Ab in den Urlaub – in Deutschland

Trotz Rekords: Für die Akzeptanz des heimischen Tourismus muss mehr getan werden

Wenn zur Eröffnung der Urlaubsmesse CMT in Stuttgart an diesem Samstag die Zahlen des Deutschland-Tourismus vorgestellt werden, können die Sektkorken knallen: Es ist das neunte Rekordjahr. Besucher- und Übernachtungszahlen sind 2018 sogar noch mehr als erwartet gestiegen. Der auch durch das Sommermärchen der Fußball-WM 2006 beförderte Imagegewinn ist nachhaltig. Deutschland ist für Europäer nach Spanien das beliebteste Reiseland, weltweit rangiert es auf Platz 9. Mit seiner hervorragenden Infrastruktur, der reichen Kultur, schmucken Altstädten, viel Natur und der zentralen Lage in Europa ist Deutschland ein Land, das man gesehen haben muss.

Ein Ende der Rekorde ist nicht zu erwarten. Gut so: Deutschland verträgt noch mehr Urlauber. Bei Sehenswürdigkeiten wie dem Heidelberger Schloss oder Neuschwanstein und Städten wie Berlin, München oder Hamburg mag es manchmal zu viel sein. Aber das ist nur eine sehr punktuelle Überlastung. In den meisten Urlaubsregionen, vor allem in Ostdeutschland, sieht es anders aus. An der Mecklenburger Seenplatte, in der Uckermark, aber auch auf der Schwäbischen Alb oder in der Rhön überwiegt die Ruhe – mancherorts so sehr, dass man sich mehr Leben dringend wünschte. Denn unbestritten ist der Tourismus für viele ländliche Gemeinden eine wichtige wirtschaftliche Überlebenschance. Oft ist es die einzige.

Trotzdem gibt es Warnsignale. Ärger, Groll und Unmut gegen den Besucherrummel sind an einigen Urlaubsorten spürbar. Einwohner klagen über verstopfte Straßen, Parkplatz- und Wohnungsnot. Die Politik muss auch gegen touristische Fehlentwicklungen auf dem Wohnungsmarkt vorgehen. In Großstädten gehört die Umwandlung von Wohnungen in Feriendomizile verboten. Bezahlbare Wohnungen sind in München, Stuttgart oder Hamburg Mangelware, Hotelbetten nicht. Beschwerden über zu viele Touristen können aber auch Ausdruck einer anderen Unzufriedenheit sein, weil sich die Einwohner zu wenig wahr- und ernst genommen fühlen. Bei Bauvorhaben, ob für den Tourismus oder den Verkehr, will der Bürger aktiv mitbestimmen. Auch Tourismusziele müssen mit allen Akteuren und Betroffenen einer Kommune entwickelt werden. Das ist eine harte, im Ergebnis aber lohnenswerte Arbeit.

Urlaubsorte wie St. Peter-Ording haben das schon lange erkannt. Auch in Baden-Württemberg gibt es Vorbilder: So hat Bad Wildbad für das jüngste Projekt, die Hängebrücke „Wild Line“, früh zu einer Bürgerversammlung geladen und Maßnahmen zur Verkehrs- und Besucherlenkung getroffen.

Den steigenden Auto- und Busverkehr in den Griff zu bekommen gehört zu den größten Herausforderungen im Tourismus. Dass jeder Reisebus in die Heidelberger Altstadt fährt, sollte längst Vergangenheit sein. Aber auch Individualtouristen brauchen Anreize für den Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel. Modelle wie die Konus-Gästekarte im Schwarzwald, die freie Fahrt mit Bus und Bahn ermöglicht, finden viel zu wenig Nachahmer. Im Kleinwalsertal spendiert ein Hotelier allen Gästen, die bei der Ankunft den Autoschlüssel abgeben, ein kleines Extra. Ein solcher Ansporn könnte doch auch von Tourismusbüros ausgehen.

Vorbeugend ist auch der Ansatz, die wirtschaftliche Bedeutung des Tourismus mehr zu erklären und den Bürgern zu vermitteln, wie es die Schwarzwälder Touristiker getan haben. In dem im Sommer veröffentlichten Video beantworten sie genau diese Fragen. Immerhin eine halbe Million Arbeitsplätze schafft dort der Tourismus. Deutschlandweit sind es fast drei Millionen. Sollten es noch mehr werden, wäre auch das ein Grund zum Feiern.

gabriele.kiunke@stzn.de

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Erstellt:
11. Januar 2019, 03:12 Uhr

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