Unterwegs zu Niemandsorten

Der Backnanger Kai Wieland legt seinen zweiten Roman vor. Titel: „Zeit der Wildschweine“. Sein Erstlingswerk „Amerika“ wurde mit dem Thaddäus-Troll-Preis ausgezeichnet.

Im neuen Roman von Kai Wieland gibt es zwei Handlungsstränge, in die ein Reisejournalist verwoben ist. Foto: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

Im neuen Roman von Kai Wieland gibt es zwei Handlungsstränge, in die ein Reisejournalist verwoben ist. Foto: J. Fiedler

Von Claudia Ackermann

BACKNANG. Spannende Fragen werden im zweiten Roman des 31-jährigen Autors aufgeworfen. Wer bildet die Wirklichkeit besser ab, der schreibende Journalist oder der Fotograf? Im Roman „Zeit der Wildschweine“ geht es um den Reisejournalisten Leon, der für eine Reportage „Lost places“ in Frankreich erkunden will. An diesen „Niemandsorten“, wie sie vom Autor auch bezeichnet werden, haben früher Menschen gelebt oder gearbeitet. Dann wurden sie aus irgendwelchen Gründen verlassen und vergessen.

Beim Kampfsport lernt Leon den Fotografen Janko kennen. Der Reisejournalist ist ein Mensch, der sein eigenes, fragiles Selbstbild gerne an Vorbildern aus Filmen oder der Literatur ausrichtet, beschreibt Kai Wieland seinen Protagonisten. Janko erinnert Leon an eine Filmfigur, und er ist sofort von dem Fotografen fasziniert. Er beschließt, ihn auf seine Reise nach Frankreich mitzunehmen.

In dem Roman gibt es zwei Handlungsstränge, so der Autor. Zum einen geht es um das Verhältnis zwischen dem Journalisten und dem Fotografen, das sich immer mehr zu einer Rivalität entwickelt. Die Kamera kann Bilder schnell und präzise einfangen. Beim Schreiben stehen gewisse Freiheiten zur Verfügung. Ein Machtkampf entsteht um die Frage, wer die Orte besser einfangen kann. Realität und Fiktion beginnen sich im Roman immer mehr zu vermischen. Der andere Handlungsstrang ist mit der Familiengeschichte des Reisejournalisten verwoben. Zu seinem Vater hat Leon ein distanziertes Verhältnis. Die Mutter hat vor einigen Jahren Suizid begangen. Auch mit dem bodenständigen Lebensmodell seiner Schwester, die zweifache Mutter ist, tut sich Leon schwer. Als er das Haus seines Vaters übernimmt, wird er immer wieder mit der Vergangenheit konfrontiert. In den beiden Strängen spiegelt sich die Zerrissenheit zwischen Heimat und dem Streben in die Ferne, erläutert der Autor. Und es geht auch um die Frage: Wie hoch ist der Preis für ein Leben ohne Verpflichtungen?

Die Niemandsorte im Roman sind fiktiv. So gelangen die beiden Reisenden etwa in eine Ortschaft nahe der nordfranzösischen Stadt Dünkirchen. Aufgrund einer Hafenerweiterung mussten alle Bewohner den Ort aufgeben und wegziehen. Der geplante Bau wurde zwar nie ausgeführt, aber die Ortschaft blieb unbewohnt. Eigene Erlebnisse lässt Kai Wieland einfließen. So hat er auf einer Reise nach Frankreich Dünkirchen selbst besucht. Dort fanden gerade Dreharbeiten für den Kriegsfilm „Dunkirk“ statt, blickt er zurück. Seine Beobachtungen am Filmset hat der Autor in seinen Roman einfließen lassen.

Kai Wieland wurde 1989 in Backnang geboren und ist in Allmersbach im Tal aufgewachsen. Nach seiner Schulzeit am Bildungszentrum Weissacher Tal machte er zunächst eine Ausbildung zum Medienkaufmann und studierte anschließend Buchwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Heute lebt er in Backnang-Maubach und arbeitet in einem Verlagsbüro in Stuttgart.

Für sein Erstlingswerk „Amerika“, das 2018 erschienen ist, war der Autor längere Zeit auf Verlagssuche. Schließlich reichte er das Manuskript beim Blogbuster-Wettbewerb ein, bei dem der Preis der Literaturblogger vergeben wird. Teilnehmen können Autoren mit einem Manuskript nur dann, wenn dieses noch nicht in einem Verlag als Printausgabe erschienen ist. Kai Wieland kam unter die Finalisten. Obwohl er nicht den ersten Platz belegte, wurde sein Debütroman beim Klett-Cotta-Verlag veröffentlicht. Tom Kraushaar, der verlegerische Geschäftsführer des Verlags, saß mit in der Jury. Genauso wie der Literaturkritiker Denis Scheck, der Wieland einen eigenen Ton attestierte, „eine eigene Weltsicht, ein schwäbischer William Faulkner, der zur Entdeckung einlädt“.

Der Roman „Amerika“ wurde erfolgreich. In ihm geht es um den Widerspruch zwischen persönlichen Erinnerungen und Geschichtsschreibung, verpackt in die Geschichte der Bewohner des fiktiven Dorfes Rillingsbach. Im Erscheinungsjahr erhielt Wieland für den Roman den Thaddäus-Troll-Preis, der mit 10000 Euro dotiert ist. Er wird an „jüngere, qualifizierte, aber noch wenig bekannte Autoren“ vergeben. 2019 war Wieland daraufhin Mitglied der Jury des Förderkreises, die über das Jahr Stipendien vergibt und den neuen Thaddäus-Troll-Preisträger kürt.

Beim Klett-Cotta-Verlag erscheint am 25. Juli sein zweiter Roman „Zeit der Wildschweine“. Premierenlesung ist am 22. Juli in der Stadtbibliothek Stuttgart. Eine Online-Anmeldung ist erforderlich, da coronabedingt nur eine begrenzte Anzahl an Besuchern eingelassen wird.

Kai Wieland: „Zeit der Wildschweine“. Klett-Cotta-Verlag. 271 Seiten. ISBN: 978-3608982251. Gebundene Ausgabe. 20 Euro.

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Erstellt:
17. Juli 2020, 06:00 Uhr

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