Partnerstädtefestival Backnang: Toller Auftakt für ein Wochenende im Zeichen Europas

Mitten in Europa (6) Das Partnerstädtefestival des Bandhaus-Theaters und der Partnerschaftsvereine ist gestern mit dem Theaterstück „Schweres Gepäck“ gestartet. Der Beitrag der Deutschen Bühne Ungarn ist schwer verdaulich und zugleich sehr berührend. Mit einem Blick in die Vergangenheit führt er vor Augen, wie wichtig die Institution Europa ist.

„Schweres Gepäck“ spielt während des Zweiten Weltkriegs und in den frühen Nachkriegsjahren. Es ist als Audiospaziergang angelegt. In Backnang führt dieser unter anderem zum Stiftshof. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

„Schweres Gepäck“ spielt während des Zweiten Weltkriegs und in den frühen Nachkriegsjahren. Es ist als Audiospaziergang angelegt. In Backnang führt dieser unter anderem zum Stiftshof. Foto: Alexander Becher

Von Melanie Maier

Backnang. Die Geschichte scheint sich zu wiederholen. Die Geschichte derjenigen, die aus ihrem Land vertrieben werden, nicht mehr dort leben können, heute wie damals, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Oder ist es in Wirklichkeit nicht doch ganz anders? Sind die traumatischen Erlebnisse und Erfahrungen von Geflüchteten und Heimatvertriebenen am Ende überhaupt nicht miteinander vergleichbar?

Mit dieser bewusst provokanten Frage lässt das Theaterstück „Schweres Gepäck“ der Deutschen Bühne Ungarn die Zuschauer und Zuschauerinnen zurück. Sie allein gibt genug Stoff für eine Anschlussdiskussion und für das weitere Nachdenken darüber, wie wichtig ein friedliches Europa ist. Für die Menschen, die dort leben, aber auch für diejenigen, die neu ankommen, aus Syrien, der Ukraine, Iran oder Eritrea.

Das Theaterstück schlägt einen Bogen von 1941 bis in die Gegenwart

Und damit führt der Auftakt des ersten Partnerstädtefestivals des Backnanger Bandhaus-Theaters und der Partnerschaftsvereine am Freitagvormittag schon direkt ins Thema. In erster Linie geht es in dem Theaterstück zwar um die Vertreibung der Donauschwaben aus Ungarn nach dem Zweiten Weltkrieg. Es beginnt mit der Volkszählung im Jahr 1941 und endet mit der erzwungenen Aussiedlung 1946. Autor Franz Huber und Regisseur Clemens Bechtel schlagen jedoch einen Bogen zur heutigen Situation, die an die vergangene schmerzhaft erinnert. Wer seine Heimat hinter sich lassen muss, kennt Trauer, Trauma und Verlust – ganz gleich, was die Gründe für den Aufbruch sind.

„Wie können wir der jungen Generation diese Geschichte vermitteln?“, das fragte sich Maria-Theresia Mann vom Budaörser Heimatmuseum Bretzfeld bei Heilbronn. Bei einer Veranstaltung des Ungarischen Kulturzentrums Stuttgart 2019 fragte sie das auch Katalin Lotz, die Intendantin der Deutschen Bühne Ungarn. Katalin Lotz war sofort klar, dass das Theater das optimale Medium dafür sein könnte. Und so begann ein zweijähriger Rechercheprozess, bei dem Mann und Lotz Zeitzeugen interviewten, Erinnerungen an die Erlebnisse von Eltern oder Großeltern sammelten, Bücher und Zeitungsartikel lasen. Dokumentarisches Theater nennt man das, was daraus hervorgegangen ist: ein Stück, das die Ereignisse von damals verdichtet. Eine fiktive Familie aus der real existierenden schwäbischen Siedlung Budaörs oder Wudersch steht in „Schweres Gepäck“ exemplarisch für viele Schicksale. Aus verschiedenen Perspektiven erzählt, begleitet die Handlung stets die Frage: Können Täter auch Opfer sein? Von der Propaganda der Deutschen beeinflusst, aber auch aus finanziellen Gründen – „die Deutschen zahlen besser“ – kämpften nicht wenige Donauschwaben im Zweiten Weltkrieg auf der Seite des Deutschen Reichs. Das entzweite zahlreiche Familien.

Schauspieler sind bereits seit Mittwoch in Backnang

Um das vielschichtige Stück in Backnang beim Partnerstädtefestival aufzuführen, sind Katalin Lotz, ihr Ensemble und alle, die daran mitwirken, bereits am Mittwoch aus Ungarn angereist. Mehr als 1000 Kilometer haben sie zurückgelegt aus Szekszárd, wo die Deutsche Bühne Ungarn 1983 gegründet wurde. Länger als einen halben Tag waren sie unterwegs. „Das war bestimmt eine sehr anstrengende Anfahrt, schon allein das hat mich sehr berührt“, sagt Bandhaus-Leiterin Jasmin Meindl nach der Aufführung beim Nachgespräch auf der Bandhaus-Bühne.

Dass die Gruppe überhaupt gekommen ist, liegt maßgeblich an Maria-Theresia Mann. Sie schwärmte Klaus Loderer, dem Vorsitzenden des Paten- und Partnerschaftskomitees Bácsalmás–Backnang, von dem Stück vor. Er wiederum berichtete ihr von dem Partnerstädtefestival. So kam eins zum anderen. Katalin Lotz mussten die zwei nicht lange von einem Auftritt in Backnang überzeugen. „Ich finde es sehr wichtig, dass solche Festivals nicht nur in großen Städten, sondern auch in kleineren Orten wie Backnang stattfinden.“ Die Schauspielerin Perrine Martin fügt hinzu: Gerade in Zeiten, in denen die Institution Europa von vielen Seiten scharf kritisiert oder sogar angegriffen werde, seien solche Geschichten, wie sie in „Schweres Gepäck“ erzählt werden, umso bedeutender. „Das Ziel war es, junge Menschen mit etwas zu konfrontieren, das gar nicht mehr Thema in den deutschen Schulen ist“, erklärt Maria-Theresia Mann.

Die Mitwirkenden des Stücks, sie kennen die Geschichte der Donauschwaben. „Ich bin zwar nicht direkt betroffen, aber wir Ungarn wissen alle darüber Bescheid“, sagt etwa die Schauspielerin Eszter Sipos. Die Frau ihres Onkels ist Ungarndeutsche. „Genau wie die Zuschauerinnen und Zuschauer haben wir viel Mitgefühl und sind betroffen von der Geschichte.“

Über Kopfhörer wird die Geschichteder Donauschwaben erzählt

Besonders nahe geht diese dem Publikum auch aus dem Grund, weil „Schweres Gepäck“ keine klassische Theateraufführung, sondern ein Audiospaziergang ist. Ausgestattet mit Kopfhörern folgen die Zuschauer und Zuschauerinnen dem Ensemble zu den verschiedenen Spielorten. Und vollziehen dabei den unfreiwillig eingeschlagenen Weg der Donauschwaben ein Stück weit auch körperlich nach. Ein dunkler Gewölbekeller im Bandhaus-Gebäude wird beispielsweise zum Waggon einer der Güterzüge, die im Januar 1946 Tausende Menschen in Kälte und auf beengtem Raum von Ungarn nach Deutschland transportierten – weit weg von allem, was sie ihr Leben lang gekannt und geliebt hatten, hinein ins Unbekannte.

„Was ist deine Nationalität? Was deine Muttersprache?“ Dass diese beiden Fragen ihr gesamtes Leben auf den Kopf stellen würden, das hatten die Donauschwaben bei der Volkszählung fünf Jahre zuvor nicht vorhersehen können.

Was zurückbleibt, ist die Frage, warum Menschen sich gegenseitig so etwas antun. „Alle möchten in Frieden und Freiheit leben können“, betont Maria-Theresia Mann. „Das geht jedoch nicht ohne gegenseitigen Respekt und Toleranz.“ Aktuell erscheint es wichtig wie lange nicht, die Verbindungen in Europa wertzuschätzen und zu pflegen. So wie es die Partnerschaftsvereine tun.

Programm Heute um 10 Uhr wird das
Festival offiziell von Backnangs Oberbürgermeister Maximilian Friedrich auf dem Marktplatz eröffnet. Um 11 Uhr geht es mit den Festivalbeiträgen los. Das Theaterstück „Schweres Gepäck“ der Deutschen Bühne Ungarn wird heute um 16 Uhr noch einmal aufgeführt (Dauer: zirka 65 Minuten). Im
Anschluss findet ein Nachgespräch mit dem Autor Franz Huber statt. Der Treffpunkt ist am Eingang des Bandhaus-Theaters. Der Eintritt ist frei, um Spenden wird gebeten. Das gesamte Festivalprogramm ist online einsehbar unter www.mitten-in-europa.de.

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Erstellt:
7. Oktober 2023, 06:00 Uhr

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