Konzert in der Liederhalle

Als Dieter Thomas Kuhn Vokabeln lernte

Der Tübinger Schlagerstar sang in der Liederhalle zu Phillipp Feldtkellers Gitarre und Michael Kobr schrieb sein Leben auf.

Archivbild: Dieter Thomas Kuhn (links) und Philipp Feldtkeller auf der Bühne bei einem Konzert 2024 in Hannover.

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Archivbild: Dieter Thomas Kuhn (links) und Philipp Feldtkeller auf der Bühne bei einem Konzert 2024 in Hannover.

Von Thomas Morawitzky

Das erste Stück des Abends erkennen viele nach wenigen Takten. Dieter Thomas Kuhn singt nicht das Original, er singt jene Version, die die Schlagersängerin Daliah Lavi vor 53 Jahren veröffentlichte: „Wär ich ein Buch zum Lesen“.

Gordon Lightfoots Song ist auch in deutscher Version ein sehr innig ruhiges, nachdenkliches Lied und nicht typisch für das Repertoire des bunten Partyhelden Kuhn – aber der wandelt an diesem Abend im Mozartsaal der Liederhalle auch auf anderen Pfaden. „Ungeföhnt“ heißt sein Programm, an seiner Seite sind Philipp Feldtkeller, Gitarrist der Kuhn-Band, und Michael Kobr, Krimiautor aus dem Allgäu und bekannt für Romane um den Kommissar Kluftinger. Auch Dieter Thomas Kuhns Leben drängt nun danach, aufgeschrieben zu werden. Aus der singenden Föhnwelle soll ein Buch werden, zum Lesen.

Kuhn, Feldtkeller und Kobr präsentieren einige Kapitel, die bereits geschrieben sind. Ein wenig mischt sich Kriminelles ein, im Kluftinger-Stil, vor allem aber arbeitet sich das Trio ab am Lebenslauf des Thomas Kuhn, geboren am 7. Januar 1965 in Tübingen, von seinen Freunden „Chicken“ genannt, was, wie man erfährt, daher rührt, dass Huhn sich reimt auf Kuhn. Es ist ein musikalischer Abend, der, ehe er in bekannten Adaptionen endet, vieles aufklingen lässt, was dem Sänger gefiel und ihn beeinflusste, schon damals, als er noch im Brustschatten seiner Französischlehrerin und umflort von ihrem großtantenhaften Parfüm über ungelernten Vokabeln schwitzte. „Ich war ein fauler Hund“, gesteht Thomas Kuhn, in Erinnerung an seine Schulzeit – viel lieber, als zu lernen, sagt er, habe er sich am Radio die Akkorde aus den Hitparaden herausgehört. An Lagerfeuern zauberte er mit Cat Stevens ein erstes Glitzern in die Augen junger Frauen und für seine Lehrerin singt er nun ein Stück von Udo Jürgens: „Merci, Cherie“.

Nach seiner Schulzeit arbeitete Thomas Kuhn in einer ungenannten Tübinger Gaststätte, in der Musiker verkehrten. Um sich ausbilden zu lassen zum Masseur, Bademeister und Fußpfleger, bedurfte er der Anregung Dritter, machte es sich dann, ausgelernt, bequem als technischer Oberaufseher im Bewegungsbad des Tübinger Klinikums, ging älteren Damen zur Hand und zitterte innerlich vor unterdrückter musikalischer Abenteuerlust. Er singt zu Philipp Feldtkellers Gitarre ein Lied, das er mit seiner ersten Band „Running Œuf“ sang und das erzählt von einem, der morgens erwacht, in seinen Stiefeln, und mit einem Kopf, der schmerzt.

Kuhn verabschiedet sich mit einem Lied von Reinhard Mey

Der Abend folgt Kuhn hinein in den Erfolg, folgt ihm nach Hamburg, zu einem Konzert auf der Reeperbahn, das Aufsehen erregen sollte und für den Sänger mit eigentümlichen Erinnerungen verbunden ist. Es kommt der Abschied, in der Hanns-Martin-Schleyer-Halle, am 1. Oktober 1999, nach dem der Troubadour sich neuen Zielen zuwenden wollte. Thomas Kuhn, der sich an diesem Abend sympathisch von seiner ganz persönlichen Seite zeigt, erzählt von jener großen Niederlage, die er erlitt, als sein erstes, ernstes Soloalbum floppte und der Suhrkamp-Verlag sein Vorhaben, Brechts „Dreigroschenoper“ aufzuführen, stoppte. In Brechts Text verliebte sich Kuhn bei einer Flasche Wein – „Wer die Dreigroschenoper verstanden hat“, behauptet er, „der hat das Leben verstanden“. Auch die Expertise des musikalischen Leiters der Stuttgarter Staatsoper rettete das Projekt nicht – im Gegenteil: Eine Werktreue sah er keinesfalls, riet den Musikern aber, zu warten, bis die „Dreigroschenoper“ rechtefrei sei. Dieter Thomas Kuhn hat das nicht vergessen. Er wartet. Am 1. Januar 2027 wird es soweit sein.

Im Mozartsaal indes verabschiedet sich der Sänger einem Lied von Reinhard Mey. Geraucht wird auf der Bühne nicht, aber manch ein Glas haben die drei dort oben schon geleert, ehe der Abend endet.

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Erstellt:
25. Oktober 2025, 11:58 Uhr

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