Rockband Geddess: eine Art musikalische Selbsthilfegruppe

Bands von hier Die Rockband Geddess spielt Coversongs und eigene Lieder. Sie gehört zu den musikalischen Urgesteinen Backnangs. Die vier Mitglieder sehen sich als selbst gewählte Familie. Sie haben bereits viele Höhen und Tiefen miteinander überstanden.

Die Band nimmt sich selbst nicht zu ernst. So posieren Rio Grau, Marina Heidrich, Steff Niebel und Wolfgang Baues (von links nach rechts) auf den offiziellen Bandfotos seit Jahren selbstironisch vor demselben bearbeiteten Hintergrund: einem ausverkauften Stadion. Foto: privat

Die Band nimmt sich selbst nicht zu ernst. So posieren Rio Grau, Marina Heidrich, Steff Niebel und Wolfgang Baues (von links nach rechts) auf den offiziellen Bandfotos seit Jahren selbstironisch vor demselben bearbeiteten Hintergrund: einem ausverkauften Stadion. Foto: privat

Von Melanie Maier

Backnang. Für die vier Bandmitglieder ist Geddess nicht einfach eine Musikgruppe. Sondern viel mehr. „Wir betrachten uns selbst quasi als musikalische Selbsthilfegruppe“, sagt Frontfrau Marina Heidrich und zwinkert. Sie sitzt entspannt auf dem Sofa in ihrem Wohnzimmer, nimmt ab und zu einen Schluck aus ihrer Kaffeetasse und erzählt die Geschichte ihrer Band, ihrer selbst gewählten Familie. Denn als solche nehmen die vier Mitglieder sich selbst wahr – sie haben schon sehr viele Höhen und Tiefen miteinander überstanden.

Vor genau 20 Jahren gründeten Marina Heidrich und Schlagzeuger Rio Grau die Band, die zu Recht als eins der musikalischen Urgesteine in Backnang gilt. Doch schon vor Geddess machten die beiden zusammen Musik, in der Band Wishing Well, insgesamt seit mittlerweile 28 Jahren. Geddess entstand 2002. Und wie es sich für eine Band fast schon gehört, die seit dermaßen langer Zeit miteinander Musik macht, hat sich die Besetzung in den vergangenen Jahrzehnten auch mal geändert. Gitarrist und Sänger Wolfgang Baues und Bassist Steff Niebel sind bis heute mit dabei. Als Gastsängerin stand auch schon Annegret Eppler vom Backnanger Kino Universum vor dem Mikrofon. Sie singt mit Heidrich auch in der 1920er-Jahre-Formation Three Kiwis – One Banana. Marcus Burkhardt, zweiter Gitarrist, stieg 2021 aus. Er widmet sich seither seinem Comedyprojekt „Zucker für die Ohren“ in Karlsruhe.

Die Hälfte der Songs sind Eigenkreationen

Was die Musik betrifft, so kann man Geddess getrost im klassischen Rockgenre verorten. Ungefähr die Hälfte der Lieder, die Geddess spielen, besteht aus Eigenkreationen, die andere Hälfte aus Coversongs – vor allem von Bands wie Deep Purple, Iron Maiden und den Ramones. Heidrichs tiefe, rockige Stimme sorgt für den nötigen Aufschlag. Worauf sie Wert legt: „Wir haben nie einfach nur Songs nachgespielt, wir haben Geddess-Versionen daraus gemacht.“ Das „Geddess-Programm“ gebe es in zwei Versionen, sagt sie: eine für große und eine für kleine Auftritte. „Wir hatten Spaß ohne Ende am Umbasteln. Wir haben Balladen aus den Songs gemacht.“ Statt Schlagzeug spielt Rio Grau dann etwa Cajón.

Doch nicht nur auf Konzertbühnen und in Proberäumen haben die Bandmitglieder schon viel Zeit miteinander verbracht, sondern auch privat. „Familie ist nicht nur eine Sache des Blutes“, sagt Heidrich. „Es geht darum, welche Menschen man in sein Herz lässt.“ Die vier Bandmitglieder seien stets füreinander da, auch – oder gerade – in schwierigen Zeiten. Von denen gab es in den vergangenen zwei Jahrzehnten einige.

Marina Heidrich bei einem Geddess-Auftritt im Mai 2009. Archivfoto: Edgar Layher

© © Edgar Layher

Marina Heidrich bei einem Geddess-Auftritt im Mai 2009. Archivfoto: Edgar Layher

Heidrich hat auch schon einen Roman über ihre Band geschrieben: „Go!Dessia – Das Möhrchenmassaker“ erschien 2018 im Leseratten-Verlag. In dem Buch lässt sie die Geddess-Besetzung als uralte Gottheiten verhindern, dass eine Terrororganisation ihr Unwesen treiben kann.

Ihre Musikalität hat die Sängerin aus Murrhardt, die auch Gitarre und Ukulele spielt, quasi in die Wiege gelegt bekommen. Ihr Vater spielte Gitarre, in den 70er-Jahren musizierte er häufig zusammen mit einem Schlagzeuger. Er war einer der ersten italienischen Gastarbeiter, die in den 60er-Jahren nach Deutschland kamen. „Etruskische Lebensfreude prallte auf die Vernunft einer schwäbischen Hausfrau – diese beiden Gene haben in mir zueinandergefunden“, beschreibt sie die Verbindung ihrer Eltern.

Ihren drei Jahre jüngeren Bruder Marino und sie nahm der Vater regelmäßig zu Auftritten mit, ab und zu standen sie mit ihm auf der Bühne. „Ich glaube, das Schlimmste wäre für ihn gewesen, wenn einer von uns nicht musikalisch gewesen wäre“, vermutet sie. Schon als Sechsjährige war die kleine Marina B.-B.-King-Fan und trällerte Puccini-Opern. Mit dem Gitarrespielen begann sie mit acht Jahren, angeleitet von ihrem Vater. „Er hat mir die Akkorde gezeigt“, sagt sie. Mit elf Jahren stand sie dann zum ersten Mal ohne den Vater auf der Bühne, im Gemeindezentrum in Murrhardt, als Teil einer Girlgroup mit zwei weiteren Mädchen. Mit 17 Jahren gehörte Marina Heidrich der Punkband Infrarot an. „Es war ganz schön schwierig, grüne Strähnen in mein naturschwarzes Haar zu kriegen“, sagt sie und grinst verschmitzt.

1982 landete die Rockröhre aus Murrhardt in der Backnanger Musikszene

In den Jahren 1977/78 gründete die Familie sogar eine eigene Band: Melody Family, mit dem Vater und Marina an der Gitarre, ihrem Bruder Marino an den Drums und der Mutter am Schellenring. „Mein Vater hat als Maurer gearbeitet, für ihn war die Musik ein Ventil“, sagt Marina. „Für mich war das ein Normalzustand.“

Danach folgte jedoch eine schwierige Zeit. Kurz vor dem Abitur erkrankte sie an Tuberkulose. Sechs Monate verbrachte sie in einer Lungenklinik im Allgäu. „Ich hatte solche Angst, dass ich nicht mehr singen könnte“, erinnert sich Heidrich. Sie war mehr als erleichtert, als sie merkte: Es geht noch. „Und mein Lungenarzt meinte, Singen sei die beste Therapie, die es gibt. So bin ich zum Hardrock gekommen.“

1982 landete die Rockröhre aus Murrhardt in der Backnanger Musikszene. „Die Murrhardter und Backnanger Musikszene haben sich damals komplett unterstützt“, schildert sie. Mit Backnanger Musikern gründeten sie und ihr Bruder Marino Sozzi 1983 die Band Marnie (an der Gitarre Wolfgang Reischl, am Bass Arno Bührer, an den Drums Hans Lang). „Ich war 22 Jahre alt und wollte schon damals mehr sein als nur die dekorative Fronttussi. Ich weigerte mich daher standhaft, Songs zu singen, die im Original von Frauen sind. Meine Idole hießen Ronnie James Dio, Iron Maiden, die Sex Pistols, Saxon und Deep Purple. So wollte ich klingen“, erzählt sie. In den 1980ern sei es noch keine gängige Praxis gewesen, dass Frauen Hardrock singen.

Der erste Proberaum von Marnie war übrigens in Schöntal bei Wolfgang Baues, der damals bei Dr. Trollinger und Roxengin mitspielte. Nach einem Jahr und vielen Auftritten stieg Heidrichs Bruder aus und gründete die reine Metalformation Late Night Romeo. Dafür stieg Thomas Grollmus ein, der später mit der Folk-Rock-Polka-Band HISS deutschlandweit bekannt wurde. Bis 1995 blieben Marnie zusammen.

Von Anfang an war es der Band wichtig, andere zu unterstützen

Im Jahr darauf holte Wishing Well Heidrich an Bord, mit Markus Stricker (Gesang und Keyboards, heute bei Wendrsonn), Rio Grau (Drums), Arno Bührer (Bass, war früher auch bei Marnie), Patty Sozzi (Gesang und Percussions) und Marino Sozzi (Gitarre). „Im Mai 2000 brannte unser Proberaum in der Gartenstraße in Backnang komplett ab. Und nichts war versichert. Das war das Ende von Wishing Well“, erklärt Heidrich. Dieses Jahr hat die Sängerin, die ihren Brotberuf in der Geschäftsstelle der TSG 1846 Backnang hat, ihr 50. Bühnenjubiläum gefeiert. Am 9. Juli ist sie 61 Jahre alt geworden.

Vor drei Jahren hat Geddess ihren ersten deutschen Song herausgebracht: „Kopf brennt“ heißt er. Den Anfang dafür schuf Steff Niebel. Ihm sei ein Bassriff nicht mehr aus dem Kopf gegangen, sagte der Bassist bei einer Probe. „Alle haben intuitiv mitgespielt“, erzählt Marina. Sie schrieb den Text. Was Geddess von Anfang an wichtig war: andere zu unterstützen. Gerne lässt die Band junge Musiker als Vorband spielen. Einmal im Jahr veranstaltet sie ein Benefizkonzert, das etwa Opfern von Naturkatastrophen zugutekommt. In der Pandemie war das natürlich nicht möglich, doch diese Tradition möchten Heidrich und ihre Bandkollegen 2023 wieder aufleben lassen. „Uns geht’s zum Glück allen so gut, wir wollen etwas zurückgeben“, betont die Frontfrau.

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Erstellt:
2. Dezember 2022, 11:30 Uhr

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