„Young Mungo“: Roman von Douglas Stuart

Schwule West Side Story

Inszeniert wie eine große Oper: Douglas Stuart setzt nach seinem Debütroman „Shuggie Bain“ nun mit „Young Mungo“ die Chronik seiner Heimatstadt fort.

Der Schotte Douglas Stuart

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Der Schotte Douglas Stuart

Von Rolf Spinnler

Wenn ein Autor mit seinem Debüt einen großen Erfolg hatte, sind die Erwartungen an den zweiten Roman besonders groß. Er hat zwei Möglichkeiten: entweder er versucht thematisch wie stilistisch an sein Erfolgsrezept anzuknüpfen, oder er wagt etwas ganz Neues. Der Schotte Douglas Stuart, dessen Erstling „Shuggie Bain“ 2020 mit dem renommierten Booker Prize ausgezeichnet wurde, hat sich in „Young Mungo“ für die erste Option entschieden.

Das Buch spielt wie sein Vorgänger im rauen Working Class Milieu des Glasgower East End, auch die Familienkonstellation mit einem queeren jungen Helden, einer alkoholsüchtigen alleinerziehenden Mutter und zwei älteren Geschwistern kommt einem aus dem Debütroman bekannt vor. Dort hatten wir Shuggie Bain, der übrigens in „Young Mungo“ – wie man im Kino sagen würde – einen Cameo-Auftritt hat, Anfang der 1990er Jahre nach dem Tod seiner Mutter im Alter von sechszehn Jahren verlassen. Premierministerin Margaret Thatcher ist inzwischen abgetreten, aber die Folgen ihrer Politik sind in den kaputten Familien der Sozialwohnungen im Glasgower Osten noch immer zu spüren. Die jungen Männer wie etwa Mungos großer Bruder Hamish sind arbeitslos, versorgen als Kleindealer die Mittelklassekids im Glasgower Westen mit Drogen, schwängern ihre minderjährigen Freundinnen und profilieren sich als Gangleader entweder bei den protestantischen Proddy-Boys oder den katholischen Feniern.

Ob das ein gute Ende nimmt?

In dieser Umgebung eines harten Machismo wirkt der knapp sechzehnjährige Mungo, der, obwohl protestantisch, nach Glasgows katholischem Stadtheiligen benannt ist, wie ein Exot. Er ist hübsch, und „in seinem Wesen lag eine Sanftheit, die die Mädchen entspannte; sie wollten ihn zum Haustier machen. Doch genau dieses Zarte war es, das anderen Jungs unangenehm war“. Mungo, so beschließt seine Familie, soll endlich erwachsen, ein richtiger Mann werden. In zwei sich einander ablösenden Erzählsträngen erfahren wir, dass dieser Plan nicht aufgehen kann.

Mit zwei Männern, dubiosen Gestalten, die Mungos Mutter bei den Anonymen Alkoholikern kennengelernt hat, wird er zur Abhärtung für ein verlängertes Wochenende auf einen Outdoor-Trip in die schottischen Highlands geschickt. In Rückblenden erfahren wir, dass sich Mungo in den Monaten zuvor mit James, einem katholischen Jungen aus der Nachbarschaft, angefreundet und schließlich in ihn verliebt hat. Beide Erzählstränge, so viel kann man verraten, nehmen kein gutes Ende.

Douglas Stuart, so hat es nach seinen beiden Romanen den Anschein, möchte so etwas wie der Balzac des Glasgower East End werden. Sein Erzählstil läuft aber nicht auf das hinaus, was manche Kritiker „Armutspornografie“ nennen würden – ganz im Gegenteil. Er inszeniert seine Geschichten vielmehr im Stil der Melodramen von Douglas Sirk: als große Oper, eine Art Glasgower „East Side Story“, wo mitten in den brutalen Revierkämpfen zwischen Proddies und Feniern die schüchterne schwule Liebe zwischen Mungo und James aufblüht, auch wenn das manchmal etwas überorchestriert wirkt und bisweilen den Kitsch streift.

Douglas Stuart: Young Mungo. Roman. Aus dem Englischen von Sophie Zeitz. Hanser Berlin, 416 Seiten, 26 Euro.

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Erstellt:
8. März 2023, 15:14 Uhr

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