Stiftskirche zeigt einen Backnanger Kreuzweg

Über 20 Jahre ruhte der Bilderzyklus „Der Kreuzweg“ des aus Backnang stammenden Künstlers Günter Wolf in einem Schrank in der oberen Sakristei der Stiftskirche. Pfarrerin Sabine Goller-Braun hat ihn nun zutage gefördert. In der Karwoche wird er im Chor der Kirche zu sehen sein.

Die 14 Bilder des Zyklus „Der Kreuzweg“ werden in der Karwoche im Chor der Stiftskirche zu sehen sein. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Die 14 Bilder des Zyklus „Der Kreuzweg“ werden in der Karwoche im Chor der Stiftskirche zu sehen sein. Foto: Alexander Becher

Von Kai Wieland

Backnang. Die Straße Ölberg unterhalb der Backnanger Stiftskirche trägt ihren religiös anmutenden Namen nicht ohne Grund: Einst soll sich an diesem Hang nämlich ein Kreuzweg befunden haben. Der Ölberg stellt im christlichen Glauben ein wichtiges Motiv dar: Im dortigen Garten Getsemani wurde Jesus laut Matthäusevangelium gefangen genommen. Den Leidensweg Jesu Christi, vom Ölberg bis hinauf auf den Hügel Golgota zum Ort der Kreuzigung gehen Gläubige und Pilger auf sogenannten Kreuzwegen symbolisch nach und beten an den einzelnen Stationen.

Jener Backnanger Kreuzweg, sofern es ihn gegeben hat, ist längst verschwunden. Stattdessen sind am Ölberg heute die Kunstwerke auf dem Weg der Besinnung, welcher 1988 von der Backnanger Künstlergruppe und dem Heimat- und Kunstverein am Ölberg ins Leben gerufen wurde, zu bestaunen. Die seit jeher enge Verbindung zwischen Religion und Kunst ist in Backnang also mitten ins Stadtbild geschrieben.

Ein später Fund und eine lange Suche

Auch Sabine Goller-Braun, Pfarrerin in der Backnanger Stiftskirche, hegt große Wertschätzung für die fruchtbare Vereinigung von Glaube und Kunst und baut sie gerne in ihre Arbeit ein. Für die diesjährigen Passionsandachten, welche sie kurz vor ihrer bevorstehenden Verabschiedung zum letzten Mal halten wird, hat sie sich daher etwas ganz Besonderes einfallen lassen: Eine tragende Rolle wird bei den Gottesdiensten der Bilderzyklus „Der Kreuzweg“ spielen, eine Schenkung des in Backnang aufgewachsenen Künstlers Günter Wolf. Wie es zu diesem Arrangement kam, ist eine ungewöhnliche Geschichte, denn der Maler lebt seit Jahrzehnten nicht mehr in der Gerberstadt, sondern in einer der größten Kunststädte der Welt: Venedig.

Stiftskirche zeigt einen Backnanger Kreuzweg

© Privat

Dabei ist der Bilderzyklus keineswegs ein Neuzugang, sondern vielmehr eine Wiederentdeckung. Er wurde im März 2002 schon einmal in der Stiftskirche ausgestellt und schlummerte seitdem in einem Schrank in der oberen Sakristei. „Der vorige Mesner hat mir bei seinem Abschied von einem Kreuzweg erzählt, der hier in der Kirche aufbewahrt wird, aber als die heutige Mesnerin Birgit Bopp und ich ihn uns endlich ansehen wollten, mussten wir uns erst einmal auf die Suche machen“, erzählt Sabine Goller-Braun. Als sie dann Bild für Bild zu Tage förderten und die Begeisterung mit jedem weiteren Kunstwerk wuchs, kam ihr bereits der Gedanke, die Gemälde für die Passionsandachten zu nutzen. „Diesen Emotionen kann man sich nicht entziehen“, schwärmt die Pfarrerin. „Eine solche bildliche Darstellung des Kreuzwegs ist in der evangelischen Kirche ja nicht so häufig, bei uns hat man eher Passionsmusiken wie etwa die Bach-Choräle.“

Den Kontakt zum Künstler herzustellen erwies sich indessen als nicht so einfach. Nach einer längeren Recherche bei mehreren Kulturschaffenden und deren Nachfahren konnte Sabine Goller-Braun zu guter Letzt eine italienische Telefonnummer ergattern. Günter Wolf, der kurz zuvor seinen 80. Geburtstag gefeiert hatte, freute sich über die Nachricht aus der alten Heimat und vor allem darüber, dass sein Bilderzyklus dort noch einmal zu sehen sein wird.

„Ich wurde in der Stiftskirche konfirmiert“, erzählt Günter Wolf, der in Backnang aufgewachsen und zur Schule gegangen ist und noch immer Familie im Aspacher Weiler Fürstenhof hat. An die erste Ausstellung kann er sich noch gut erinnern. Nach dem Tod der Eltern habe er sich allmählich aus Backnang abgeseilt, aber unter anderem noch eine Ausstellung im Helferhaus und eben die besagte Ausstellung des „Kreuzwegs“ in der Stiftskirche gehabt, der dann auch als Schenkung in Kirchenbesitz überging. Gelebt hat er zu diesem Zeitpunkt bereits in Italien, was die italienischen Titel auf den Rückseiten der einzelnen Gemälde erklärt. „Die Bilder waren eigentlich für ein Schwesternkonvent in Chioggia gedacht“, verrät Günter Wolf. Für dieses habe er dann stattdessen einen anderen Zyklus angefertigt, insgesamt sei er damit rund zwei Jahre beschäftigt gewesen. Überhaupt hat der Maler jahrelang für Kirchen in Venedig gearbeitet, wo auch viele seiner Werke hängen. Aktuell befasst er sich mit Illustrationen für Bücher und schreibt auch selbst eines über die Visionen von Christus.

Spiel mit Licht und Schatten

Der Kreuzweg erzählt in 14 Stationen den Leidensweg Jesu Christi nach, von der Verurteilung zum Tode über die Schwächeanfälle (Stationen drei, sieben und neun) und die Kreuzigung (Station zwölf) bis hin zur Darstellung des Leibes Jesu in der Grabkapelle – eines der Motive, welches Sabine Goller-Braun besonders fasziniert, weil darin eine Deutung des Künstlers steckt: „In der Kreuzigungsgeschichte selbst ist keine Grabkapelle erwähnt.“

Prägnant treten in den Gemälden die Gesichtszüge Jesu Christi hervor, sein Leiden und das seiner Anhänger spiegelt sich in tiefen Gräben, doch auch seine Duldsamkeit wird darin offenbar. Kräftige Farben, die zwischen beinahe infernalisch anmutenden Rot- und kühlen Blautönen changieren, bauen eine eindrückliche Atmosphäre auf, welche den Betrachter nicht so schnell wieder loslässt. „Mich begeistert dieses Spiel mit Licht und Schatten“, sagt Sabine Goller-Braun. „Je öfter ich die Bilder anschaue, desto mehr ziehen sie mich in ihren Bann.“

Die 14 Stationen des „Kreuzwegs“ werden von einem weiteren Bild in größerem Format ergänzt: der Auferstehung. Gegenüber den Bildern des „Kreuzwegs“ erscheint es abstrakt: „Die Auferstehung ist schwerer fassbar als das Leiden und das spiegelt sich auch in dem Bild“, erklärt die Pfarrerin. Die volle Wirkung entfalteten die Gemälde vor allem dann, wenn man sich Zeit mit ihnen lasse. Deshalb freut es Sabine Goller-Braun auch besonders, dass die Menschen in der Karwoche tagsüber die Gelegenheit haben, die Bilder in Ruhe auf sich wirken zu lassen.

In den Passionsandachten werden zudem jeweils Bilder zusammen mit entsprechenden Texten aus der Bibel und Musik näher betrachtet. An Ostern soll dann das Auferstehungsbild seinen großen Auftritt haben.

Foto: Alexander Becher Foto: privat Ausstellung Die Stiftskirche ist kommende Woche täglich von 10 bis 16 Uhr geöffnet, der Bilderzyklus wird im Chor ausgestellt. Die Passionsandachten finden von Montag bis Mittwoch jeweils um 19 Uhr statt.
Günter Wolf

Leben Günter Wolf wurde 1943 in Stuttgart geboren, aufgewachsen ist er in Backnang. Seit 1986 lebt er als freier Maler in Venedig.

Lehre Nach dem Abitur in Backnang und einem Studium der Theaterwissenschaft sowie dem Besuch der Schauspielschule Krauss in Wien ab 1973 arbeitete Wolf als Schauspieler, Regieassistent und Bühnenbildner. Ab 1982 studierte er Kunst und Deutsch an der PH Ludwigsburg.

Werk Zu den bedeutendsten Werken von Günter Wolf gehören neben dem „Kreuzweg“ „Joseph und seiner Brüder“ und „Faust“. Er hatte Ausstellungen in Deutschland, Rumänien, Italien und Südafrika.

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Erstellt:
31. März 2023, 16:00 Uhr

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