Pur in Aspach: Wie ein Klassentreffen mit Schülerband

10000 Fans feiern die Bietigheimer Band in der Aspacher Mechatronik-Arena – Partystimmung und politische Botschaften

Sie bezeichnen sich bis heute als „Schülerband“, denn am Bietigheimer Ellental-Gymnasium nahm die Erfolgsgeschichte ihren Anfang. Wenn Pur nun, mehr als 40 Jahre später, vor 10000 Fans auf der Bühne der Aspacher Mechatronik-Arena stehen, dann hat das auch tatsächlich was von einem Klassentreffen: Alle sind älter geworden, aber sonst ist noch fast alles wie früher.

Show ohne Schnickschnack: Pur verzichten beim Open-Air-Konzert in Aspach auf spektakuläre Effekte und setzen auf ihren reich gefüllten Hit-Fundus. Fotos: A. Becher

© Pressefotografie Alexander Beche

Show ohne Schnickschnack: Pur verzichten beim Open-Air-Konzert in Aspach auf spektakuläre Effekte und setzen auf ihren reich gefüllten Hit-Fundus. Fotos: A. Becher

Von Kornelius Fritz

ASPACH. Der Mann, der da am Rande der Tribüne wie wild herumhüpft, dürfte die 60 bereits überschritten haben, die jungen Mädchen, die sich wenige Meter weiter selig in den Armen liegen, sind noch keine 20. Und dazwischen rennen ein paar Kinder herum und spielen Fangen. Es gibt wohl keine deutsche Band, die ein so generationenübergreifendes Publikum anspricht wie Pur. Kommerziell sind die Bietigheimer mit mehr als zwölf Millionen verkauften Tonträgern eine der erfolgreichsten deutschen Bands. Dabei waren sie selbst zu ihren besten Zeiten in den 1990er-Jahren weder hip noch cool. Nein, die Botschaft von Pur war und ist eine andere: Wir sind wie ihr und ihr gehört alle dazu.

Dieses Gemeinschaftsgefühl ist auch am Samstagabend in der gut gefüllten Mechatronik-Arena zu spüren. Pur leben von ihrer Nahbarkeit, deshalb kommt ihre Show betont schlicht daher. Drei Videowände und ein Lichterkranz, der wie ein überdimensionaler Heiligenschein über der Bühne schwebt, sind die einzigen Gimmicks an diesem Abend. Auf Pyroeffekte und sonstigen Schnickschnack können die Bietigheimer verzichten.

Überpünktlich betritt die um drei Gastmusiker verstärkte Band um kurz vor neun die Bühne. Frontmann Hartmut Engler im rosa Flowerprint-Shirt, mit Weste und zerrissener Jeans wirkt mit 57 Jahren fitter und lässiger als vor 25 Jahren mit der legendären Vokuhila-Frisur.

Pur starten mit zwei Liedern vom neuen Album „Zwischen den Welten“ – gefällige Pop-Nummern nach dem bewährten Erfolgsschema, aber noch muss Engler das Publikum zum Mitklatschen animieren. Das ändert sich aber schnell, als mit „Freunde“ der erste große Hit erklingt: Jetzt springt der Funke über, und der Pur-Sänger kann zum ersten Mal einen Chor aus 10000 Stimmen dirigieren, der an diesem Abend noch viele Einsätze haben wird. Denn in mehr als 30 Bandjahren hat sich ein stattlicher Fundus an mitsingbaren Hits angesammelt. So viele, dass Pur einige davon sogar in einem Medley zusammenfassen muss, um alle in ein Konzert zu packen.

Engler, der Kopf und die Stimme der Band, versteht es, die Klaviatur der großen Gefühle zu spielen. Etwa wenn er für seine verstorbene Mutter „Wenn sie diesen Tango hört“ und den für sie geschriebenen Geburtstagssong „Anni“ singt und dann mit Blick zum Himmel sagt: „Ich weiß, Mama, das gefällt dir.“ Momente, in denen sich Band und Publikum ganz nah sind, die ein Profi wie Engler aber nicht überstrapaziert. „Buben, habt Spaß und genießt das Leben“, habe die Mutter immer gesagt, erzählt er weiter und wechselt nahtlos zurück in den Partymodus.

Pur Konzert

Fotos: Alexander Becher

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Dass die sieben Bandmitglieder allesamt exzellente Musiker sind, ist überflüssig zu erwähnen. Dass sie nach bis zu 40 gemeinsamen Bühnenjahren blind miteinander harmonieren, versteht sich von selbst. Allzu viel Überraschendes bringt der Abend allerdings nicht: Die meisten Live-Interpretationen sind nah dran an den bekannten Studioversionen.

Nur zweimal stoppen Pur ihre bestens geölte Hit-Maschine. Das erste Mal, als Hartmut Engler seinen Bruder Peter auf die Bühne holt – später kommt auch noch seine Schwester Ute dazu. Zusammen mit der Klasse 8b der Waldorfschule Engelberg trägt der pensionierte Lehrer einen selbst getexteten Song gegen den Klimawandel zur Melodie der deutschen Nationalhymne vor: „Liebe Öl- und Stromkonzerne, bitte seht doch endlich ein, nichts ist besser für die Erde als der warme Sonnenschein.“ Eine Schulfestdarbietung, irgendwo zwischen rührend und peinlich, die letztlich aber doch irgendwie zu Pur passt. Wenn die Fans diesen Abend mit ihrer ganzen Familie feiern, warum soll es nicht auch der Frontmann auf der Bühne tun?

Plädoyer für Toleranz und gegen Populismus

Der zweite bemerkenswerte Auftritt folgt gegen Ende des Konzerts, als plötzlich grelle Blitze die Bühne erleuchten und Engler in einer finsteren Uniform mit langem schwarzen Ledermantel und dunkler Sonnenbrille die Bühne betritt. „Ich leb in vielen Herzen, fest verankert im Zorn“, singt er mit diabolischer Stimme zu harten Gitarrenriffs. „Bis der Wind sich dreht“ heißt das Plädoyer gegen Populismus und rechtes Gedankengut, es folgt „Neue Brücken“, eine Hymne für Toleranz und Menschlichkeit. „Beide Lieder sind mehr als 25 Jahre alt. Wir hatten gehofft, dass wir sie gar nicht mehr spielen müssen“, sagt Engler. Leider sei es nötiger denn je. Ein unüberhörbares politisches Signal einer Band, der es zu wenig ist, ihren Fans einen unbeschwerten Abend zu bescheren.

Zeit für Party und gute Laune bleibt anschließend aber noch genug: „Abenteuerland“, „Funkelperlenaugen“, „Lena“ – es folgt ein Hit-Feuerwerk, wie es außer Pur nur ganz wenige deutsche Musiker abbrennen können. Erst nach sechs Zugaben und zweieinhalb Stunden gehen die sieben Musiker von der Bühne. Wer aus einem Pur-Konzert herauskomme, fühle sich zwei Wochen lang „positiv energetisch aufgeladen“, hat Hartmut Engler kürzlich in einem Interview gesagt. Da könnte was dran sein.

Familientreffen auf der Bühne: Pur-Sänger Hartmut Engler (rechts) begrüßt seinen Bruder Peter, der zusammen mit Schülern ein Lied gegen den Klimawandel vorträgt.

© Pressefotografie Alexander Beche

Familientreffen auf der Bühne: Pur-Sänger Hartmut Engler (rechts) begrüßt seinen Bruder Peter, der zusammen mit Schülern ein Lied gegen den Klimawandel vorträgt.

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Erstellt:
14. Juli 2019, 20:28 Uhr

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