Moderne Themen im klassischen Gewand

Die Inszenierung „Faust spielen“ des Theaters Lindenhof Melchingen verbindet Goethes Klassiker mit der Aktualität

Einen Klassiker der Weltliteratur, Goethes „Faust“, hat das Theater Lindenhof Melchingen in die Gegenwart katapultiert. Die moderne Inszenierung zeigt, dass einige Themen nichts an Aktualität verloren haben. Im Backnanger Bürgerhaus wurde nun das Stück „Faust spielen“ aufgeführt.

Gerd Plankenhorn, Linda Schlepps und Stefan Hallmayer (von links) schlüpfen in „Faust spielen“ in verschiedene Rollen. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Gerd Plankenhorn, Linda Schlepps und Stefan Hallmayer (von links) schlüpfen in „Faust spielen“ in verschiedene Rollen. Foto: A. Becher

Von Claudia Ackermann

BACKNANG. „Vom Himmel durch die Welt zur Hölle? Nach Faust. Der Tragödie erster und zweiter Teil von Johann Wolfgang von Goethe“ ist der Untertitel des Stücks unter Regie von Christoph Biermeier. Keine leichte Aufgabe, den Stoff beider Teile auf eine 100-minütige Aufführung zu raffen. Nur drei Schauspieler übernehmen jeweils über zehn Rollen ohne große Kostümwechsel, was es nicht unbedingt leichter macht, der ohnehin komplexen Handlung zu folgen. Von der Ernsthaftigkeit des Stoffs wolle man sich ein Stück weit entfernen und sich spielerisch annähern, so der Dramaturg Georg Kistner vor der Aufführung.

Das Bühnenbild ist minimalistisch. Drei Barhocker sind aufgestellt. Im Hintergrund eine Öffnung, durch die man auf eine Leinwand blickt, auf der Bilder und Videos eingeblendet werden. Zerfledderte Reclam-Ausgaben des Goethe-Klassikers sind vor Beginn darauf zu sehen. Das kommt den zahlreichen Schülern, die ins Bürgerhaus gekommen sind, sodass der Walter-Baumgärtner-Saal nahezu ausverkauft ist, schon mal bekannt vor. Faust ist beim Abi 2020 in Baden-Württemberg ein Schwerpunktthema. Die Inszenierung dürfte nicht zum besseren Verständnis beigetragen haben. Dennoch erlebten sie, sowie die Faust-Kenner im Publikum, eine außergewöhnliche Adaption des über 200 Jahre alten Stoffs.

Originalverse vermischen sich mit moderner Sprache

In moderner Straßenkleidung betreten die Schauspieler die Bühne und rezitieren Verse in der alten Sprache des Klassikers in heillosem Durcheinander. Bekannte Zitate tauchen auf wie: „Dass ich erkenne, was die Welt im Innersten zusammenhält.“ Eine Computerstimme aus der „Faust-App“ aus dem Smartphone antwortet. Ist das Handy das, was die Welt heute im Innersten zusammenhält? Die Inszenierung erfolgt auf verschiedenen Ebenen. Mitten im Spiel geben sich die Darsteller als Schauspieler zu erkennen. Linda Schlepps als Margarete weigert sich in einer Szene mit Faust (Stefan Hallmayer), die Regieanweisung auszuführen: „Wälzt sich vor ihn hin“ und antwortet mit dem Titel der gleichnamigen Filmkomödie: „Fack ju Göhte.“ Von Gerd Plankenhorn, der auch den Mephisto spielt, wird die Szene gefilmt und erscheint mit übergroßen Gesichtsaufnahmen parallel auf der Leinwand.

Originalverse vermischen sich mit moderner Sprache. Bezüge zur Gegenwart werden hergestellt. Etwa zum MeToo-Thema, bedenkt man doch, dass Gretchen erst 14 Jahre alt war: „Heinrich! Mir graut’s vor dir.“ Szenen mit dem teuflischen Mephisto arten in Gewalt aus. Gerd Plankenhorn kann in dieser Rolle auch unglaublich dämonisch röhren im Stil des Sängers Till Lindemann von Rammstein.

In der Szene in Auerbachs Keller erklingt sächsischer Dialekt, und ein Jurastudent entpuppt sich als Rechtsradikaler. Szenen werden durcheinandergeworfen. Die Gretchen-Szene wird als Probensituation dargestellt, in der Mann und Frau die Rollen tauschen. Das Spiel mit Verwirrung wird auf die Spitze getrieben, und der ernste Stoff erhält komische Momente. Cholerische Ausbrüche des Regisseurs sind eingebaut. Szenen werden immer und immer wieder geprobt. Die Darsteller beschimpfen sich gegenseitig mit Ausdrücken wie „du Reclam-Heftchen“, was vor allem bei den Schülern im Publikum zur Belustigung führt.

Im zweiten Teil der Tragödie wird es noch konfuser. Es geht um Macht und Geld. Präsident Trump ist eingebaut, und das Flüchtlingsthema wird angesprochen. Gretchendarstellerin Linda Schlepps wird zur „kleinen Greta“, wenn es um das Thema Umwelt geht. Wenn am Ende die Maschinen die Weltherrschaft übernehmen, dann gilt der Satz aus Faust: „Die Geister, die ich rief, die werd’ ich nicht mehr los.“

Eine dichte Inszenierung, die für einige Verwirrung sorgte, aber bei der 100-minütigen Aufführung ohne Pause nicht an Spannung verlor.

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Erstellt:
7. Dezember 2019, 06:00 Uhr

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