Als die Marktstraße noch zweispurig war

Die Ausstellungsreihe „Backnang im Zeitspiegel“ von Peter Wolf wird weitergeführt. Ab morgen sind im Kabinett des Helferhauses historische Fotos zum Thema „Rund ums Rathaus“ zu sehen.

Backnanger Marktstraße um das Jahr 1950 mit einem Fahrzeug der Firma Kaelble im Vordergrund.Reproduktion: P. Wolf

Backnanger Marktstraße um das Jahr 1950 mit einem Fahrzeug der Firma Kaelble im Vordergrund.Reproduktion: P. Wolf

Von Claudia Ackermann

BACKNANG. Üblicherweise konzipiert Peter Wolf viermal im Jahr eine Ausstellung mit historischen Fotos im Helferhaus. Im vergangenen Jahr waren es nur drei, und zwei davon mussten wegen des Lockdowns abgebrochen werden. So war sowohl die Schau im März als auch die Jubiläumsausstellung zum zehnjährigen Bestehen der Reihe im November nur von kurzer Dauer. Jetzt freut sich Peter Wolf, wieder öffnen zu dürfen.

In den Vitrinen im Zentrum des Kabinetts im Helferhaus sind Bilder vom Rathaus und dem Marktplatz aus verschiedenen Zeiten ausgestellt. Das markante Gebäude hat sich zwar über die Jahre nur wenig verändert, aber das Umfeld sagt viel über den Wandel der Zeit aus. So flanieren um 1900 noch Fußgänger auf der Marktstraße, und eine Pferdekutsche gibt ein beschauliches Bild ab. Allerdings hat der Dreck, der auf manchen Bildern auf der unbefestigten Straße zu erkennen ist, nichts mit Idylle zu tun.

Einen großen Aufmarsch gibt es am Marktplatz in der Zeit des Nationalsozialismus, und in den 1950er-Jahren fährt schon mal eine Kaelble-Zugmaschine die Marktstraße hinunter. Wie immens das Verkehrsaufkommen in den folgenden Jahren ansteigt, zeigt ein Farbfoto von 1966. Zahlreiche Autos der damals gängigen Marken schlängeln sich auf der zweispurigen Marktstraße bergauf und bergab. Parkplätze sind auf dem Marktplatz gegenüber dem ersten Lebensmittel-Selbstbedienungsgeschäft Lichdi vor dem historischen Brunnen eingerichtet. Mit der Beschaulichkeit ist es nun vorbei.

Stadtgebiete in unmittelbarer Nähe zueinander waren sehr verschieden.

Die Bilder an den Wänden des Ausstellungsraums führen „Rund ums Rathaus“. Bei der Zusammenstellung der Themenbereiche ist es für Peter Wolf immer wieder erstaunlich, wie unterschiedlich Stadtgebiete früher waren, die in unmittelbarer Nähe zueinander liegen. Während sich etwa am Graben an der Wende zum 20. Jahrhundert vor allem kleine Handwerksbetriebe und Arbeiterwohnungen für die Lederfabrik Kaess befanden, ist das Gebiet beim Rathaus hauptsächlich von Bürgerhäusern der Kaufleute geprägt. Sie ließen sich gerne mit ihren Familien vor ihrem Laden ablichten, wie etwa Adolf Winter, der auf einer Aufnahme mit der Aufschrift „Backnang 1893“ zu sehen ist. Winter führte in der heutigen Marktstraße 27 ein Textilgeschäft. Direkt daneben befand sich die Konditorei und Gemischtwarenhandlung Paul Henningers, vor der sich 1898 dessen Frau fotografieren ließ. Sie ist übrigens die Mutter des Backnanger Kunstmalers Manfred Henninger. Wieder ein Haus weiter befand sich die Adler-Apotheke. Auf dem Foto aus den 1880er-Jahren steht noch die Aufschrift „Untere Apotheke“ am Haus, aber ein Schild mit einem Adler hängt über dem Eingang. Der Wandel der Zeit wird auch beim Blick vom Rathaus in Richtung Uhlandstraße deutlich. Um 1900 ist noch ein Lastenfuhrwerk mit Rinde für die Gerbereien zu sehen. Für den Transport der schweren Waren vermied man gerne den steilen Anstieg am Totengässle (Untere Marktstraße) und wich auf die Strecke über die Uhlandstraße aus.

Manche kleinere Geschäfte befanden sich in diesem Bereich des Marktplatzes (heute Am Rathaus), über die es in Quellen keine ausführlichen Beschreibungen gibt, weiß Wolf. Wie bei einem Geschäft von Wilhelm Erlenbusch, das sich neben der damaligen Gaststätte Ratsstube in dem Gebäude befand, in dem heute die Stadtinformation untergebracht ist. Aufschriften sind auf den Originalaufnahmen, die meist in Postkartengröße oder kleiner erhalten sind, oft kaum lesbar. Durch das Einscannen und Vergrößern werden auch kleine Details erkennbar. So zeigt diese Aufnahme aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts, dass es sich um ein Kolonialwarengeschäft „Spezereien – Kurzwarenhandlung“ handelte. Für die Ausstellung wurden die Aufnahmen teilweise in Posterformat vergrößert.

Der Blick in Richtung Uhlandstraße fällt um 1910 noch auf das Geschäft von Louis Vogt, in dem sich später ein Konsum befand. Extrem ist der Kontrast in den 1970er-Jahren. Das alte Gebäude ist abgerissen und durch einen Neubau mit Flachdach der Firma Klenk ersetzt – mit der Aufschrift: Teppiche, Tapeten, Gardinen, Bodenbeläge. Auf dem Farbfoto sieht man die schräg angelegten Reihen von Parkplätzen, wo heute Fußgängerzone ist. Der Rundgang um das Rathaus führt in den Bereich der oberen Schillerstraße. Um 1900 befand sich in der Schillerstraße 5 die Sattlerei mit Tapeziergeschäft von Wilhelm Mayer. Hier ist die Schaufensterfassade des Ladens, in dem sich heute eine Versicherung befindet, in fast unverändertem Zustand erhalten geblieben. Dass es bereits um die Wende zum 20. Jahrhundert in der Innenstadt Schnäppchenläden gab, zeigt ein „50-Pfennig-Bazar“ in der Schillerstraße 3. Die Ansichtskarte ist 1904 abgestempelt und wurde nach New York versendet.

Die Fotoausstellung „Rund ums Rathaus“ kann ab Samstag, 13. März, im Helferhaus, Petrus-Jacobi-Weg 5, besichtigt werden. Öffnungszeiten sind: Dienstag bis Freitag von 17 bis 19 Uhr. Samstag und Sonntag von 14 bis 19 Uhr.

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Erstellt:
12. März 2021, 06:00 Uhr

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