Mutter des größten Kaspers der Welt

Die Riesenmarionette Punch Agatha der Künstlerin Stefanie Oberhoff tritt beim Festival „6 Tage frei“ auf

Die Stuttgarter Künstlerin Stefanie Oberhoff verbindet gern Kunst und soziales Engagement. Neben ihren Auftritten engagiert sie sich im Zentrum Espace Masolo in Kinshasa.

Stuttgart Auf dem Wohnzimmertisch thront die Gräfin. Wie immer recht kräftig geschminkte Lippen, lüstern geblähte Nasenflügel, auf dem Oberkopf eine silbergraue Mähne, und in der linken Hand die unvermeidliche Zigarette. „Die Gräfin hat 786 Euro gesammelt“, sagt Stefanie Oberhoff wie nebenbei. Die Gräfin?

Das Gespräch mit derFigurenspielerin, die auchDozentin an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart ist, dreht sich gerade um diesen riesigen Koffer, der sich im Korridor der Künstlerin breitgemacht hat. „Darin reist meine neueste Figur, ein Hund, wir waren in Australien“, erzählt Stefanie Oberhoff lachend. Auch sonst wirkt ihre Wohnung im Stuttgarter Süden wie ein außergewöhnliches Raritätenkabinett: überall Kunst, Kunst, Kunst, in jedweder Form. Man könnte sich beim Schauen und Staunen hier ganz verlieren. Deshalb schnell mit einem Gedankenschwung zurück zu -dieser Gräfin.

Die Gräfin? Das ist ein ungefähr armlanges Geschöpf aus Stefanie Oberhoffs Kreativwerkstatt. Es ist auch als Stuttgarts kettenrauchendeKult-Omabekannt. Überall, wo sich die alte auffällige Dame jüngst in Szene setzte, hat sie um eine kleine Spende gebeten. „Das Geld geht ans Zentrum Espace Masolo nach Kinshasa“, erzählt Stefanie Oberhoff. Das Zentrum Espace Masolo (Centre des Ressources de Solidarité Artis­tique et Artisanale) wurde im Jahr 2003 von drei kongolesischen Künstlern gegründet. Ihre Idee: künstlerisches Schaffen und ­solidarisches Engagement zu verbinden. Thematischer Schwerpunkt sind Figurenspiel und Figurenbau. Dazu kommen Theater, Musik, Schneidern, Malen, Tischlern, Metallarbeit.

Die deutsche Botschaft in Kinshasa bat in Stuttgart um Geburtshilfe. Stuttgart war schon damals ein Zentrum für Figurenspiel und Figurenbau. Hier arbeitete Stefanie Oberhoff nach ihrem Abschluss als Bühnenbildnerin an der Staatlichen Akademie für Bildende Künste Stuttgart am Figurentheater Fitz als freie Künstlerin. „Was die freie Theater- und Tanzszene in Stuttgart immer noch vermisst, hatten wir Figurenspieler damals schon imFigurentheater Fitz: ein Zuhause, wo wir unsere Produktionen entwickeln und aufführen konnten“, sagt Stefanie Oberhoff.

Der Reiz für Oberhoff, nach Kinshasa zu gehen, war sehr groß. „Es war immer mein großes Steckenpferd, Kunst und soziales Engagement zu verbinden“, bekennt die gebürtige Bad Cannstatterin: „Das Wesen von Global Playern zu imitieren – nur mit anderem Ziel.“ Nach frühen beruflichen Erfahrungen in Pakistan wurde es dann also die Republik Kongo und das Zentrum Espace Masolo.

Seit dem Jahr 2003 ist die Künstlerin nun jährlich einmal in Kinshasa. Finanziert werden ihre Aufenthalte vom Goethe-Institut. „Die Geschichten, die wir dort erarbeiten, sind auf Augenhöhe gemeinsam entwickelt“, erzählt Oberhoff. Oft sind es recht raue Geschichten. Das Leben im Kongo – vor allem für Kinder und Jugendliche – ist hart. „Die Ausbildung am Zentrum ist kostenfrei, darum sammelt die Gräfin Spenden“, sagt Stefanie Oberhoff. „Die Gräfin, Expertin in Tod, Sex, Dichtung und Politik, kennt die Welt, macht Filme, hat inzwischen eine eigene Band und produziert eine echte LP“, ­verrät Oberhoff.

Um mehr Geld zu verdienen, hatten die Mitglieder des Zentrums Espace Masolo vorgeschlagen, Musik in die Theaterproduktionen zu bringen. „Die erste Tuba spendierte der Bläserchor Schorndorf, später bekamen wir von denen einen ganzen Satz Blasinstrumente“, erzählt sie. Und manchmal findet sie, dass es Momente von „Absurdistan“ in ihrem Leben gibt, „globale Liebesgeschichten“. So ein Moment war auch die ­Geburt vonPunch Agathe.

Punch heißt Kasper im englischen Sprachraum. „Gezeugt“ wurde die 16 Höhenmeter messende, weißhäutige weibliche Marionette in Melbourne, erstmals präsentiert bei der australischen Gruppe Snuff Puppets. Dann reiste Stefanie Oberhoff mit Punch Agathe nach Kinshasa, und Agathe wurde schwarz. Mit seinen Geschichten ist „der größte Kasper der Welt“ oft wild anarchisch und manchmal auch wahnsinnig ­moralisch.

Nachdem Punch Agathe schon einmal auf dem Marienplatz in Stuttgart einen großartigen Auftritt hatte, ist sie nun wieder für einige Zeit in Deutschland. Sie hat am 23. März 2019 bei der Langen Nacht der Museen die Hafenrundfahrt begleitet und ist zum Festival der freien darstellenden Künste aus Baden-Württemberg „6 Tage frei“ im Theater Rampe eingeladen. Als eine von zehnPreisträgernwird Agathe da am 12. und 13. April ihre Theaterbühnenreife vorführen können.

Über die Einladung zum Festival im Theater Rampe hat sich Stefanie Oberhoff sehr gefreut. Andere Anfragen kamen vom Internationalen Figurenfestival Erlangen, vom Internationalen Straßentheaterfestival Flurstücke in Münster und vom Stuttgarter Linden-Museum anlässlich der aktuellen Ausstellung „Wo ist Afrika?“.

Inzwischen hat die Künstlergemeinschaft aus Australien, dem Kongo und Stuttgart aus der Marionette der Punch Agathe eine Vorlage für kongolesische Medienerzeugnisse, darunter ein Schulbuch, entwickelt. „Die größte Hierarchie weltweit ist nicht die Abhängigkeit der Frau vom Mann, es ist der Unterschied zwischen Arm und Reich und den Ungerechtigkeiten, die daraus folgen“, sagt Stefanie Oberhoff. Daran mit ihrer Kunst zu drehen genießt die Stuttgarterin ganz offensichtlich.

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Erstellt:
8. April 2019, 06:07 Uhr

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