80 Jahre: Ein Blick auf Alice Schwarzer und ihr Wirken

Die Feministin und Publizistin Alice Schwarzer feiert heute ihren 80. Geburtstag. Wir haben Jutta Rieger-Ehrmann, Vorsitzende des Frauenforums Backnang, und Juliana Eusebi, Gemeinderätin in Backnang, nach ihrer Meinung zu der viel kritisierten Ikone der Frauenbewegung gefragt.

In der Talkshow Maischberger hat sich Schwarzer am 29. November zum Ukrainekrieg geäußert. Foto: © Superbass / CC-BY-SA-4.0 (via Wikimedia Commons)

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In der Talkshow Maischberger hat sich Schwarzer am 29. November zum Ukrainekrieg geäußert. Foto: © Superbass / CC-BY-SA-4.0 (via Wikimedia Commons)

Von Melanie Maier

Backnang. Umstritten ist wohl das erste Wort, das einem heutzutage einfällt, wenn man an Alice Schwarzer denkt. In den vergangenen Jahren hat die wohl bekannteste Figur der Frauenbewegung in Deutschland vor allem mit Thesen auf sich aufmerksam gemacht, die polarisiert haben.

Besonders drei Themen stechen heraus: der Krieg in der Ukraine (in einem offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz warnten Schwarzer und andere Prominente im Frühjahr vor der Lieferung schwerer Waffen an das Land), das Kopftuch beziehungsweise die Verschleierung (das Kopftuch, sagt sie, sei die „Flagge des Islamismus“) und die Transsexualität. In ihrem im März erschienenen Buch „Transsexualität: Was ist eine Frau? Was ist ein Mann? – Eine Streitschrift“ vertritt Schwarzer unter anderem die Meinung, es gebe nur wenige echt transidentische Menschen. Dass sich vermehrt Personen als transsexuell identifizieren, interpretiert sie als eine Art Modeerscheinung. Jugendliche, so befürchtet sie, könnten sich bei einer Änderung des Selbstbestimmungsgesetzes einer geschlechtsangleichenden Operation unterziehen, die sie später bereuen würden. Aussagen, mit der Schwarzer viel Kritik auf sich gezogen hat.

Seit den 70ern setzt sie sich für die Gleichberechtigung ein

Gleichzeitig steht Alice Schwarzer wie kaum eine andere für die Frauenbewegung in Deutschland. Seit den 70er-Jahren setzt sie sich vehement für die Gleichstellung und das Selbstbestimmungsrecht von Frauen ein. Nach dem Vorbild französischer Frauen veranlasste sie 1971 den „Stern“-Artikel „Wir haben abgetrieben“, in dem 374 teilweise prominente Frauen öffentlich angaben, selbst abgetrieben zu haben.

Der Text führte zu einer breit angelegten Kampagne gegen den Paragrafen 218 (Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs). Er wird als Anfangspunkt der Neuen Frauenbewegung in Deutschland angesehen.

Wegen ihres Engagements schlug Schwarzer zeitweise viel Hass entgegen. Mittlerweile wird sie vermutlich nicht nur wegen ihres Geschlechts, sondern auch aufgrund ihres Alters angegriffen. Anlässlich ihres heutigen 80. Geburtstags haben wir zwei Frauen aus Backnang gefragt, was sie von Schwarzer halten und wie sie sich auf ihr Leben ausgewirkt hat.

Jutta Rieger-Ehrmann Schwarzer habe teilweise einen tiefgreifenden Einfluss auf ihr Leben gehabt, sagt die Vorsitzende des Frauenforums Backnang, Jutta Rieger-Ehrmann. „Die Frauenbewegung hat mich stark geprägt“, sagt die 66-Jährige. Wie es in den 60ern und 70ern um die Gleichberechtigung stand, könne man sich heute gar nicht mehr vorstellen, erklärt sie. „Frauen durften noch nicht ohne die Erlaubnis ihres Ehemannes arbeiten. Man konnte schon von Unterdrückung sprechen.“ Rieger-Ehrmann sieht Schwarzer als mutige Vorkämpferin, die viel für die Frauenbewegung getan habe. „Sie war zeitweise die meistgehasste Frau Deutschlands“, betont sie. „Es ist bewundernswert, dass sie trotz allem nicht aufgegeben hat und noch immer nicht aufgibt.“ Schwarzers 1977 gegründete Zeitschrift Emma gebe es bis heute. „Was es allerdings ebenfalls noch gibt, sind der Paragraf 218, Prostitution, Pornografie, sexualisierte Gewalt und Ungerechtigkeit zwischen den Geschlechtern. Es bleibt noch viel zu tun.“

80 Jahre: Ein Blick auf Alice Schwarzer und ihr Wirken

© Express Photo Martin Korb-Cornel

Die Kritik an Schwarzer kann Rieger-Ehrmann teils nachvollziehen. Gleichzeitig findet sie es wichtig, dass es – zum Beispiel bezüglich ihres neuesten Buchs – „auch so eine Meinung als Gegenpol gibt.“ Alice Schwarzer solle deshalb nicht gleich als transphob abgestempelt werden, fordert Rieger-Ehrmann. Die Fragestellungen seien jedoch komplexer geworden, gibt sie zu bedenken. Aufgrund der Digitalisierung, aber auch, weil ein anderes Bewusstsein in der Gesellschaft herrsche. „Vielleicht sollten jüngere Frauen mehr übernehmen“, regt sie an. Schwarzers Verdienste weiß sie dennoch zu schätzen. Das Wissen, dass hinter dem Gefühl des diffusen Unbehagens, das sie als Mädchen und junge Frau verspürte, wenn Männer sie nicht als ihresgleichen behandelten, kein individuelles, sondern ein strukturelles Problem steckte, habe sie der Frauenbewegung zu verdanken.

Juliana Eusebi Zum ersten Mal erfuhr Juliana Eusebi in einem Raptext von Alice Schwarzer. „Ich höre relativ viel Hip-Hop“, so die Backnanger Gemeinderätin (Grüne). „Ich wusste, dass sie eine sehr polarisierende und faszinierende Frau ist.“ Schwarzer sei generationsübergreifend ein Begriff.

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© Gaby Schneider

Mit ihrem heutigen Wissen würde die 24-Jährige, die für die Grünen auch im Kreistag sitzt, die 80-Jährige aber eher als Kämpferin denn als Feministin bezeichnen. Schwarzer habe in der Vergangenheit zwar viel für die Frauenbewegung getan, aber: „Feminismus bedeutet die Gleichberechtigung aller Geschlechter“, betont Eusebi. Schwarzer habe ein kompromissloses Geschlechterbild. Auch ihre Einstellungen zu Transsexualität und Kopftuchverbot sieht Eusebi sehr kritisch. „Dass der Feminismus immer öfter negativ konnotiert ist, hängt auch mit Alice Schwarzer zusammen“, sagt sie. Was sie an ihr schätze, sei ihre bewusst provokative Art, die Radikalität und die Direktheit, mit der sie Themen anspreche und ihre Standpunkte vertrete. „Aber die Dinge, für die sie einsteht, passen für mich nicht mit Gleichberechtigung zusammen.“

80 Jahre: Ein Blick auf Alice Schwarzer und ihr Wirken

© Express Photo Martin Korb-Cornel

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Alice Schwarzer

Herkunft Schwarzer wird am 3. Dezember 1942 in Wuppertal geboren. Als uneheliches Kind wächst sie bei ihren Großeltern auf.

Karriere Nach der Schulzeit absolviert sie eine kaufmännische Lehre, danach arbeitet sie als Sekretärin. Mit 20 Jahren zieht sie nach München um, wo sie in einem Verlag jobbt. Mit 21 geht sie als Au-pair nach Paris. Bei den Düsseldorfer Nachrichten macht sie ein Volontariat. Anfang 1969 wechselt sie als Reporterin zur Satire-Zeitschrift Pardon, im Sommer zieht sie nach Paris, wo sie als freie Korrespondentin arbeitet, Psychologie und Soziologie studiert. An der Universität Münster hat sie 1974/75 einen Lehrauftrag.

Feminismus Im Herbst 1970 schließt sich Schwarzer der Pariser Frauenbewegung an. Ein Jahr später veröffentlicht sie ihr erstes Buch „Frauen gegen den §218“. Sie wird das Gesicht der deutschen Frauenbewegung. 1996 wird sie mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet.

Veröffentlichungen Schwarzer hat mehr als 20 Bücher veröffentlicht. Am 26. Januar 1977 erscheint erstmals ihr feministisches Magazin Emma. Sie ist Verlegerin und Chefredakteurin. Von 2010 bis 2011 berichtet sie in der „Bild“ über den Prozess gegen den Wettermoderator Jörg Kachelmann.

Privates Im Juni 2018 heiratet sie die Fotografin Bettina Flitner, die bereits seit Jahren für die Zeitschrift Emma arbeitete.

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Erstellt:
3. Dezember 2022, 11:30 Uhr

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