1982, der auf Pink Floyds gleichnamigem Album basiert. Während der Dreharbeiten hat sich Cyrus, immer bereit für die Kunst an Grenzen zu gehen, beim Herumrobben auf dem nächtlichen Hollywood Boulevard eine so fiese Knieinfektion geholt, dass selbst der behandelnde Chirurg angewidert das Gesicht verzogen habe, wie Cyrus in der Talkshow von Jimmy Kimmel zu berichten wusste.
Miley Cyrus hat nicht vergeblich gelitten. Allein das Album „Something Beautiful“ ist zusammen mit den bereits veröffentlichten Videos ein Werk von durchaus atemraubender Brillanz.
Ein Album über Heilung, Trost und Schönheit habe sie machen wollen, so Cyrus, die auf ihrer nicht immer stolperfreien Reise zu einem ausgewogenen Ich zuletzt recht gut vorangekommen ist, die nicht mehr trinkt, nicht mehr kifft, das Leben entsprechend klarer sieht und sich zudem entschieden hat, nicht mehr zu touren, weil das ständige Hochleistungssingen ihre Stimme kaputtmacht.
Musikalisch springt sie, angespornt von ihrem 2023er Welthit „Flowers“, für den sie endlich auch ihren ersten Grammy erhielt, durch alle erdenklichen Reifen. Elf Songs und zwei Zwischenspiele („Interludes“) ist „Something Beautiful“ lang, aber liebe Güte, da ist echt was los. Gesanglich ist Cyrus in Bestform.
Auch eine Mundharmonika kommt zum Einsatz
Das Titellied beginnt wie eine gediegene Soul-Jazz-Nummer zwischen Norah Jones und Nina Simone, um dann im Refrain zu einem verzerrten Rocksong zu mutieren, ja zu explodieren, bevor er wieder lieblich ausklingt. „End Of The World“, von Hedonismus, Herrlichkeit, Liebe und Trotz in einer zerbrechend apokalyptischen Welt handelnd, erinnert mit seinen Klavierakkorden an Abba und gesanglich an Stevie Nicks. Auch das Weichzeichner-Video ruft 80er-Erinnerungen wach, genau wie das Haute-Couture-Kleid von Thierry Mugler, in dem sich Miley Cyrus hier windet.
„Show me how you’d hold me if tomorrow wasn’t coming for sure“ singt sie zu den euphorischen Klängen und man denkt, wenn sich der Untergang der Welt so anhört, dann kann er schon so schlimm nicht werden. Das direkt anschließende „More To Lose“, die aktuelle Single, hat was grandios Überwältigendes, sogar eine Mundharmonika kommt zum Einsatz (Streicher sowieso), Adele sagt freundlich Hallo.
Nicht minder ereignisreich und vor allem voll auf die Dance-Music-Zwölf geht es weiter. In der zweiten Hälfte des Albums ist kein Song kurz. Dem durch die Streamingplattform-Algorithmen forcierten Trend zum Zweiminutenpopsong setzt Cyrus das sechsminütige „Walk Of Fame“ entgegen, eine Mini-Oper im Geiste von Lady Gagas „Born This Way“. Hier trifft tanzbarer Club-Pop auf einen Hauch von Bronski Beats „Smalltown Boy“ von 1984, dazu singt Brittany Howard von The Alabama Shakes mit, deren Produzent Shawn Everett auch die Produktion von „Something Beautiful“ unter den Fittichen hatte.
Wider die Banalität dieser Kunstform
Und wer bei der feministischen Uptempo-Pop-Disco-Nummer „Every Girl You’ve Ever Loved“, verziert von einer Spoken-Word-Einlage von Naomi Campbell, nicht an „Vogue“ und „Deeper And Deeper“ von Madonna denkt, braucht dringend popgeschichtlichen Nachhilfeunterricht.
Im sechsminütigen „Reborn“, ein weiterer Elektrokracher auf dem Album, geht es schließlich in merklich dunkleren Beats um nicht weniger als um Leben und Tod, bevor die gänzlich unironische und herzerwärmende Akustikgitarrenhymne „Give Me Love“ ein Album beschließt, von dem man sich, und das ist ausdrücklich als Kompliment gemeint, sehr gern mitnehmen lässt auf die Reise in die Ab- und Tiefgründe im Inneren der Miley Cyrus.
In einer Zeit, in der dem Pop eine galoppierende Verflachung und Trivialisierung vorgehalten werden, leistet diese Musikerin mit ihrem Meisterstück ebenso beharrlichen wie erfolgreichen Widerstand gegen die Banalitäten dieser Kunstform und dieser Welt als solcher.
Something Beautiful. Sony Music